Die Bekenner

Jetzt scheint es klar, wer hinter dem Anschlag auf den Touristenbus in Taba steckt. Bekannt hat sich zumindest die Gruppe Ansar Beit al Maqdis zu dem Attentat. Was allerdings besonders beunruhigend scheint, ist die Tatsache, dass das Bekenntnis mit einem Ultimatum verknüpft wurde. Bis 20. Februar sollen alle Touristen das Land verlassen, danach werden sie als legitime Ziele betrachtet. Aha, die drei getöteten südkoreanischen Touristen waren demnach keine legitimen Ziele in den Augen ihrer Attentäter? Soviel Zynismus muss an dieser Stelle sein.

Aber was sagt uns die Organisation? Ansar Beit al Maqdis wurde vermutlich im Februar 2011 gegründet und zwar unter anderem von Gefängnisinsassen, die von der Hamas nahestehenden Gruppen befreit wurden. Einer der Befreiten war damals übrigens ein gewisser Mohammed Mursi, dem unter anderem genau wegen diesem Sachverhalt gerade der Prozess gemacht wird. Allerdings geht es in dem Prozess auch noch um etwas ganz anderes: Letztlich soll auch die Frage geklärt werden, ob Mursi in seiner Zeit als Präsident Organisationen wie Ansar Beit al Maqdis finanziell und logistisch unterstützt hat. Insgesamt gibt es mindestens fünf verschiedene Gruppen, die den Norden des Sinais seit geraumer Zeit zu einem rechtsfreien Raum machen. Gemein ist ihnen allen, dass sie von der Hamas unterstützt werden, Al Qaida nahestehen und mit Vorliebe ägyptische Polizisten und Soldaten umbringen.

Gut bewacht werden Touristenbusse in vielen Gegenden schon heute. Foto: psk

Gut bewacht werden Touristenbusse in vielen Gegenden schon heute. Foto: psk

Jetzt werden zumindest von dieser einen Organisation Touristen direkt und explizit bedroht. Wie ernst ist das zu nehmen? Zunächst einmal bedeutet das bei einer Terrororganisation einen völligen Paradigmenwechsel. Seit den 90er Jahren hatte sich im Gefüge der terroristischen Gruppen in Ägypten die Erkenntnis durchgesetzt, dass Anschläge auf Touristen den eigenen Zielen mehr schaden als nützen. Schon einmal, Anfang der 90er Jahre war der Tourismus erklärtes Ziel islamistischen Terrors. Die Folge war, dass Organisationen wie die Gama al Islamiyya rapide an Ansehen und vor allem Rückhalt in der Bevölkerung verloren. Das gipfelte schließlich im Zusammenbruch und der teilweisen Auflösung der Gama im Jahr 1998. Einflussreiche Terrorfürsten wie der Kinderarzt Aiman al Zawahiri mussten das Land damals fluchtartig verlassen. Er schloss sich später Osama bin Laden an und und ist heute dessen Nachfolger als Chef der Al Qaida.

Die Ereignisse von 1997 und 1998 – also erst die Anschläge von Kairo und Luxor mit insgesamt über 70 Toten und die teilweise Selbstauflösung der Gama im darauffolgenden Frühjahr – bedeuteten allerdings nicht etwa das Ende des Terrorismus. Die Devise hieß schon damals: Jeden Tag ein toter Polizist. Und das wurde auch umgesetzt. Im Westen hat man darüber jedoch kaum etwas erfahren. Das alles zu Zeiten von Hosni Mubarak.

Nun scheint es sich gerade wieder umzudrehen. Was nun einerseits alarmierend scheint, ist die Tatsache, das die Gruppe Ansar Beit al Maqdis, die im Norden des Sinais operiert, gar nicht auf den Rückhalt der Bevölkerung angewiesen ist, wie es vor rund 20 Jahren die Gama al Islamiyya war. Also müssen sie auch keine Rücksicht auf das Geschäft mit dem Tourismus nehmen.

Allerdings lassen die Bekenntnisse der Gruppe auch noch einige andere Schlüsse zu: Offfenbar scheint der Druck der Regierung inzwischen so massiv und offenbar auch so wirkungsvoll zu sein, dass wenigstens eine Organisation zu einem Mittel greift, dass jahrelang tabu war. Außerdem lässt das Ganze auch noch darauf schließen, dass sich die Gruppen untereinander völlig uneins sind. Das könnte sie vielleicht schwächen. Interessant ist allerdings noch ein ganz anderer Punkt: Viele hochrangige Moslembrüder haben selbst viel Geld in der Tourismusbranche stecken. Wenn auf die keine Rücksicht mehr genommen wird, dann könnte es sein, dass die Brüder inzwischen am Ende sind.

Schließlich ein letzter Punkt. Allzu viel ist über Ansar Beit al Maqdis nicht bekannt. Wenn aber nur die Hälfte von dem stimmt, was über die Gruppe kolportiert wird, dann dürfte das Bekenntnis zu dem Anschlag in Taba den einstigen Staatspräsidenten Mohammed Mursi dem Galgen ein gehöriges Stück näher gebracht haben.

Jetzt ist es doch passiert

Vier Tote bei einem Bombenanschlag auf einen Touristenbus bei Taba. Jetzt ist es also doch passiert. In Ägypten wurden Touristen angegriffen. Das dürfte die schwerst notleidende Tourismusindustrie noch tiefer in die Knie zwingen und Wasser auf den Mühlen all jener sein, die schon immer gesagt haben, dass Ägypten ein ganz gefährliches Pflaster für Touristen ist. Jetzt also der Beweis. Ist das so?

Taba liegt an einem ganz neuralgischen Punkt im Nahen Osten. Karte: OpenStreetMap.org

Taba liegt an einem ganz neuralgischen Punkt im Nahen Osten. Karte: OpenStreetMap.org

Taba liegt am Ende des Golfs von Aqaba, unmittelbar an der israelischen Grenze. Hier hat es übrigens den zweitschwersten Anschlag auf Touristen in Ägypten überhaupt gegeben. Bei einem Selbstmordanschlag mit einer Autobombe auf das Hilton-Hotel starben vor zehn Jahren 34 Menschen. Ein Jahr nach dem zweiten Golfkrieg war die Sicherheitslage in Ägypten wie im gesamten Nahen Osten nicht gerade gut. Trotzdem: Der Tourismus lief ganz ordentlich.

