Wer soll es denn machen ?

Es ist schon erstaunlich, wer einen Tag nach der Katastrophe von Port Said seinen Posten räumen musste. Dass der Gouverneur der Provinz Port Said und sein Sicherheitschef abgesägt wurden, ist klar. Das aber gleich der ganze Vorstand des Fußballclubs von El Masry geschlossen aus dem Amt gejagt wurde, ist schon ein wenig kurios. Die Demonstranten fordern jetzt aber den Kopf des Innenministers Mohammed Ibrahim und am besten gleich den Rücktritt des gesamten Kabinetts Kamal el Gansuri. Ganz besonders kecke Demonstraten haben sogar schon nach der Todesstrafe für Feldmarschall Mohamed Tantawi verlangt. Die, die etwas besonnener sind, rufen zumindest nach Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft.

Der Militärrat hatte ja im Herbst schon Schwierigkeiten, überhaupt wieder einen Premierminister zu finden. Dass es dann Gansuri wurde, hatte die Protestbewegung im höchsten Maße empört. Gansuri war schon einmal unter Mubarak der Ministerpräsident. Dass Gansuri mit fast 80 Jahren keinen besonderen persönlichen Ehrgeiz entwickelt, ist eigentlich klar. Er wurde es, weil der Militärrat einfach keinen anderen fand. Unmittelbar vor den Parlamentswahlen wollten sich weder Moslembrüder noch die Liberalen an diesem Amt die Finger verbrennen.So ähnlich sieht es jetzt auch in Sachen Präsidentschaftswahlen aus. Da traut sich noch niemand, sich so richtig zu positionieren.

Gesetzt den Fall, der Militärrat würde nun tatsächlich geschlossen zurücktreten. Wer sollte es dann machen? Es wird ja gefordert, dass die Präsidentschaftswahlen vorgezogen werden sollen. Aber es scheint kein mehrheitsfähiger Kandidat in Sicht. Die Moslembrüder, die mit der Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ über die größte Fraktion im Parlament verfügen, haben schon angekündigt, auf einen eigenen Kandiadaten verzichten zu wollen und statt dessen einen Konsenskandidaten über die Parteigrenzen hinweg finden zu wollen. Allerdings wollen sie in der Verfassungsgebenden Versammlung, in der sie wohl auch die Mehrheit erreichen werden, das präsidiale System durch ein parlamentarisches System ersetzen – damit hätten sie dann tatsächlich das Sagen. Aber diese Verfassung muss ja auch erst mal ausgearbeitet werden.

Derzeit gibt es, so sehr man das bedauern mag, gar keine vernünftige Alternative. Diejenigen, die sich als solche angeboten haben, wie zum Beispiel der frühere Chef der Atomaufsichtebehörde und Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradai, sind inzwischen völlig verbrannt. Die Argumentation, warum die Ägypter El Baradai nicht als Präsidenten sehen wollten, klang doch einigermaßen verblüffend: El Baradai habe zu lange im Ausland gelebt und dadurch den Bezug zum gemeinen Ägyptischen Volk verloren. Auslandserfahrung als Berufshindernis? Dabei sollten die Ägypter nur ein wenig in ihrer einen Geschichte graben. Zwei ihrer größten Führer waren Saladin im ausgehenden Mittelalter und Mohammed Ali Pascha im 19. Jahrhundert. Beide werden von den Ägyptern bis zum heutigen Tage hoch verehrt. Die Sache hat nur einen kleinen Haken. Diese beiden größten Söhne Ägyptens waren gar keine Ägypter. Saladin war Kurde und kam aus dem heutigen Irak. Mohammed Ali wurde als Sohn albanischer Eltern in Nordgriechenland geboren.

