Warum erst jetzt?

Zwei Nachrichten erreichen uns heute aus Ägypten, die beide den Charakter des Überfälligen haben. Da ist nun die offizielle Bekanntgabe der Kandidatur von Abdel Fatah al Sisi zum Amt des Präsidenten, die nur auf zahllose inoffizielle Statements folgt, die eigentlich alle das gleiche beinhaltet haben. Das hatte am Ende schon etwas sehr Ermündendes. Nun ist es raus. Allah sei dank. Er wird gewinnen, haushoch, das ist klar. Ob da dann noch mitgeholfen wird oder nicht, dürfte keine allzu große Rolle mehr spielen, weil er inzwischen vom absolut überwiegenden Teil der Ägypter als Heilsbringer gesehen wird. Wobei es ja ganz witzig ist: Die einen erwarten von ihm eine neue Zeit, die anderen eine Rückkehr in die alte Zeit. Am Ende scheint’s egal. Alles was kommen mag, ist den in Augen vieler Ägypter besser, als das, was im Moment ist.

Der neue Präsident Ägyptens? Abdel Fatah al Sisi mit US-Verteidigungsminister Chuck Hagel. Foto: Erin A. Kirk-Cuomo (CC BY 2.0)

Der neue Präsident Ägyptens? Abdel Fatah al Sisi mit US-Verteidigungsminister Chuck Hagel.
Foto: Erin A. Kirk-Cuomo (CC BY 2.0)

Es gibt allerdings auch noch einige Ägypter, die sehen das mit großen Bauchschmerzen, was um Sisi herum abläuft, sehen, dass alte Strukturen wieder erstarken und dass sich ein Personenkult um Sisi entwickelt, den es seit Nasser nicht mehr gegeben hat. Der Personenkult um Mubarak, der ja nun auch allgegenwärtig war und sich alleine in Hurghada im Namen von rund einem Dutzend Stadtvierteln manifestiert hat, war von oben verordnet. Der Personenkult um Sisi wächst von unten. Das muss jetzt durchaus nichts Positives bedeuten. Ägypten hatte gerade den Sechstagekrieg verloren und Nasser seinen Rücktritt angekündigt, da marschierten sage und schreibe vier Millionen Menschen vor seine Privatwohnung und forderten ihn zum Bleiben auf. Das war damals auch nichts Gesteuertes. Das kam ebenfalls von unten. Wer sich daran erinnert, wird bei rosenbekränzten Sisi-Porträts auf dem Tahrir-Platz vielleicht auch ein wenig nachdenklich.

Aber es gab ja auch noch eine andere Nachricht, bei der sich der westliche Beobachter ebenfalls denkt: »Warum erst jetzt?« Ein Gericht hat heute der Hamas jegliche Betätigung auf ägyptischem Boden verboten. Das kommt einem Verbot gleich. Das klingt etwas merkwürdig. Die wichtigste Betätigung der Hamas besteht seit geraumer Zeit darin, ägyptische Soldaten und Polizisten umzubringen – übrigens auch während der Amtszeit von Mohammed Mursi. Mursi-Anhänger behaupten gerne, dass es zu den bürgerkriegsähnlichen Zuständen erst nach dem Sturz Mursis gekommen sei. Die vergessen gerne, dass es der Anschlag auf einen Grenzposten mit 16 Toten war, den Mursi 2012 genutzt hatte, um Feldmarschall Tantawi als Chef des SCAF (Oberster Militärrat) zu stürzen.

Und jetzt einmal an all jene eine Frage, die noch immer beklagen, dass mit Mohammed Mursi ein gewählter Präsident aus dem Amt gejagt wurde: Wenn während Mursis Amtszeit 16 ägyptische Soldaten von einer seiner Partei nahestehenden Organisation ermordert werden, warum hat er dann die Kraft, den Chef des Obersten Militärrates zu stürzen, nicht aber diese Organisation in Ägypten zu verbieten?

Natürlich kann man sich die Frage stellen, warum die Hamas in Ägypten erst acht Monate nach dem Sturz Mursis verboten wurde. Ich habe darauf auch keine schlüssige Antwort. Vielleicht war es einfach eine schleppende Bürokratie, vielleicht hat man die Hamas auch schlicht übersehen, weil man sich zu sehr mit dem Moslembrüdern befasst hat. Es soll ja auch noch in Deutschland Gemeinden geben, in deren Ehrenbrügerliste Adolf Hitler steht – und es wurde einfach vergessen, ihn zu streichen.

Inzwischen bin ich müde, darüber zu streiten, ob das Anfang Juli ein Militärputsch war oder nicht. Aber eines ist mir in den letzten Monaten immer klarer geworden. Wer ein Wahlergebnis als die einzig gültige Legitimation für die Macht betrachtet, ist auch nicht besser als ein Diktator. Zur Legitimation der Macht gehört außer der Mehrheit auch noch die Achtung vor der Verfassung, der Respekt vor dem Gesetz, die Rücksicht auf Minderheiten. Keine dieser Voraussetzung hat Mursi erfüllt, er ist lediglich mit einer hauchdünnen Mehrheit gewählt worden.

Sisi kandidiert, und die Hamas wird verboten. Eigentlich keine Neuigkeiten, die einen nun vom Hocker hauen müssten. Das einzig Überraschende ist wirklich die Frage: »Warum erst jetzt?« Trotzdem sind am 5. März 2014 vielleicht ganz entscheidende Weichen für das Land gestellt worden.

Teilen – aber wie?