Die eigentliche Frage im Zusammenhang mit dem Anschlag vom 16. Februar ist doch: Was bedeutet er? Ist er ein Zeichen dafür, dass der Tourismus nun in die innerägyptischen Machtkämpfe hineingezogen wird? Bedeutet der Anschlag, dass jetzt auch die Tourismuszentren an Roten Meer nicht mehr sicher sind? Betrachten wir einmal die Fakten.

Der Norden des Sinais gilt schon seit langem als nicht mehr kontrollierbar. Terrororganisationen wie Al Qaida oder Dschihad haben sich dorthin zurückgezogen und liefern sich schon seit langem einem blutigen Krieg mit den Sicherheitsbehörden. Die Region ist der Kontrolle der ägyptischen Regierung schon längst entglitten.

Taba liegt nicht in dieser Region – andererseits liegt kein Touristenort in Ägypten näher an den umkämpften Gebieten. Doch das alleine macht Taba noch nicht gefährlich. Die Sicherheitslage ist auch noch deshalb ganz besonders sensibel, weil Taba der Grenze zu Israel so nahe ist. Der nächste Nachbar heißt Eilat – und das liegt bekanntermaßen auf israelischem Gebiet. In dem bereits erwähnten Hilton-Hotel gibt es eine Hintertür, und wenn man durch die das Hotel verlässt, steht man schon in Israel. Schließlich gibt es auch noch einen letzten Punkt, der die heikle Lage von Taba verdeutlicht. Die andere Nachbarstadt von Eilat heißt Aqaba. Die wiederum liegt in Jordanien – und dort leben über 50 Prozent Palästinenser.

Nicht ganz unwesentlich dürfte im Zusammenhang mit dem Anschlag vom Sonntag sein, dass der Bus aus Israel kam. Es ist also durchaus möglich, dass die Bombe, die den Bus zerfetzte, rein gar nichts mit dem Machtkampf zwischen Regierung und Moslembrüdern zu tun hat, sondern dass sie eigentlich Israel galt. Interessanterweise gibt es, bislang wenigstens, kein Bekennerschreiben. Das ist insofern ungewöhnlich, als dass die meisten Attentäter in dieser Region durchaus Wert darauf legen, dass die Welt erfährt, wem sie den Anschlag zu verdanken hat.

Es wird nicht der letzte Anschlag in Ägypten gewesen sein, und es wird bestimmt auch noch eine Weile dauern, bis wieder Ruhe im Land eingekehrt ist. Doch den Terrorakt von Taba als Zeichen für die Verschärfung der Auseinandersetzungen oder gar den Auftakt zu einer Terrorwelle gegen Urlauber zu sehen, ist meiner Meinung nach vefehlt. Angesichts der vier Todesopfer und der 18 Schwerverletzten fällt es schwer, das zu sagen, weil es ein wenig zynisch klingt – aber es ist leider die Wahrheit: Der Anschlag von Taba war nur einer dieser ganz alltäglichen Anschläge, wie sie im Nahen Osten leider Gottes an der Tagesordnung sind.

Natürlich wird er es machen

Allmählich wird es ein wenig ermüdend. Natürlich wird der frischgebackene Feldmarschall und Verteidigungsminister Abdel Fatah al Sisi für das Amt des Präsidenten kandidieren. Dass er sich bitten lässt, bitten lassen musste, ist in Anbetracht der Tatsache, dass der Sturz Mursis in vielen Teilen der Welt als Militärputsch gewertet wird, ja wohl klar. Jetzt ist es scheinbar soweit. Er hat in einem Interview seine Kandidatur offiziell angekündigt – und schon wieder rudert irgendein Militär zurück und behauptet, es sei alles gar nicht so gemeint.

Was dieser Eiertanz noch soll, ist schwer – nein, eigentlich gar nicht zu begreifen. Die Schamfrist ist lange vorbei. Der größere Teil der gesellschaftlich relevanten Gruppen hat seinen Segen längst gegeben, und die Mehrheit vor allem der jüngeren Ägypter scheint ihn als Präsidenten unbedingt haben zu wollen. Interessanterweise sind sie es, die neben blumenbekränzten Bildern von Sisi auch große Porträts von Gamal Abdel Nasser vor sich her tragen. Genau das sollte eigentlich zu denken geben.

Wähernd wir im Westen gerne darüber schwadronieren, wieviel Einfluss das Militär hat, und ob nun die Zeiten von Mubarak zurückkommen, sehnen sich vor allem diejenigen Ägypter nach Gamal Abdel Nasser zurück, die ihn selbst nie erlebt haben. Wahrscheinlich wäre es lohnender, sich genau darüber Gedanken zu machen. Möglicherweise ist eine Nasser-Renaissance viel, viel heikler als die Frage, wie stark das Militär auf die Politik Einfluss nimmt.

Abdel Hakim Amr, ägyptischer Armeechef…

Zunächst einmal sollte man sich fragen, warum Nasser wieder oder noch so verehrt wird. Wer sich einmal ein altes Video anschaut und ihn reden hört, wird sich wundern. Da erschallt keine kraftvolle tiefe Stimme wie ein Donnergrollen, sondern eine ganz hohe, sehr einschmeichelnde Stimme, freundlich, fast scheu. Diese sanfte Stimme verkündet dann mal kurz, dass Israel von der Landkarte vertilgt werden muss und alle Juden ins Meer getrieben würden. Irgendwie gespenstisch.