Vielleicht sollten sie es tatsächlich mal wieder mit einem von auswärts probieren. Ich hatte sie Idee schon vor drei Wochen in Ägypten mal vorsichtig anklingen lassen und meinte, dass wir demnächst vielleicht einen Präsideten mit Berufserfahrung billig abzugeben hätten. Die Antwort war niederschmetternd: „Danke, korrupt sein können wir auch selbst.“

Der Schock sitzt tief

Es ist gerade mal vier Wochen her, da veröffentlichte ich den Blogeintrag „Sie wollen nur spielen“. Unter anderem ging es dabei um ein Fußballspiel in der ersten ägyptischen Liga. El Gouna empfing den Tabellennachbarn von El Masry. Auch damals sorgten die Ultras der Gäste für Unruhe, als die einen leeren Gästeblock stürmten. Dass es jetzt aber soweit kommt, hat mich tief schockiert. In der Rückschau scheint die Wortwahl nun unangemessen flapsig. Doch wer kann so etwas schon voraussehen? Würde ich alle Möglichkeiten und Eventualitäten einkalkulieren, gäbe es hier keinen Platz mehr für ironische Zwischentöne und sarkastische Seitenhiebe.

Die Ultras von El Masry fielen schon beim Spiel in El Gouna Anfang Januar auf. Aber haben sie auch den Angriff auf die Al-Ahly-Fans zu verantworten?

Trotzdem – kam das wirklich so überraschend? Es gibt einige bemerkenswerte Tatsachen im Vorfeld der Katastrophe von Port Said, die niemand außer acht lassen darf. Fußball ist in Ägypten seit jeher eine hochemotionale Angelegenheit. Die Spiele zwischen den Kairoer Vereinen Al Ahly und Zamalek gehören zu den brisantesten Begegnungen überhaupt. Für das Lokalderby der ersten Liga werden regelmäßig ausländische FIFA-Schiedsrichter eingeflogen. Schwere Auseinandersetzungen zwischen beiden Fan-Gruppen sind fast an der Tagesordnung.

Im Vorfeld der Fußball-WM in Südafrika gab es im Oktober und November 2009 zwei Qualifikationsspiele gegen Algerien. Nach dem Spiel in Kairo war ein Entscheidungsspiel auf neutralem Boden notwendig geworden. Bereits in Kairo war es zu schweren Auseinandersetzungen gekommen. Die wiederholten sich im sudanesischen Omdurman. Beide Länder behaupteten später, das es bei den Fußballkrawallen jeweils auf der eigenen Seite Tote gegeben habe. Bewiesen ist das bis heute nicht.

Seit dem Beginn der Arabellion ist die Zahl der Spielabbrüche in der ersten ägyptischen Liga sprunghaft angestiegen – und das, obwohl die Polizei nun viel massiver präsent ist, als zuvor. Allerdings ist es auch eine schwer zu leugnende Tatsache, dass sich die Polizei seit Ausbruch der Revolution schnell verkrümelt, wenn es zu heiß wird – um dann auch machmal wieder in Zivil zu erscheinen, wie das heute vor einem Jahr bei der sogenannten Kamelschlacht der Fall war. Es sollen Polizisten gewesen sein, die sich damals aus den Ställen vor den Pyramiden Pferde und Kamele besorgt haben, um dann mit Knüppeln, Latten und Säbeln bewaffnet im Galopp durch die Menge auf dem Tahrir zu reiten.

Damals standen die treusten Fans von Al Ahly in den vordersten Reihen der Demonstranten. Dass es am Vorabend des Jahrestages der Kamelschlacht zu einer Abrechnung im Stadion gekommen sein könnte, ist ganz und gar nicht ausgeschlossen. Ob es wirklich minutiös geplante Attacke der alten Mubarak-Kader war wird sich allerdings erst noch weisen müssen.Warnungen, Drohungen und Hinweise hat es im Vorfeld jedenfalls gegeben.