Es ist ja eine traurige Tatsache in Ägypten: Wer an der Macht ist, haut seinem Gegner erst mal so richtig eins über die Rübe. Das war bei den Moslembrüdern so, und das scheint inzwischen bei der herrschenden Regierung auch nicht anders zu sein. Es sind ja nicht nur die Moslembrüder, die Prügel beziehen, sondern auch die, die drei Jahre nach dem Sturz von Hosni Mubarak fürchten, dass das alte Regime in Form einer Militärdiktatur zurückkommt.

Auch die ägyptischen Goldminen gehören zum Wirtschaftsimperium der Armee. Foto: psk

Auch die ägyptischen Goldminen gehören zum Wirtschaftsimperium der Armee. Foto: psk

Genau diesen Satz hört man nun immer öfter. Aber im Grunde ist er unsinnig. Wenn wir das Rad der Geschichte um drei Jahre zurückdrehen, dann stellt sich die Sache doch ganz, ganz anders dar. Mubarak wurde ja nicht deshalb gestürzt, weil man einen blutigen Militärdiktator beseitigen wollte. Es ist ja auch eine schlecht abzuleugnende Tatsache, dass der absolut größte Teil der Ägypter mit den ersten 20 der knapp 30 Regierungsjahre von Mubrak ganz zufrieden waren. Der Aufruhr begann doch erst, als die Familie Mubarak in Gestalt von Frau Suzanna und Sohn Gamal versucht hatte, den Staat zur persönlichen Beute zu machen. Das war dann selbst im Bakschisch-Wunderland Ägypten zu viel des Guten. Und weil das in Tunesien so gut geklappt hatte, machte man kurzerhand eine Revolution und fegte den Alten hinweg.

War das so? Am Ende war es der Oberste Militärrat (SCAF), der Mubarak förmlich auf seinem Stuhl in den Hubschrauber tragen musste. Und der SCAF übernahm dann praktischerweise auch gleich mal die Regierung. Es ist schon ziemlich erstaunlich, dass die Welt vor drei Jahren nicht von einem Militärputsch gesprochen hat. Die Begründung war ja einfach: Das Militär hatte schließlich nur den Willen der Millionen auf dem Tahrirplatz exekutiert (das darf jetzt jeder verstehen, wie er mag).

Komischerweise standen zweieinhalb Jahre später noch viel mehr Millionen auf der Straße. Mursi wurde auch nicht von den Militärs gedrängt, sein Amt aufzugeben. Der Präsident hatte sich aus Angst vor der Armee in eine Kaserne der Republikanischen Garde geflüchtet, die ihn dann einfach nicht mehr raus ließ. Im Gegensatz zum Machtwechsel 2011 hatte das Militär keine Sekunde lang die Macht in Händen. Trotzdem spricht man bei den Ereignissen von Juni und Juli 2013 von einem Militärputsch. Da versteh einer die Welt.

Im Prinzip ist es aber schon richtig. Das Militär bleibt ein Staat im Staat und bestimmt letztlich, wo es in Ägypten langgeht, politisch und wirtschaftlich. Da der glorreichen ägyptischen Armee auch fast die Hälfte des Landes gehört, könnte man ja fast schon von einem Mehrheitsentscheid sprechen. Aber Spaß bei Seite. Tatsächlich gilt diese große Ansammlung vor allem der wirtschaftlichen Macht beim Militär, als eines der größten Probleme des Landes. Und die Lösung klingt ja so einfach. Das Militär soll sich doch bitte von seinen Nudelfabriken, Mineralwasserbrunnen, Tankstellen, Klopapiermanufakturen, Reisebüros, Aluminiumwerken, Keramikbetrieben und all dem anderen Plunder trennen, der 44 Prozent des Bruttosozialproduktes erwirtschaftet. Ist ja auch klar, Nudel- und Klopapierhersteller in Ägypten, die nicht auf unbezahlte Wehrpflichtige als kostenlose Arbeitskräfte zurückgreifen können, haben auf dem Markt von Nudeln und Klopapier einen denkbar schlechten Stand.

Doch nun mal die Gegenfrage: Was würde denn mit Ägypten passieren, wenn morgen früh General Fatah al Sisi erwachen würde und sein erster Gedanke wäre: „Weg mit dem ganzen Schrott, wir verkaufen oder verschenken jetzt einfach alles!“? Natürlich muss das Militär teilen – alleine die Formel fürs verantwortungsvolle Verteilen muss erst einmal gefunden werden. Es ist natürlich einfach, die Missstände in Ägypten zu benennen. Das kann so ziemlich jeder, der sich nur ein klein wenig mit dem Land beschäftigt hat. Aber ich habe andererseits noch keinen einzigen Menschen erlebt, der auch nur ansatzweise so etwas wie eine Lösung angeboten hätte.

Natürlich muss sich das Militär von seinem Wirtschaftsimperium trennen. Aber wie soll es das tun, ohne dass in Ägypten der ganze Laden endgültig zusammenbricht? Vielleicht erinnert sich ja noch der eine oder andere daran, als die alte Bundesrepublik 1990 die Industrieparks der angeblich siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt übernommen hatte. Am Aufbau Ost werkelt Deutschland inzwischen seit 25 Jahren herum – und das mit der wirtschaftlichen Potenz Westdeutschlands im Rücken. Wer würde denn Ägypten helfen, wenn die Militärs die Firmen auf den Markt werfen würden? Die Saudis? Das kann ernsthaft niemand wollen.