…und Präsident Gamal Abdel Nasser beim gemeinsamen Strandurlaub.
Quelle: Bibliotheca Alexandrina

Niemand hat in der Geschichte der ägyptischen Republik mehr Menschen verfolgt, foltern und hinrichten lassen. Er war es, der in der Republik als erster den Bann über die Moslembrüder aussprach und ihre Führer hängen ließ. In seinen wenigen Jahren als Präsident führte er zwei Kriege, die er beide mehr oder weniger krachend verlor. Seine panarabische Politik scheiterte kläglich. Die Vereinigte Arabische Republik aus Ägypten und Syrien bestand nur vier Jahre, dann putschten ihn die Syrer weg. Nicht weniger katastrophal endete sein Versuch mit dem arabischen Sozialismus, der  »von der Nähnadel bis zur Atomrakete« alles selbst produzieren sollte. Als er mit zehn Panzerdivisionen und 100.000 Mann an der israelischen Grenze stand und verkündete, er werde den Judenstaat jetzt dem Erdboden gleich machen, war er doch sehr verblüfft, dass diese böden Juden ihm zuvor kamen und ihm innerhalb von 45 Minuten seine ganze Luftwaffe kaputt machten. Fünf Tage später endete der Krieg. Nasser zwang seinen alten Kumpel und Verteidigungsminister Abdel Hakim Amr zum Selbstmord. Dann kündigte Nasser seinen eigenen Rücktritt an. Innerhalb weniger Stunden stand rund vier Millionen Ägypter vor seiner Haustür und beschworen ihn, im Amt zu bleiben. Das kommt einem jetzt irgendwie vertraut vor, oder?

Objektiv waren die Zustände unter Sadat und Mubarak in Ägypten besser als unter Nasser. Den einen haben sie umgebracht, den anderen fortgejagt – und Sisi soll nun Nasser 2.0 werden. Für Ägypten und den Rest der Welt bleibt zu hoffen, dass er das nicht wird.

Zeitzeugen sollen nicht so überzeugt von Nassers Intelligenz gewesen sein. Dagegen halten viele Beobachter Sisi für durchaus intelligent, für intelligent genug, zu ahnen, was da gerade in Ägypten abläuft. Sein möglicher Vorgänger Nasser gilt vielen im ägyptischen Volk heute als Projektionsfläche für ein großes, national bedeutendes und mächtiges Ägypten. Und jedes Plakat von Nasser macht dem potentiellen Präsidentschaftskandidaten klar, was so mancher von ihm erwartet. Von Schulen, Krankenhäusern oder einer funtionierenden Energieversorgung ist da wenig die Rede. Das könnte ihn als künftigen Präsidenten sehr nachdenklich machen.

Manch einer hat mir in den letzten Wochen gesagt: »Der Sisi macht das nie, da wäre er schön blöd, sich das ans Bein zu hängen.« Wenn er das tatsächlich weiß, dann verdient seine Kandidatur am Ende Respekt.

Teilen – aber wie?

Es ist ja eine traurige Tatsache in Ägypten: Wer an der Macht ist, haut seinem Gegner erst mal so richtig eins über die Rübe. Das war bei den Moslembrüdern so, und das scheint inzwischen bei der herrschenden Regierung auch nicht anders zu sein. Es sind ja nicht nur die Moslembrüder, die Prügel beziehen, sondern auch die, die drei Jahre nach dem Sturz von Hosni Mubarak fürchten, dass das alte Regime in Form einer Militärdiktatur zurückkommt.

Auch die ägyptischen Goldminen gehören zum Wirtschaftsimperium der Armee. Foto: psk

Auch die ägyptischen Goldminen gehören zum Wirtschaftsimperium der Armee. Foto: psk

Genau diesen Satz hört man nun immer öfter. Aber im Grunde ist er unsinnig. Wenn wir das Rad der Geschichte um drei Jahre zurückdrehen, dann stellt sich die Sache doch ganz, ganz anders dar. Mubarak wurde ja nicht deshalb gestürzt, weil man einen blutigen Militärdiktator beseitigen wollte. Es ist ja auch eine schlecht abzuleugnende Tatsache, dass der absolut größte Teil der Ägypter mit den ersten 20 der knapp 30 Regierungsjahre von Mubrak ganz zufrieden waren. Der Aufruhr begann doch erst, als die Familie Mubarak in Gestalt von Frau Suzanna und Sohn Gamal versucht hatte, den Staat zur persönlichen Beute zu machen. Das war dann selbst im Bakschisch-Wunderland Ägypten zu viel des Guten. Und weil das in Tunesien so gut geklappt hatte, machte man kurzerhand eine Revolution und fegte den Alten hinweg.

War das so? Am Ende war es der Oberste Militärrat (SCAF), der Mubarak förmlich auf seinem Stuhl in den Hubschrauber tragen musste. Und der SCAF übernahm dann praktischerweise auch gleich mal die Regierung. Es ist schon ziemlich erstaunlich, dass die Welt vor drei Jahren nicht von einem Militärputsch gesprochen hat. Die Begründung war ja einfach: Das Militär hatte schließlich nur den Willen der Millionen auf dem Tahrirplatz exekutiert (das darf jetzt jeder verstehen, wie er mag).

Komischerweise standen zweieinhalb Jahre später noch viel mehr Millionen auf der Straße. Mursi wurde auch nicht von den Militärs gedrängt, sein Amt aufzugeben. Der Präsident hatte sich aus Angst vor der Armee in eine Kaserne der Republikanischen Garde geflüchtet, die ihn dann einfach nicht mehr raus ließ. Im Gegensatz zum Machtwechsel 2011 hatte das Militär keine Sekunde lang die Macht in Händen. Trotzdem spricht man bei den Ereignissen von Juni und Juli 2013 von einem Militärputsch. Da versteh einer die Welt.

Im Prinzip ist es aber schon richtig. Das Militär bleibt ein Staat im Staat und bestimmt letztlich, wo es in Ägypten langgeht, politisch und wirtschaftlich. Da der glorreichen ägyptischen Armee auch fast die Hälfte des Landes gehört, könnte man ja fast schon von einem Mehrheitsentscheid sprechen. Aber Spaß bei Seite. Tatsächlich gilt diese große Ansammlung vor allem der wirtschaftlichen Macht beim Militär, als eines der größten Probleme des Landes. Und die Lösung klingt ja so einfach. Das Militär soll sich doch bitte von seinen Nudelfabriken, Mineralwasserbrunnen, Tankstellen, Klopapiermanufakturen, Reisebüros, Aluminiumwerken, Keramikbetrieben und all dem anderen Plunder trennen, der 44 Prozent des Bruttosozialproduktes erwirtschaftet. Ist ja auch klar, Nudel- und Klopapierhersteller in Ägypten, die nicht auf unbezahlte Wehrpflichtige als kostenlose Arbeitskräfte zurückgreifen können, haben auf dem Markt von Nudeln und Klopapier einen denkbar schlechten Stand.