Vielleicht wird der ein oder andere, angesichts von über 70 Toten (angeblich schweben 170 Verletzte noch in Lebensgefahr), sagen, dass es doch völlig unerheblich ist, ob der Angriff einen politischen Hintergrund hat, oder ob die El-Masry-Ultras einfach durchgedreht sind. Allerdings pflegt man einen 3:1-Sieg über die erfolgreichste Mannschaft des Kontinents eher nicht mit dem Niedermetzeln deren Fans zu feiern. Doch die Antwort auf gerade diese Frage ist für das Land ungemein wichtig. Wenn der Demokratisierungs- und Neuordnungsprozess in Ägypten auf diese Weise torpediert werden sollte, dann reicht die Bedeutungsschwere weit über 70 Menschenleben hinaus. Dann ist es eine Frage der Zeit, wann das alte Regime das nächste Mal zuschlagen wird und eine Frage, in welchem Gewand die Mubarak-Schärgen dann auftauchen werden.

Bereits jetzt glauben nicht wenige Ägypter daran, dass die Anschläge 1997 in Luxor, 2004 in Taba und 2005 in Sharm el Sheik gar nicht auf das Konto von Gamaa al Islamiyya und Al Khaida gingen, sondern ebenfalls vom ehemaligen Regime inszeniert worden sind. Das zeigt, wie weit die Verschwörungstheorien inzwischen gediehen sind. Lässt sich tatsächlich nachweisen, dass die Krawalle in Port Said aus politischen Gründen in Szene gesetzt wurden, dann wird das noch mehr Unruhe und Misstrauen in das Land tragen.

Auf dem langen und steinigen Weg zu geordneten Verhältnissen ist Ägypten am Abend des 1. Februar wieder zurückgeworfen worden. So viel steht leider fest.

Noch zwei Beiträge aus der Süddeutschen online:

Die Polizei stand einfach da und hat zugeschaut

Wir werden nie wieder Fußball spielen

Hauptsache geschrieben

Manchmal ist es ja wirklich zum aus der Haut fahren. Da gibt man sich noch immer der Illusion hin, dass Blätter wie „Der Spiegel“ oder die „Süddeutsche Zeitung“ so etwas wie Qualitätsjournalismus vertreten. Erstaunlicherweise war in den Online-Ausgaben beider Blätter am Mittwoch – passend zum Jahrestag der Revolution – ein Beitrag zum Thema darbender Tourismus in Ägypten. Dass es sich um einen dpa-Bericht von Annette Reuther handelte – nun ja, geschenkt. Warum sollen Spiegel und SZ nicht auch mal eine Reportage bei der Agentur kaufen dürfen? Aber doch bitte nicht so etwas!

Auch in Luxor war im Januar von Hitze keine Spur

Da erklärt die Autorin den Januar zur Hochsaison, in der in Luxor „Touristenbusse Menschenmassen im Sekundentakt ausspucken.“ Aha. Schon wieder was gelernt. Ich war vielleicht fünf bis zehn mal im Januar in Ägypten. Selbst ohne Terror und Revolution ist die Zeit zwischen Mitte Januar und Ende Februar die touristenärmste. Doch die paar versprengten  Touristen, die laut Frau Reuther durch Luxors Ruinen irren, müssen auch noch leiden: „Auch am Tempel von Hatschepsut schleppen sich nur ein paar japanische Touristen in der Hitze die Treppen zu dem kolossalen Gebäude hoch.“ Soso, Hitze! In Ägypten klagen die Menschen derzeit über den kältesten Winter seit 20 Jahren. In Alexandria ist Schnee gefallen, auf dem Sinai ist das Katharinen-Kloster von Schnee bedeckt. In Luxor dürfte nachts einfach mal der Gefrierpunkt erreicht worden sein. In der Sonne wird’s dann wärmer. Ein wenig über 20 Grad. Oh, mein Gott, wenn das Hitze ist, was macht dann Frau Reuther im Juli im Tal der Könige, wenn es fast 50° C im Schatten hat – allerdings gibt es dort keinen Schatten. Das ist Hitze!!!

