Der Tod des Patriarchen

Der Papst ist tot – nicht der in Rom, sondern der Patriarch von Alexandrien, Schenuda III. 88 Jahre alt ist er geworden. Er ist damit vier Jahre älter als sein katholischer Kollege, dem er in seiner konservativen Einstellung in nichts nachstand. Ja, im Gegenteil. Mir sagte mal ein Ägypter, dass Benedikt XVI. im Vergleich zu Schenuda ein progressiver Eiferer sei.

Schenuda III. Foto: Chuck Kennedy

Durch Schenudas Tod richtet sich der Blick nun verstärkt auf die Kopten in Ägypten, die immerhin rund zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung ausmachen. Und diese Minderheit ist sicher eine genauere Betrachtung Wert. Bei den Kopten handelt es sich um eine durchaus sehr selbstbewußte Gruppe innerhalb der Bevölkerung – was immer wieder zu Spannungen und gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Moslems führt.

Die Kopten begreifen sich als Ureinwohner Ägyptens, deren Wurzeln bis in die Zeit der Pharaonen zurückreichen. Den christlichen Glauben hatte ihnen der Evangelist Markus gebracht, der erste Bischof von Alexandria. So sagen die Kopten auch von sich, sie seien die älteste christliche Kirche. Älter noch als die römisch-katholische. Erst 500 Jahre später eroberten die Araber Ägypten, und mit ihnen kam der Islam. Für manchen Kopten sind 90 Prozent der Bevölkerung nichts anderes als Eroberer. Mischehen zwischen Kopten und Moslems sind bei den Christen ebenso verpönt und verboten, wie bei ihren islamischen Mitbürgern. Gerade an diesem Punkt entzünden sich immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen.

In der fast 30 Jahren Regierungszeit unter Hosni Mubarak hat es vergleichsweise wenig blutige Auseinandersetzungen gegeben. Die häuften sich während der Revolution. Allerdings sind viele dieser zum Teil verheerenden Zusammenstöße auf Schergen des alten Systems zurückzuführen, die alles, aber auch alles dafür tun, das Land zu destabilisieren. Auf der anderen Seite haben Moslems während er Revolution die Kopten bei ihrer Sonntagsmesse auf den Tahrir beschützt, so wie es die Kopten während es Freitagsgebets auf dem Platz der Befreiung taten.

Der verstorbene Papst Schenuda hatte an seine Glaubensbrüder appelliert, sich nicht an den Demonstrationen zu beteiligen. Er stützte länger als andere den gescheiterten Diktator Mubarak. Allerdings hatten sich ja auch die Moslembrüder lange vornehm zurückgehalten. Schenuda hingegen hatte durchaus einen Grund, Mubarak etwas länger zu stützen. Zum einen fürchtete er eine islamistische Regierung, die Mubarak nachfolgen könnte, zum anderen erinnerte er sich natürlich noch an die Zeit unter Gamal Abdel Nasser, als Kopten drangsaliert wurden.

Die Schikanen des Präsidenten Nasser hatten allerdings nichts mit der Religion, sondern vielmehr mit der „Klasse“ zu tun. Kopten sind im Vergleich zu Moslems im Durchschnitt besser gebildet und wohlhabender. Die reichste ägyptische Familie ist eine koptische. Der Bauunternehmer Onsi Sawiris wurde in der 50er Jahren von Nasser im Zuge des „arabischen Sozialismus“ enteignet, kehrte 1972 aus dem Exil nach Ägypten zurück und machte dann ein Milliardenvermögen.

Sein Sohn Naguib ist heute eine der einflussreichen Personen in der ägyptischen Politik – und immer wieder Zielscheibe islamistischer Kritiker, wobei er selbst durchaus auch austeilen kann, wie eine von ihm verbreitete Karikatur von Disneyfiguren in islamistischer Aufmachung beweist. Er handelte sich damit eine Fatwa und ein Gerichtsverfahren ein, bei dem er aber freigesprochen wurde.

Naguibs Bruder Samih zeigt in der von ihm erbauten Stadt El Gouna, wie es gehen sollte. Da steht die Kirche neben der Moschee, und er achtet auf ein gedeihliches Miteinander. Trotzdem ist auch er voller Skepsis, was die Zukunft betrifft. Als die Führung der Moslembrüder zum ersten Mal offiziell das koptische Neujahrsfest besuchte, bewertete er das als „Show“. Ein wenig sarkastisch fügte er hinzu: „Aber rausschmeißen können sie uns nicht. Wir sind hier die Ureinwohner.“

Wahre Freunde

Dass es länger keinen Blogeintrag auf dieser Seite gab, hat drei Gründe. Der für mich angenehmste war, dass wir eine Woche im tschechischen Spindlermühle beim Skifahren waren. Der Zweite: ich musste das Manuskript nun überarbeiten und korrigieren. Heute kommt es ins Lektorat. Und der letzte Punkt: Ich musste vieles jetzt erst einmal sacken lassen.