Doch nun mal die Gegenfrage: Was würde denn mit Ägypten passieren, wenn morgen früh General Fatah al Sisi erwachen würde und sein erster Gedanke wäre: „Weg mit dem ganzen Schrott, wir verkaufen oder verschenken jetzt einfach alles!“? Natürlich muss das Militär teilen – alleine die Formel fürs verantwortungsvolle Verteilen muss erst einmal gefunden werden. Es ist natürlich einfach, die Missstände in Ägypten zu benennen. Das kann so ziemlich jeder, der sich nur ein klein wenig mit dem Land beschäftigt hat. Aber ich habe andererseits noch keinen einzigen Menschen erlebt, der auch nur ansatzweise so etwas wie eine Lösung angeboten hätte.

Natürlich muss sich das Militär von seinem Wirtschaftsimperium trennen. Aber wie soll es das tun, ohne dass in Ägypten der ganze Laden endgültig zusammenbricht? Vielleicht erinnert sich ja noch der eine oder andere daran, als die alte Bundesrepublik 1990 die Industrieparks der angeblich siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt übernommen hatte. Am Aufbau Ost werkelt Deutschland inzwischen seit 25 Jahren herum – und das mit der wirtschaftlichen Potenz Westdeutschlands im Rücken. Wer würde denn Ägypten helfen, wenn die Militärs die Firmen auf den Markt werfen würden? Die Saudis? Das kann ernsthaft niemand wollen.

Was soll man davon halten?

Zugegeben, 98,1 Prozent Zustimmung für eine Verfassung ist ein Ergebnis, das einen als aufrechten Demokraten nachdenklich werden lässt. Solche Ergebnisse wecken stets eine Erinnerung an Zeiten, in denen demokratische Prozesse in Deutschland lediglich als fades Deckmäntelchen dienten. Allerdings wäre es jetzt auch wieder zu einfach, zu sagen, die ägyptischen Generäle hätten nur so zum Schein über einen irrelevanten Verfassungsentwurf abstimmen lassen. Wie immer liegen die Dinge in Ägypten weit komplizierter.

Nicht die Zustimmung, sondern die Anzahl der Wähler sei die entscheidende Größe bei diesem Votum, hatte es schon vor Wochen geheißen. 38,6 Prozent waren an die Wahlurnen gegangen. Erstaunlich, wenn man die Bilder von den langen Schlangen vor den Wahllokalen in Kairo gesehen hat, wo die Menschen oft bis in die späten Abendstunden anstehen mussten. Aber auch das zeigt einmal mehr: Kairo und Alexandria sind eben nicht Ägypten. Je weiter es nach Süden ging, desto geringer wurde die Wahlbeteiligung. Ist ja kein Wunder, mag nun der geneigte Ägyptenkenner zu bedenken geben, denn Oberägypten ist ja auch Moslembrüder-Land. Ja, ja, es ist schon richtig, dass die Moslembrüder zum Wahlboykott aufgerufen hatten. Aber als sie über ihre eigene Verfassung abstimmen ließen, war die Wahlbeteiligung noch viel miserabler.

Die höchste Wahlbeteiligung überhaupt gab es in Ägypten beim zweiten Durchgang um die Präsidentschaftswahlen. Da lag sie bei 51 Prozent, und es kam zum Showdown zwischen Mursi und Shaffik. Nun gibt es durchaus Menschen, die einfach deshalb an der Demokratiefähigkeit Ägyptens zweifeln, weil die Wahlbeteiligung seit drei Jahren notorisch niedrig ist. Kann das ein Kriterium sein? Nur mal ein Beispiel: In der Schweiz, dem Hort der direkten Demokratie, hat es seit fast 40 Jahren keine Wahl zum Parlament mehr gegeben, in der die Wahlbeteiligung über 50 Prozent lag.

Trotzdem: Das Referendum ist für die provisorische Regierung und General Fatah al Sisi Sieg und Niederlage zu gleich. Es gelang eben nicht, wie erhofft mindestens mehr als die Hälfte der Bevölkerung zu mobilisieren. Andererseits gab es noch in keiner Verfassung Ägyptens soviel Bürgerrechte und Minderheitenschutz. Doch diese Freiheit wiederum findet ganz schnell ihre Grenzen im Willen des Militärs.

Fazit: Ägypten hat eine gute Verfassung, und wenn die Militärs von ihren eher freiheitsfeindlichen Rechten, die ihnen dieser Verfassung gewährt, möglichst wenig Gebrauch machen, dann wird die Regierung auch das Vertrauen von jenen gewinnen, die dieses Mal nicht zur Wahl gegangen sind. Auch wenn viele dem Militär misstrauen – und es hat in den Wochen vor dem Referendum durchaus Anlass dazu gegeben – so ist die jetzt gebilligte Verfassung per se nicht schlecht, aber eben auch nur ein erster Schritt auf einem langen Weg.

Genau das ärgert mich!

Den Ausgang des Referendums in Ägypten will ich jetzt im Moment gar nicht kommentieren. Das offizielle Ergebnis steht noch nicht einmal fest. Aber wieder ist es der deutsche Qualitätsjournalismus, der des Wasser nicht halten kann und wo unreflektiert schon wieder kompletter Stuss verbreitet wird.

Vor dem Referendum war klar, dass nicht die Höhe der Zustimmung, sondern die Wahlbeteiligung viel aussagekräftiger sein würde. Nun sind die ersten Zahlen inoffiziell genannt worden, und die liegen bei einer Zustimmung von 95 Prozent und einer Wahlbeteiligung von 55 Prozent. Ob sich das alles so bestätigt, lassen wir zu diesem Zeitpunkt einmal dahingestellt.