Sie scheint ja ziemlich gute Geschäfte gemacht zu haben, denn sie zitiert auch noch Händler, die ihre Waren nun zu Revolutionspreisen verramschen. Passt auch alles schön ins Klischee-Bild. In Hurghada haben mir mindestens zwei Taxifahrer ihre überhöhten Preise mit dem eklatanten Mangel an Touristen erklärt. Die kamen nicht einmal im Traum auf die Idee Revolutions-Sonderangebote zu machen, weil das Geschäft so mies läuft. Das Phänomen der steigenden Preise bei fallenden Touristenzahlen habe ich übrigens auch schon früher in Ägypten beobachtet. Sorry, Frau Reuther, aber bei den Revolutionsschnäppchen bin ich ebenso skeptisch wie bei der großen Hitze im Tal der Könige und dem Urlauber-Boom der normalerweise im Januar Luxor überrollt.

Doch dann kam der Satz, der mich so richtig sauer gemacht hat: „Der Sieg der Islamisten und Berichte, wonach in Ägypten eine Religionspolizei nach saudischem Vorbild und ein Bikini-Verbot eingeführt werden sollen, dürften die Reisenden weiter eher skeptisch stimmen.“ Da spricht nun die wahre Expertin. Also für alle zum Mitschreiben: Es wird in Ägypten weder ein Bikiniverbot, noch ein Alkoholverbot, noch getrennte Strände oder eine Religionspolizei geben. Das haben die Moslembrüder ganz klar ausgeschlossen, weil sie selbst wissen, wie dringend sie das Geld aus dem Tourismus brauchen. Selbst bei der salafistischen Partei „El Nour“ hat es noch keinen einzigen Politiker gegeben, der solche Forderungen aufgestellt hat. Sie kommen nur von Salafisten nahestehenden Sheiks oder Imamen. Einer von ihnen hat sogar gefordert, dass Frauen auf dem Markt keine Bananen und keine Gurken mehr kaufen dürfen. Mann, hat der eine schmutzige Fantasie. Aber er ist jetzt auch in ganz Ägypten eine Lachnummer.

Ob der detailgenauen Beschreibung sind zumindest Zweifel erlaubt, ob diese Frau im Januar tasächlich in Ägypten war. Wenn sie wirklich dort war, dann handelt es sich „nur“ um schlechten Journalismus. War sie nicht dort, wäre die Geschichte gefaket und der Presserat sollte sich damit auseinandersetzen. Das Land hat wirklich schon Probleme genug. Da braucht es nicht noch solche Artikel.

 

Wieder daheim

Irgendwie erwischt einen der Alltag dann doch ganz schnell wieder. Gestern Abend gelandet und heute schon wieder in einem (aufgeräumten????) Büro. Zugegeben, das aufgeräumt war für mich tatsächlich sehr ungewöhnlich. Warum lass ich auch alles stehen und liegen, wenn ich wegfliege.

Bye, bye Hurghada

Ägypten lässt mich hier natürlich auch nicht in Ruhe. Aber es ist schon krass, wie unterschiedlich die Dinge in Ägypten und in Deutschland gesehen werden. Da wird es zu einem ganz großen Thema, dass einige Islamisten beim Schwur auf die Verfassung der Eidesformel noch „wenn es der Scharia entspricht“ zufügten und vom Parlamentspräsidenten zurückgepfiffen wurden. Übrigens hat auch ein Sozialdemokrat, der nun wirklich nicht im Verdacht steht, islamistisch zu sein, der Eidesformeln noch einen Satz angehängt, in dem er die Märtyrer vom Tahrir beschwört.

Vor ein paar Tagen hörte ich noch in Ägypten, dass die Militärs nach der Wahl die Regierung nicht auswechseln wollen. Auch das hat zu einigen Irritationen geführt. Jetzt habe ich mir mal die ägyptische Verfassung – zugeben nur oberflächlich – angesehen. Siehe da, Ägypten hat noch immer eine präsidiale Verfassung – aber keinen Präsidenten. Eigentlich ist der Militärrat der Präsident. Nun ist es mitnichten so, dass in einem Präsidialstaat die Regierung vom Parlament gewählt wird. Zum Beispiel Frankreich. Da wählt die Nationalversammlung auch nicht die Regierung. Oder wie ist es in den USA? Bestimmt da der Kongress, wer Minister wird? Man kann den Militärs in Ägypten ja vieles vorwerfen, aber dass sie nach den Wahlen die Regierung nicht austauschen, ist einfach mal verfassungskonform.

