Definition einer Beleidigung

Es ist schon verblüffend mit welcher Schnelligkeit die ägyptische Geistlichkeit bewiesen hat, dass Präsident Sisi mit seinem Ruf nach einer religiösen Revolution recht gehabt hat. Die Reaktion der Al Ahza Universität auf die Titelseite der Charlie-Hebdo-Ausgabe hat das ganze Problem zwischen der islamischen Geistlichkeit und der christlich-abendländischen Lebensart offenbart. Das Cover wurde als Provokation und rassistischer Akt bezeichnet, also wiederum als Beleidigung des Islams bewertet.

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An diesem Punkt habe ich mich gefragt, wer denn eigentlich definiert, was eine Beleidigung ist: Der Beleidiger oder der Beleidigte? Betrachten wir uns doch einmal das Cover genauer. Eine weinende Figur mit Turban und Bart trägt ein Schild in der Hand: „Je suis Charlie“. Darüber steht der Satz „Tout est pardonné“ – „Alles ist vergeben“. Ich finde, dass ist alles andere als rassistisch oder provokativ. Im Gegenteil, es ist eine ganz große Geste der Versöhnung. Da haben in Frankreich drei junge Männer im Namen Allahs und des Propheten gemordet. In der westlichen Welt nehmen das leider viele zum Anlass, alle Moslems mit Terroristen gleich zu setzen. Die Opfer von Charlie Hebdo tun das eben nicht. Im Gegenteil: Durch das Weinen der Figur, durch das Schild „Je suis Charlie“ zeigen die Macher ja nur, dass auch sie davon überzeugt sind, dass die Attentäter eben nicht im Sinne Allahs und des Propheten gehandelt haben. Und darüber steht ein großes Bekenntnis der Vergebung und Versöhnung.

Und dann diese Reaktion aus Kairo! Inhaltlich können die Imame die Karikatur kaum kritisieren, sagt sie doch nichts anderes aus, als das, was sie vor Tagen von sich aus selbstherrlich in die Welt hinausposaunt haben. Es geht also um die Darstellungsform. Natürlich gehen die Geistlichen davon aus, dass es sich bei dieser Figur um Mohammed handeln – wobei selbst das ja nicht einmal sicher ist. Wenn der Prophet tatsächlich gemeint ist – und davon dürfen wir ruhig ausgehen – ist er in Form einer Karikatur dargestellt worden. Das ist in den Augen der islamischen Geistlichkeit das Verwerfliche, denn der Prophet darf nicht im Bilde dargestellt werden, schon gar nicht in einem Cartoon. Übrigens kennt der Koran gar kein Bilderverbot. Das Verbot im Islam wird aus den Hadithe abgeleitet. Aber es gilt vielen Moslems als wichtiges Gebot. Nun sind es ja keine Moslems, die diesen Cartoon gezeichnet oder veröffentlicht haben. Wären sie es, wäre es eine innerislamische Angelegenheit, dann wäre es Unsinn dem Westen per se Rassismus vorzuwerfen. Bei Charlie Hebdo handelt es sich um eine Satirezeitschrift, deren wesentliches Ausdrucksmittel die Karikatur ist. Verlangen die islamischen Sittenwächter allen Ernstes, dass sich die Opfer eines Anschlages, der auf sie im Namen des Islams verübt wurde, auch noch ihres eigenen Ausdrucksmittels berauben? Das hieße ja, Charlie Hebdo ein zweites Mal umzubringen! Nach dieser Logik ist es auch eine Beleidigung des Islams, wenn Ungläubige Schweinefleisch essen, Wein trinken und dem Glücksspiel frönen. Heißt das dann in der Schlussfolgerung, dass es eine Versöhnung nur zum Preis der Konvertierung geben kann?