Spiegel Online hat es einem nachrichtlichen Beitrag unter anderem Folgendes geschrieben: »Allerdings war die Wahlbeteiligung gering, die Islamisten hatten zum Boykott aufgerufen..« Immerhin hat sich der Autor noch verkneifen können zu schreiben, dass die Wahlbeteiligung so gering war, weil die Moslembrüder zum Boykott aufgerufen hatten, aber die Formulierung suggeriert genau das. Und damit wird die ganze Geschichte ziemlich unverschämt.

Aus bundesdeutscher demokratischer Tradion ist eine Wahlbeteiligung von 55 Prozent in der Tat eher dürftig. Aber wenn man sich in Ägypten die Wahlbeteiligung bei der Parlamentswahl, bei der Präsidentschaftswahl und bei dem letzten Verfassungsreferendum anschaut, dann ist die Wahlbeteiligung – so sie sich bestätigt – fast schon ein Rekordergebnis. Und eines ist bei diesem Resultat auch klar: Rein rechnerisch steht die Mehrheit der wahlberechtigten Ägypter hinter der Verfassung, selbst wenn die 45 Prozent, die nicht gewählt haben, alle nur deshalb nicht zur Urne gegangen sind, weil sie dem Boykottaufruf der Moslembrüder folgten.

Jetzt sehen wir uns einmal andere Wahlen an. Da wären die Präsidentschaftswahlen. Im ersten Durchgang erreichte Mursi 24,8 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 46 Prozent. Im zweiten Durchgang, als nur noch zwei Kandidaten zur Wahl standen, gewann er mit knapp 51,7 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 51 Prozent. Damit steht doch zumindest eines fest: Es stehen heute bedeutend mehr Ägypter hinter der neuen Verfassung, als jemals hinter Mursi gestanden haben – einer Verfassung im übrigen, die die Moslembrüder bis aufs Messer bekämpfen.

Dass der Boykott überhaupt erwähnt und in einen Zusammenhang gesetzt wird, ist noch aus einem anderen Grund reichlich unverschämt. Beim letzten Verfassungsreferendum – noch unter Mursi und den Moslembrüdern – hatte die Wahlbeteiligung etwas über 30 Prozent betragen – und das ganz ohne Boykottaufruf der Islamisten.

Wie gesagt: Eigentlich ist es für eine genaue Bewertung der Abstimmung noch viel zu früh. Aber das einstige selbsternannte »Sturmgeschütz der Demokratie« scheint das demokratische Prozedere in Ägypten ziemlich respektlos und arrogant zu betrachten. Vielleicht findet das Hamburger Magazin ja auch irgendwann zu seriösem Qualitätsjournalismus zurück. Aber dieser Schnellschuss des »Sturmgeschützes« war ein krachender Rohrkrepierer für die Demokratie.

Wer die Wahl hat

So ganz sicher bin ich mir nicht, ob er mich nicht einfach nur testen wollte. Jedenfalls fragte mich mein Fahrer am Samstagabend, ob und was er denn wählen solle. Das wunderte mich schon ein wenig, denn in den letzten zehn Tagen hatte ich ihn nicht nur als überaus pünktlich, sondern auch als recht reflektiert kennengelernt. Mursi hält er für übel, und wenn es einer richten kann, dann wird es wohl Abdel Fatah al Sisi sein. So denken viele Ägypter, vor allem an der Küste, wo seit nun drei Jahren die Touristen fehlen.

Ich antwortete dem Fahrer, dass es ganz wichtig sei zu wählen, schon deshalb, weil dieses Mal die Reihenfolge richtig sei: Erst eine Abstimmung über die Verfassung und dann erst die Wahl des Parlaments. Diese Einschätzung nahm er nachgerade begeistert auf und versprach natürlich, wählen zu gehen – und für die Verfassung zu stimmen.

Hätte die richtige Reihenfolge etwas an dem Ablauf der Geschichte geändert? Ich glaube schon. Dadurch, dass vor zwei Jahren ein Parlament gewählt wurde, das anschließend eine Verfassung verabschieden sollte, konnten sich die Islamisten ihre Konstitution praktisch zurechtzimmern. Eine bereits bestehende Verfassung hätte Moslembrüder und Salafisten möglicherweise Zügel anlegen können.  Nun haben alle gesellschaftlich relevanten Gruppen mit Hand angelegt, um eine neues Grundgesetz zu entwerfen. Es ist nun deutlich demokratischer, weniger auf Religion zugeschnitten und gewährt Minderheiten mehr Schutz und Rechte. Der berühmt-berüchtigte Paragraph 2, der schon unter Anwar al Sadat in »Koran und Scharia sind die Quelle des ägyptischen Rechts« geändert wurde, wurde wieder auf die Nasser-Zeit zurückgefahren, als nur von »einer Quelle des ägyptischen Rechts« die Rede war.

Positiv ist sicher auch zu bewerten, dass die Präsidentschaft auf zwei Amtszeiten beschränkt ist. Eine Dauerherrschaft wie die von Hosni Mubarak sollte also nicht mehr drohen.

Insgesamt wird die Verfassung auch im stets kritischen Westen als demokratischer Fortschritt gewertet. Allerdings gibt’s da ja noch die Passagen, die das Militär stärken. Da hat sich jedoch auch nicht so viel geändert. Das Militär bestimmt selbst den Verteidigungsminister, was allerdings nichts Neues ist. Es bleibt auch dabei, dass der Vertedigungshaushalt geheim bleibt und weder Parlament noch Regierung reinreden können. Neu sind allerdings die Militärtribunale, die nun auch Zivilisten aburteilen können, und das ist dann doch ein herber Wermutstropfen in einer sonst sehr demokratisch anmutenden Verfassung.

Es steht wohl außer Zweifel, dass die Verfassung angenommen wird. Manche rechnen sogar mit einer Zustimmungsrate von 80 Prozent. Soviele werden es vielleicht nicht werden. Problematisch ist vielmehr die Wahlbeteiligung. Bei den letzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gingen gerade einmal rund 40 Prozent der Ägypter an die Wahlurnen. Wären es bei der Verfassungsabstimmung wieder weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten, wäre dies eine herbe Niederlage für die Übergangsregierung, den »Rat der 50«, der die Verfassung ausgearbeitet hat, und vor allem für den starken Mann al Sisi.