Allerdings ist das wichtigste Recht des Parlaments das Etatrecht, es wird als das Königsrecht des Parlaments bezeichnet. Doch genau da beschneiden die Militärs das Recht der Legislative, nämlich dann, wenn es um den Haushalt den Armee geht, in dem viele ausländische Milliarden stecken. Genau das könnte aber zur Nagelprobe für Ägypten auf dem Weg zur Demokratie werden. Gelingt es dem neugewählten Parlament, sein Königsrecht in ganzem Umfang durchzusetzen, dann wird das mit der Demokratie im Laufe der Zeit schon klappen. Gelingt es nicht, dann wird es kaum möglich sein, die Mubarak-Strukturen zu beseitigen. Denn wenn die bleiben, werden sie den Weg zur Demokratie verstellen, soviel dürfte wohl sicher sein.

Zum Schluss doch noch etwas Persönliches: Ich war heute mit Robert auf der Urbanstraße unterwegs und da fiel es mir prötzlich auf. Diese himmlische Ruhe im Auto. „Soll ich das Radio anmachen?“ fragte er irritiert. „Nein“, meinte ich, „Keiner hupt und alle fahren sie in Reih und Glied.“ Drei Wochen können manchmal schon eine lange Zeit sein…

Pressekonferenz im Orient

Nun habe ich ja schon die ein oder andere Pressekonferenz in meinem Leben besucht. Aber die heute morgen war schon etwas Außergewöhnliches. Geladen hatte der Verband der Reiseveranstalter Red Sea und – man höre und staune – die Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“. Eigentlich ist die Partei hier im Land und in Europa besser bekannt unter „Moslembrüder“.

Es stimmt schon. Hier handelt es sich im eine islamistische Partei. Die Frage ist jedoch, wie gemäßigt sie inzwischen ist. Aber das soll an dieser Stelle nicht das große Thema sein. Dass sich die Moslembrüder mit dem Touristenverband zu einer Pressekonferenz im Steigenberger Hotel treffen, ist schon mal bemerkenswert genug. Bislang war ich ja bei solchen Terminen ein paar Häppchen und ein wenig Getränke gewohnt. Wenn es etwas Größeres war, gab’s dann schon mal ein paar „Giveaways“ der besonderen Art. In Rottweil war die Jahrespressekonferenz im Milchwerk immer besonders beliebt, weil es da für die Pressevertreter Fruchtjoghurt in rauhen Mengen zum Mitnehmen gab.

Im Steigenberger gab es keinen Fruchtjogurt, dafür im Vorraum so ziemlich alle Köstlichkeiten des Orients, inklusiver zweier Schokoladenbrunnen. Aus dem einen sprudelte weiße, aus dem anderen braune Schokolade. Es war also kein Wunder, dass sich der Beginn der Veranstltung gleich um eine halbe Stunde verzögerte, aber das lag auch daran, dass sich der Gouverneur verspätete, was durchaus üblich und eingepreist ist.

Mazen und Abir - vielen Dank für Eure Hilfe.

Die erste Reihe des großen Saales war für die höhere Geistlichkeit und die lokale Politprominenz reserviert. Alle hatten sie kleine Tischchen mit Erfrischungen vor sich. Auch in der zweiten Reihe gab es Erfrischungstischchen. Sie war für hochrangige Militärs reserviert. Die folgenden Reihen hatten keine Tischchen. Dort saßen Freunde und Angehörige aus Reihe 1 und 2. Etwa in Reihe fünf hatten dann die ersten ägyptischen Journalisten Platz genommen. Danach, mit gebührendem

Abstand, kam der nächste Block mit mehreren Sitzreihen, in denen ausländische, vorwiegend russische Kollegen Platz nahmen. Die Pressekonferenz fand im Rahmen der ägyptisch-russischen Kulturwoche statt. Es gab auch eine Simultan-Übersetzungsanlage – leider nur arabisch-russisch, was mich jetzt nicht unbedingt weiter gebracht hätte. Doch mit Abir hatte ich eine wunderbare und hochkompetente Dolmetscherin an meiner Seite. So konnte ich den wesentlichen Punkten der Veranstaltung gut folgen.