Am Tag des Anschlages erschien in Frankreich der umstrittene Roman „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq. Darin entwickelt er die Vision eines Frankreichs, das sich aus lauter Political Correctness in einen islamistischen Gottesstaat verwandelt. Eigentlich hatte ich so etwas für Unsinn gehalten, aber die Reaktionen in der arabischen Welt auf das als Versöhnungsgeste gedachte Cover hat mich verstört. Vor allem ist die Reaktion Wasser auf die Mühlen jener 20.000 oder 25.000, die Montag für Montag unter der Fahne „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ auf die Straße gehen – und es ist auch ein Schlag ins Gesicht all der Zehntausend, die sich Montag für Montag gegen die Pegida-Demonstranten wehren. Und natürlich ist es vorderhand auch eine Niederlage für Abdel Fattah al Sisi, dessen Worte offenbar (noch) nicht auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Ich weiß, dass es auch in Ägypten Freunde von mir gibt, die nicht glücklich über die Karikatur waren. Aber vielleicht können auch sie die Botschaft weiter tragen, dass dieser Titel das genaue Gegenteil einer Provokation war, sondern das Versöhnungsangebot des Opfers – eines Opfers, das verzeihen kann. Daran müssen die ägyptischen Imame wohl noch arbeiten. Mich hat die Reaktion aus dem „Haus der Rechtsprechung“ übrigens als Europäer, Christ und Freund der islamischen Welt beleidigt – tief beleidigt. Aber ich geh am Montag trotzdem wieder auf die Straße und demonstriere – gegen die Islamfeinde der Pegida.

Sisi und die religiöse Revolution

Während hier in Deutschland Tausende auf die Straße gehen, um diesen wirren Verschwörungstheoretikern entgegenzutreten, die das Abendland vor einer Islamisierung retten wollen, hat es eine sensationelle Nachricht nicht einmal annähernd in unsere Leitmedien geschafft. Einzig der Tageszeitung „Die Welt“ ist aufgefallen, was Abdel Fatah al Sisi den Geistlichen Ägyptens bei seiner Silvesteransprache ins Stammbuch geschrieben hat. Doch auch in diesem Zusammenhang konnte es sich die „Welt“ nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, dass Sisi ja eigentlich doch ein Diktator sei, der gerade einen Komiker verfolgen lasse. Was das eine mit den anderen zu tun hat, wollte sich mir nicht so recht erschließen.

Doch was ist denn nun so sensationell? Sisi ist das erste Staatsoberhaupt eines muslimischen Landes, das eine tiefgreifende Reform des Islam fordert. Und das nicht irgendwo, sondern in der Al-Ahzar-Universität in Kairo, dem wichtigsten Lehrinstitut des sunnitischen Islams. Wörtlich sagte er unter anderem: „Das Werk der islamischen Texte und Ideen, die wir über die Jahrhunderte als heilig erklärt haben, erzürnt die gesamte Welt.“ Er ging darauf ein, dass es scheine, als wollten 1,6 Millarden Muslime die restlichen sechs Millarden Menschen auf dieser Welt töten. Dann warf er den Imamen vor, in alten Denkschemata verhaftet zu sein. „Wir brauchen eine religiöse Revolution. Und Sie Imame sind dafür verantwortlich. Die gesamte Welt wartet auf Ihren nächsten Schritt“, erklärte der Ägyptische Präsident.