Die Auslandsägypter haben bereits abgestimmt und stehen zu etwa 90 Prozent hinter der neuen Verfassung. Allerdings haben nur rund 20 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Ob sich das auf das ganze Land übertragen lässt, ist jedoch fraglich.

Doch egal, wie das Referendum ausgeht, eines ist jedenfalls sicher: Die Ägypter haben sich eine neue Verfassung gegeben, und sie stimmen darüber ab. Das haben nach den Wochen im Sommer viele Kritiker bezweifelt. Schade ist allerdings, dass sich der »Rat der 50« nicht mehr Zeit nehmen konnte. Die USA lebten immerhin elf Jahre ohne ihre Constitution. Die Väter und Mütter des deutschen Grundgesetzes hatten mehr als ein halbes Jahr Zeit. Dass ausgerechnet diese beiden Länder Ägypten in Sachen Verfassung zur Eile mahnten, ist dann schon ein wenig seltsam.

Das Referendum über die neue Verfassung wird ein wichtiger Schritt in Richtung Demokratie sein. Wie groß dieser Schritt sein wird, das hängt jetzt davon ab, wieviele Menschen in die Wahllokale gehen. Rund 50 Millionen Ägypter sind wahlberechtigt. Anfang Juli gingen angeblich 30 Millionen auf die Straße, um gegen Mursi zu demonstrieren. Wenn die jetzt alle wählen gingen, läge die Wahlbeteiligung bei 60 Prozent. Und damit könnten sie in Ägypten schon ganz gut leben.

Die Freiheit der Versammlung

Diskussionsrunde im Mehrgenerationenhaus. Foto: rsp

Diskussionsrunde im Mehrgenerationenhaus. Foto: rsp

Vor knapp zwei Wochen war ich zu einer Diskussion im Mehrgenerationenhaus in der Wassertorstraße hier in Berlin-Kreuzberg eingeladen. Es ging um den Umgang der Medien mit den Ereignissen in Ägypten und in der Türkei. Die regelmäßigen Leser dieses Blogs werden vermutlich erahnen, welche Haltung ich zu diesem Thema eingenommen habe. Es ist wirklich jammerschade, dass bis zu jenem Zeitpunkt der ARD-Hörfunkkorrespondent Jürgen Stryjack seine Erkenntnisse über das neue ägyptische Demonstrationsrecht noch nicht unters Volk gebracht hatte. Das ist nämlich ein Paradebeispiel für das, was ich meine. Stryjak beschwört in einem Beitrag am vergangenen Sonntag Ägyptens Rückkehr zu einem Polizeistaat. Beleg dafür sei das neue Demonstrationsrecht: „Das neue Gesetz verlangt, dass Demonstrationen angemeldet werden müssen, mit konkreten Angaben zu Ziel, Organisatoren, Teilnehmerzahl, Anfang und Ende.“ Also ich kann das jetzt nicht so recht als Beleg für eine Rückkehr zum Polizeistaat sehen. Im Gegenteil, mir kommt das alles sehr bekannt vor. Ich lebe in einer Stadt, in der es jährlich etwa 2.000 Demonstrationen gibt. Die meisten davon sind angemeldet. Sogar die berüchtige „Revolutionäre 1.-Mai-Demo“, bei der es jedes Jahr in Kreuzberg zu manchmal schweren und manchmal nicht so schweren Krawallen kommt. Alle füllen sie brav dieses Formular aus, in dem nach Zweck, Ort, Demonstrationsroute und so weiter gefragt wird. Fast ebenso häufig gibt es heftige Diskusionen über die Route, denn es gehört schon zu den Ritualen, dass die Polizei grundsätzlich die Route ändert. Leben wir jetzt also in einem Fascho-Schweine-Staat? Die Anmelder der Demos, deren Routen geändert werden, würden dem ganz bestimmt zustimmen. Die Polizei wird dem widersprechen, weil sie ja nur den Kollataral-Glasschaden in Grenzen halten will. Aber verdammt noch mal – in was für einer Polizeidiktatur leben wir denn, wenn sie einen schon daran hindern, die gerechte Wut über die da oben an Schaufensterscheiben von Mittelständlern auszulassen?

Tja – alles gar nicht so einfach. Natürlich kann das Demonstrationsrecht missbraucht werden, genau so wie die Regelungen zum Versammlungsrecht missbraucht werden können. Rein theoretisch haben wir nämlich durchaus ein sehr restriktives Versammlungsgesetz, das allerdings sehr liberal ausgelegt wird. Unseres ist, zumal in seiner bayerischen Variante, in Teilen sogar deutlich schärfer, als der ägyptische Gesetzesentwurf.

Und das zweite erwähnte Gesetz? Nun gut, ich gebe zu, dass mir das ein wenig mehr Bauchschmerzen bereitet. Aber auch hier gibt es in der jüngeren deutschen Geschichte durchaus Parallelen. Es gab mal in den 70er Jahren den Radikalenerlass, da durfte ein Kommunist in der Bundesrepublik noch nicht mal Lokführer werden. Trotzdem, dieser Gummiparagraf kann natürlich die Einfallstür für eine neue Diktatur werden. Aber das muss nicht sein.

Vielmehr hätte mich interessiert, was denn zum Beispiel die Tamarod-Vertreter in der verfassungsgebenden Versammlung so treiben. Oder wie weit die Ägypter überhaupt mit ihrer neuen Verfassung sind. Das ist zum Beispiel auch ein Punkt, der in den deutsche Medien nie gewürdigt worden ist: Die Ägypter haben ihre künftige Verfassung eben nicht mehr in die Hände eines wankelmütigen Parlaments gestellt, sondern vor den Wahlen alle, aber auch wirkliche alle gesellschaftlich relevanten Gruppen an einen Tisch geholt. Kommt uns das nicht auch bekannt vor? Und sind wir mit diesem Ergebnis vom Herrenchiemsee nicht ganz gut gefahren?