Die wichtigste Erkenntnis: Die Muslimbrüder wollen den bislang vorherrschenden Tourismus nicht nur unangetastet lassen. Sie wollen den Tourismus vielmehr durch neue Produkte (übrigens explizit auch im Bereich Sport!!) weiterentwicklen und planen bis zum Jahr 2016 die Touristenzahlen auf 20 bis 25 Millionen zu steigern. Angesichts von 10 Millionen Urlaubern vor der Revolution scheint mir das ein sehr ehrgeiziges Ziel.

Der Vertreter der ägyptischen Sozialdemokraten forderte, im Tourismus mehr Augenmerk auf die Ökologie zu legen und die Arbeitsbedingungen der im Tourismus beschäftigten nicht außer acht zu lassen. Beonders bemerkenswert aber fand ich die Rede eines Sheiks der Al-Ahsar Universität in Kairo, der mit einem Koranzitat verdeutlichte, dass das Reisen durchaus ein gottgefälliges Werk und der Tourismus daher zu fördern sei.

Alles in allem dauerte die ganze Veranstaltung drei Stunden. Ich habe mir danach ausgemalt, wie Kollegen in Deutschland reagieren würden, wenn sie drei Stunden bei einer Pressekonferenz absitzen müssten. Es war eine sehr amüsante Vorstellung.

Für mich war es eine tolle Erfahrung, und gebracht hat es auch einiges. Nach drei Wochen fruchtbarer und intensiver Arbeit bildete diese PK einen sehr gelungenen Abschluss. Ich bin Mazen Okasha sehr dankbar, dass er mir den Besuch dieser Veranstaltung ermöglicht hat.

Inzwischen sind meine Bordkarten ausgedruckt. Der Flieger nach Deutschland geht morgen Nachmittag um 15.30 Uhr. Doch in Deutschland wartet noch viel Arbeit auf mich.

Das wird natürlich noch nicht das Ende des Blogs „Koulou tamam, Ägypten?“ sein. Ich werde auch weiter über die Entstehung des Buches und vor allem über die Entwicklungen in Ägypten berichten. Spannende Tage liegen vor uns. Am 25. Januar jährt sich der Ausbruch der Revolution zum ersten Mal. Über dem ganzen Land liegt eine gespannte Erwartung. Auch das Urteil über Hosni Mubarak steht noch aus. Wenn es gesprochen ist, wird es sicher auch Reaktionen auf der Straße geben. In diesem Zusammenhang übrigens ein Wort an alle Gegner der Todesstrafe (zu denen ich mich selbstverständlich auch zähle): Es ist zwar nicht ausgemacht, dass Mubarak zum Tode verurteilt wird (der Staatsanwalt hat das gefordert). Allerdings gilt es als ziemlich ausgeschlossen, dass er im Falle eines solchen Spruchs auch hingerichtet wird, denn das gibt die Gesetzeslage gar nicht her. Die sagt nämlich, dass ein über 80jähriger gar nicht hingerichtet werden darf. Ich schätze mal, dass die Ägypter damit weiter sind, als zum Beispiel der US-Bundestaat Texas.