Und das berichtet bei uns genau eine Tageszeitung! Haben diese Schnarchzapfen in den deutschen Redaktionsstuben nicht begriffen, dass diese Rede Sisis viel wichtiger und bedeutsamer war als jede Anti-Pegida-Demo oder ob am Kölner Dom und am Brandenburger Tor das Lichts ausgeknipst wird? Die Ansprache alleine ist schon eine Revolution. Alleine die Tatsache, dass der weltliche Staatschef den Geistlichkeit ziemlich unverholen eine Handlungsanweisung erteilt, die eine völlig Abkehr von bisherigen Kurs bedeutet, ist schon ein ziemlicher  Afront gegen die Geistlichkeit. Jeder, der die arabische Welt ein wenig kennt, weiß, dass Selbskritik und die Kunst des klaren Wortes nicht zu den Kernkompetenzen dieser Kultur gehören. Dass sich ein arabischer Staatsmann hinstellt und öffentlich erklärt, dass die ganze Welt die Muslime hasst – und zwar zurecht – ist ein einzigartiger und nie dagewesener Vorgang, der in der gesamten arabischen Welt für höchste Verblüffung gesorgt haben dürfte. Eigentlich fehlt ja nur noch, dass ihn irgendwelche Pegida-Aktivisten als Redner für die nächste Montags-Demo nach Dresden einladen. Zuzutrauen wäre es diesen Schwachköpfen. Tatsächlich könnte Sisis Vorstoß auch hierzulande das Ende von Pegida einläuten.

Nimmt man das Motto der Pegida ernst, dann fürchten sich diese Leute gerade mal vor ein paar Tausend Salafisten in Deutschland. Das sind so ziemlich die einzigen, die hier ernsthaft missionieren und Deutschland islamisieren wollen. Genau vor denen fürchtet sich ja auch der Ex-General auf dem Präsidentensessel. Die Salafisten und Dschihadisten verbreiten das Wort des Propheten so, wie er es selbst vor rund 1300 Jahren tat, nämlich mit Gewalt. Spannend ist dabei, dass ja viel mehr Moslems als Andersgläubige den Fanatikern zum Opfer fallen. Trotzdem hat sich nie ein König oder Präsident dezidiert auf der Glaubensebene mit den Erben Hasan al Banas auseinandergesetzt.

Warum kommt der Aufruf zur religiösen Revolution jetzt und was bezweckt er? Spätestens seit seinem Suezkanal-Coup ist Sisi praktisch unantastbar. Dadurch, dass er den „zweiten“ Suezkanal bauen lässt und und er das Geld dafür weitgehend im Land eingesammelt hat, ist es ihm gelungen, den viel beschworenen tiefen und angeblich unüberwindlichen Graben in der ägyptischen Gesellschaft in Rekordzeit zuzuschütten. Er kann inzwischen auf eine unglaublich breite Rückendeckung aus dem Volk bauen. Das gibt ihm gegenüber der Geistlichkeit auch ein starkes Gewicht. Sie soll sich nach Sisis Willen nun auch von den letzten Resten einer Moslembruderschafts-Gesinnung befreien. Die angekündigte religöse Revolution ist also somit auch Teil seines Feldzuges gegen die Moslembrüder und allem, was mit ihnen zusammenhängt.

Was sind die Auswirkungen? In Ägypten selbst wird sich die Geistlichtkeit ändern müssen, weil sie sonst sehr schnell zwischen zwei Fronten gerät: Einserseits die Politik, andererseits die Bevölkerung. Wenn sich das Verhältnis von Religion zu Gesellschaft in Ägypten verändern sollte, wird das zwangsläufig Auswirkungen auf alle Regionen dieser Welt haben, in denen Sunniten in größerer Zahl leben. Spannend wird es sein, wie ein andere großer Staatsmann reagieren wird. Recep Tayyip Erdogan könnte versuchen, den Vorstoß Sisis zu unterlaufen. Doch sollte das dem türkischen Präsidenten nicht gelingen und Sisis Aufruf zur Revolution Wellen bis nach Deutschland schlagen, dann könnte das das Ende von Pegida einläuten. Wenn sich nämlich ein großer Teil der Muslime in Deutschland offen und stark gegen die Salafisten zur Wehr setzt, ist der Pegida ihr eigentlich sinnstifendes Thema abhanden gekommen. Wenn die Islamisierung des Abendlandes erst einmal abgewehrt ist, dann wird die Pegida sich entweder auflösen oder ihr wahres Gesicht zeigen müssen.