Gute Presse

Ich gestehe: Es gibt Leute, auch Kollegen, die der Meinung sind, ich sei nicht immer ganz objektiv, wenn es um Ägypten gehe. Zumindest würde ich Ägypten dann doch ein wenig zu wichtig nehmen. Ich frage mich dann immer, ob sie das gleiche auch zu ihren Kollegen in der Autoredaktion sagen würden. „He, Kumpel, ich glaube, du nimmst Autos einfach zu wichtig!“ Ja, meine Güte, über was soll er als Autoredakteur denn sonst schreiben? Über Brezeln? Dann wäre er bei der „Bäckerblume“! Und so ist es eben auch bei mir. Ich habe vier Bücher über den Tourismus in Ägypten geschrieben, wie sollte ich Ägypten dann nicht wichtig nehmen? Soll ich mich jetzt auf Spitzbergen spezialisieren?

Umstritten im Kollegenkreis: Die einwöchige Pressereise ans Rote Meer. Foto: psk

Umstritten im Kollegenkreis: Die einwöchige Pressereise ans Rote Meer. Foto: psk

Die Reise nach Ägypten war im Kollegenkreis durchaus nicht unumstritten. Es gab bei den Reisejournalisten Kollegen, die stellten sich schlicht auf den Standpunkt, dass in ihrem Reiseteil Ägypten derzeit nicht vermittelbar ist. Andere mutmaßten, dass es sich ja hier nur um eine groß angelegte Propagandafahrt des ägyptischen Tourismusministeriums handeln könnte. Ja! Und? Sind nicht alle Pressereisen Propagandafahrten der jeweiligen Veranstalter? Dafür sind wir Journalisten, um genau mit solchen Dingen umzugehen. Wenn der VW-Konzern an einem milden Frühlingswochenende ausgewählte Motorjournalisten zu einer Probefahrt des neusten Modells nach Marbella einlädt (inlusive Flug und Hotel), dann macht das VW auch nicht deshalb, damit die Journalisten ganz besonders kritisch und genau hinsehen. Trotzdem wäre es wahrscheinlich eine berufliche Fehlentscheidung, an solch einer Reise nicht teilzunehmen.

Nun kenne ich niemanden aus meinem beruflichen Umfeld, der jemals einen Kollegen dafür kritisiert hätte, an Pressereisen oder den in der Branche aus guten Gründen so beliebten und gefürchteten Bilanzpressekonferenzen teilzunehmen. Aber offenbar scheint die ägyptische Krise viele Mechanismen bei der schreibenden Zunft außer Kraft zu setzen. Ich habe mich an dieser Stelle schon das eine oder andere Mal darüber gewundert, was die deutschen Korrespondeten in Kairo sehen und was sie nicht sehen wollen. Selektive Wahrnehmung führt schließlich auch zu selektiven Urteilen. Aber nun denn – sie müssen es selbst wissen.

Bei der Informationsreise für Reisejournalisten war zunächst ziemlich unübersehbar, dass doch einige Fachmedien diese Reise ungenutzt ließen. Das ist, in der besonderen Situation, in der Ägypten steckt, schon für sich genommen ein sehr erstaunlicher Akt. Er ist eigentlich nur darauf zurückzuführen, dass diejenigen, die der Einladung nicht folgten, Ägypten bereits als Reiseland abgeschrieben haben und es somit auch nicht mehr als in ihren Zuständigskeitsbereich gehörend betrachten. Auf dem Standpunkt kann man ja stehen. Ich halte ihn für ziemlich zynisch und unreflektiert.

Doch was ich dann in Ägypten erlebte, verschlug mir dann doch die Sprache. Da wurde der mitreisende Journalist eines Internetmediums mit dem Facebook-Posting eines Kollegen eines großen Tauchmagazins konfrontiert. Der schrieb dem Kollegen, dass solch eine Reise sicher „nett für Hobby-Journalisten“ sei, aber dass sich ernsthafte Journalisten von solch einer Reise fernzuhalten hätten. Solche Reisen würden ja eh nichts bringen. Nun könnte man in diesem Fall von einem tragischen Einzelfall sprechen, wenn nicht gerade im Umfeld der ägyptischen Krise manch merkwürdige journalistischen Dinge geschähen, die so gar nichts mehr mit dem zu tun haben, was ich vor 30 Jahren in meinem Tageszeitungsvolontariat mal gelernt habe (was ich bis zum heutigen Tag für einen der besten und ehrlichsten Wege in den Journalistenberuf halte).  Aber jemand der sich – auch noch coram publico – auf solche Weise an einen Kollegen wendet, stellt damit genau drei Dinge unter Beweis: 1. Er ist völlig arrogant und würdigt andere Kollegen herab. Schlau ist das jedenfalls nicht. 2. Er ist dumm, weil er sich freiwillig Informationsquellen beraubt, die er ja nicht kennenlernen kann, wenn er sich nicht an der Reise beteiligt. 3. Er ist ein lausiger Journalsit, weil er es offensichtlich für unmöglich hält, innerhalb von einer Woche selbst journalistisch wertvolle Quellen zu erschließen.

In dem genannten Fall sprechen wir jetzt „nur“ von Reisejournalisten. Ich weiß aus eigener, leidvoller Erfahrung, wie ich bei anderen Fachressorts in den letzten beiden Jahren vor die Wand gelaufen bin. Andererseits sehe ich Korrespondenten in deutschen Leitmedien schreiben, die in ihrer gesamten Zeit in Ägypten offensichtlich noch nie ein freundliches Wort für das Land übrig hatten. Andererseits hat der Spiegel nun den allseits hochgeachteten und in ägyptischen Belangen nahezu unantastbaren Chef der Auslandspressepresse, den 76jährigen Volkhard Windfuhr, aus dem Impressum entfernt. Der hatte in einer Pressemitteilung seiner Wut darüber Luft gemacht, dass die ausländischen Medien ausschließlich die Repressalien des Staatsapparats im Blick hätten, die Schandtaten des Moslembrüder aber ausklammerten. Windfuhrs Pech war, dass ausgerechnet zu jener Zeit ein Spiegel-Kollege festgenommen worden war.