Idyll mit Fragezeichen

Vorgestern jedoch hatte ich ein langes Gespräch mit einem alten Bekannten, der einen ganz ähnlichen Ägypten-Hintergrund hat wie ich. Es ging dabei um die Frage, wie die Zukunft der Europäer in Hurghada aussieht. Viele von den Betroffenen sehen sie alles andere als rosig. In diesem Gespräch berichtete der Bekannte von einem Europäer in Hurghada, der dort seit 25 Jahren lebt und arbeitet und heute sage, er habe unter den Ägyptern keinen einzigen Freund gefunden. Ich war im ersten Moment ein wenig schockiert, habe mir aber lange Gedanken darüber gemacht.

Ohne mir da jetzt ein großes Urteil anmaßen zu wollen, so scheint mir das gar nicht so ungewöhnlich zu sein. Aller Freundlichkeit und Gastfreundschaft zum Trotz, scheinen wahre Freundschaften zwischen Europäern und Ägyptern doch eher ungewöhnlich zu sein. Natürlich habe ich mich gefragt, woher das denn kommt und bin für mich zu einem höchst überraschenden Ergebnis gelangt. Ich glaube, es liegt daran, dass die ägyptische Gesellschaft streng strukturkonservativ ist. Selbst liberale, weltoffene und progressive Ägypter unterliegen diesem Strukturkonservatismus. Das heißt ja per se nichts schlechtes. So beinhaltet der Begriff auch gutes Benehmen, Höflichkeit und Respekt dem anderen Gegenüber, der sich er sehr stark im formalen Umgang miteinander zeigt. Er zeigt sich aber auch in einer sehr stark hierarchisch gegliederten Gesellschaft. Die bei uns so gerne zitierte „Augenhöhe“ gibt es in der ägyptischen Gesellschaft kaum. Jeder hat eigentlich seinen Platz in der Rangordnung.

Auf der anderen Seite sind da die Europäer, die vor 25 oder 20 Jahren ans Rote Meer kamen. Wer sich als Tauch- oder Surflehrer, Reiseleiter, Animateur, Gastronom oder anderweitig hier niedergelassen hatte, war ja aus europäischer Sicht schon soetwas wie ein Aussteiger. Bei manchen stimmte die Einordnung sicher, bei anderen nicht. Aber eines ist klar, die Grundhaltung der allermeisten, die in das Land kamen, war eher informell als förmlich. Und natürlich wollte man dem Gegenüber auf Augenhöhe begegnen. Niemand kam ja als Kolonialist oder wollte sich gar dem Vorwurf des Rassismus aussetzen. Für jemanden, der gewohnt ist, nur in Hierarchien zu denken, mag ein so legeres Verhalten wohl eher befremdlich wirken.

Können aus solch unterschiedlichen kulturellen Voraussetzungen tatsächlich wahre Freundschaften erwachsen? Natürlich könnte man an dieser Stelle trefflich über die Freundschaft an sich diskutieren. Doch in diesem Fall ist es ja vielleicht auch nur eine Frage der Definition. Was für den einen nur oberflächliches Geplänkel ist, bedeutet für den anderen schon tiefe Freundschaft.

Immerhin kann dieses Nachdenken über das zwischenmenschliche Miteinander auch dazu beitragen, zu verstehen, was in dem Land gerade passiert. Da hat ja nicht nur ein politisches System abgewirtschaftet, da wird auch die Struktur der Gesellschaft massiv in Frage gestellt. Die Veränderung der Landes führt leider auch dazu, dass manche Werte wegbrechen, die gerade die Europäer in Ägypten sehr geschätzt haben.

Ägypten wird nicht mehr das Land sein, das es vor der Revolution war, wenn die ganze Transformation erst einmal abgeschlossen ist. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen Ägyptern und Ausländern. Immerhin wollen beide, dass Ägypten ein beliebtes und attraktives Urlaubsziel bleibt. Deshalb werden sie auch in Zukunft an einem Strang ziehen. Die Geschäftsgrundlagen werden allerdings wohl neu ausgehandelt werden.