Es ist auch verwunderlich, dass das ZDF in seiner Berichterstattung über die Ereignisse in Ägypten (laut eigener Mediathek) ihren ausgewiesensten Experten, Dietmar Ossenberg, zum letzten Mal am 12. Juli zu Wort kommen ließ. Dabei lässt sich dem ehemaligen Leiter des Auslandsjournals ganz bestimmt nicht einseitige Berichterstattung vorwerfen. Er ist in der Vergangenheit für seine Ausgewogenheit stets hoch geschätzt worden. Ob sie inzwischen noch immer gewollt ist? Ich weiß es nicht.

Wir sind im Westen immer schnell dabei, Ägypten auf seiner Suche nach einer stabilen Demokratie schlaue Ratschläge zu geben. Eine freie Presse gehört sicher dazu – und hier hat sich, allen Beteuerungen zum Trotz, noch kein Regime in Ägypten hervorgetan, auch das derzeitige nicht. Aber eine stabile Demokratie braucht auch eine ausgewogene und faire Presse – und dafür kann die westliche Presse mit ihrer Berichterstattung über Ägypten derzeit eher kein Vorbild sein.

Die Mär vom Militärputsch

Es war ein faszinierender Abend in der Berliner Urania. Eingeladen hatte der ägyptische Botschafter Mohamed Hagazy zu einem Konzert des Light-and-Hope-Orchestra. Das besondere an diesem Symphonieorchester ist: Es besteht aus 50 blinden Frauen aus Ägypten. Ohne Notenblätter und ohne einen Dirigenten am Pult ein zweistündiges Konzert zu geben, ist schon eine ganz erstaunliche Sache.

Das Light-and-Hope-Orchestra in der Berliner Urania. Foto:psk

Das Light-and-Hope-Orchestra in der Berliner Urania. Foto: psk

Es hätte eine dieser positiven Nachrichten sein können, die Ägypten so dringend braucht. Doch natürlich wurde auch an jenem Abend vor der Urania von einer Handvoll Demonstranten gegen den vorgeblichen Militärputsch protestiert. Einer hatte es auch in den Saal geschafft, und es ist ihm hoch anzurechnen, dass er das wunderbare Konzert nicht gestört hat. Nach dem frenetischen Applaus und den Standing Ovations schaffte es der Demonstrant auf die Bühne – und bedankte sich zunächst sehr lautstark für das schöne Konzert, lobte Ägypten. Da schallte ihm noch ein vielstimmiges, wenn auch leicht verwirrtes „Shukran“ entgegen. Als er aber dann auf die 50 Toten vom Vortag zu sprechen kam, wurde er fix von der Bühne entfernt. Botschafter Hagazy rettete die Situation und den Abend kurzerhand damit, dass er ein ägyptisches Volkslied anstimmte, das der ganze Saal begeistert mitsang.

Das wäre es doch, wenn das ganze Land seine Proteste, seine Probleme und seine Gewalt einfach wegsingen könnte. Mich persönlich würden die Proteste der verbliebenen Moslembrüder weit mehr überzeugen, wenn sie statt Knarren Blumen in der Hand hätten. Soll jetzt niemand sagen, dass sie sich damit nicht gegen Polizei oder Militär wehren könnten. Wenn sie nämlich sowieso für ihre Überzeugung sterben wollen, ist es doch letztlich völlig egal, was sie in der Hand haben. Und Gewaltlosigkeit war am Ende dort allemal erfolgreicher, wo Jahrzehnte des Blutvergießens nichts gebracht hatten – siehe Indien.

Doch so lange die Mär vom Militärputsch weiter Verbreitung findet, so lange wird das wohl auch nichts mit der Gewaltlosigkeit. Mit dem Verweis auf den Militärputsch rechtfertigen die Moslembrüder ja ihrerseits ihre Gewalt. Doch jeder der dieses Wort vom Militärputsch so locker im Munde führt – und das sind längst nicht nur Moslembrüder – hat bislang offensichtlich einen völligen Widerspruch in der jüngsten Ägyptischen Geschichte gar nicht auf dem Schirm. Wenn das nämlich ein Putsch war, was war dann die glorreiche Revolution von 2011? Vergleichen wir mal beide Ereignisse:

2011 begannen die Proteste am 25. Februar. Das Militär verhielt sich zunächst neutral. Am 11. Februar wurde Hosni Mubarak von den Militärs zum Rücktritt gezwungen, die anschließend die Macht in Form des SCAF, des obersten Militärrats, übernahmen. Sie gaben sie anderthalb Jahre auch nicht wieder her.

2013 begannen die Proteste am 30. Juni. Die offensichtliche Mehrheit des Volkes forderte Neuwahlen. Das Militär verhielt sich nicht neutral, schloss sich den Forderungen an. Mursi flüchtete sich in eine Kaserne (er wurde nicht mal irgendwo festgenommen) und wurde dort festgehalten. Der Oberbefehlshaber beruft einen runden Tisch ein und bestimmt den obersten Richter Adli Mansur, einen Zivilisten, zum neuen Präsidenten.

Wenn man beide Sachverhalte miteinander vergleicht, was war dann wohl eher ein Militärputsch? Nach der Ereignissen von 2011 wurden die Ägypter von der ganzen demokratischen Welt gelobt, 2013 von den gleichen Leuten kritisiert. Mir erscheint das ein wenig absurd. Mit Sicherheit gibt es einiges, was am Ägyptischen Militär zu kritisieren ist – vor allem, dass es nicht kritisiert werden darf. Aber eines ist auch klar: Ägypten ist nicht Argentinien oder Chile. Die Bedeutung und die Stellung des Militärs in der Gesellschaft ist eine ganz andere, als in anderen Ländern. Ich versuchte das schon einmal in den Blogbeiträgen „Die Macht der Generale“ und „Armee in der Falle“ zu beschreiben.

So lange die große Mehrheit der Bevölkerung hinter dem Militär steht, haben die demokratischen Kritiker im Grunde auch schlechte Karten. Aber wie schnell sich Mehrheiten ändern können, hat man gerade in Ägypten besichtigen können.