Bittere Erkenntnis

Der Tourismusboom in Hurghada begann im November 1986. Im Juni 1991 kam ich zum ersten Mal in die Stadt, als ganz normaler Tauchtourist. Drei Jahre später begann ich hier gelegentlich als Tauchguide zu arbeiten. Seit 1997 schreibe ich über den Fremdenverkehr in Ägypten, 2003 erschienen meine ersten Bücher zum Thema „Ägypten und der Tourismus“. Eigentlich sollte ich Bescheid wissen. Ich habe die Urlaubsindustrie am Roten Meer als wirtschaftlich wichtigste Einnahmequelle beschrieben, weil rund jeder vierte Ägypter direkt oder indirekt an dieser Industrie hängt. Ich habe auch über die Gefahren berichtet, die dieses Phänomen mit sich bringt, dass nämlich immer mehr Menschen in diesem Sektor arbeiten wollen, weil hier die Löhne höher sind, als die Entlohnung für Ärzte oder Lehrer.

Das marode Bildungssystem war ebenso ein Thema, wie das Furcht erregende staatliche Gesundheitssystem. Wer Anfang der 90er ins Generalhospital musste, wurde von den Freunden verabschiedet, als begäbe er sich auf eine Reise ohne Wiederkehr. Glück hatte, wer ins Marine-Hospital kam, und als schließlich das private El Salam Hospital eröffnet wurde, schien der Fortschritt nicht mehr aufzuhalten. Die ägyptischen Schüler lernen in der Schule zwar nichts, und die Eltern werden von den Lehrern, die die Kinder schlecht oder gar nicht unterrichten, aufgefordert, Geld für private Nachhilfestunden zu bezahlen, die eben diese Lehrer dann selbst geben – aber was soll’s? In El Gouna entwickelte sich schnell eine inzwischen renommierte internationale Schule. Die vierte Klasse der deutschen Schule in Hurghada hat gerade den Mathematikpreis der Freien Universität Berlin gewonnen.

Mal ganz ehrlich, der Fortschritt in Ägypten schien doch nicht aufzuhalten!

Fortschritt? Wenn es überhaupt so etwas wie Fortschritt gegeben hat, dann nur in einem kleinen privatfinanzierten Bereich, der auch nur einer immer kleiner werdenden Gruppe von Ägyptern zugute kommt, nämlich der, die Geld hat. Ansonsten sind es Ausländer, die von privaten Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen profitieren.

Heute muss ich einsehen, dass Ägypten in diesen 20 Jahren, in denen ich das Land bereise und darüber berichte, völlig auf den Hund gekommen ist – und ich habe es nicht einmal bemerkt. Und ich bin nicht der einzige Europäer hier, dem diese Einsicht so langsam dämmert. Es ist nicht so, dass wir die Missstände nicht gesehen hätten. Was wir völlig ausgeblendet haben, war die Tatsache, dass es von Jahr zu Jahr schlimmer wurde. Wir haben das Übel als etwas Statisches betrachtet, das zu dem Land gehört, wie die Pyramiden. Eine schnell wachsende Metropole wir Hurghada hat natürlich darüber hinweg getäuscht, dass es mit dem gesamten Land in gleichem rasanten Maße bergab ging. Als ich das erste Mal Ägypten verließ, wurde mein Gepäck noch mit einer Personenwaage abgewogen! Inzwischen gibt es hier einen hochmodernen Airport. Früher brauchte der Reisende Travellerschecks und Dollar, heute stehen an allen Ecken Geldautomaten. McDonalds und Burger King sind auch schon da. Das alles kann doch kein Zeichen für Rückschritt sein! Vielleicht nicht, aber es hat möglicherweise den Blick darauf verstellt, wie rasant sich die grundlegenden Dinge für die allgemeine Bevölkerung verschlechtert haben.

Urlauber müssen sich darüber keine Gedanken machen. Sie sollen hier ihre wohlverdienten Ferien genießen. Aber die, die leben, lebten, arbeiten oder gearbeitet haben, könnten sich heute vielleicht die ein oder andere Frage stellen. Natürlich ist der Tourismus nicht schuld daran, dass die Dinge so liegen, wie sie nun mal liegen. Aber komisch ist es schon, dass die Europäer während der ägyptischen Revolution viel panischer reagiert haben, als ihre ägyptischen Mitbewohner. Die nehmen die Umwälzung mit der Gelassenheit einer 7000 Jahre alten Hochkultur. Zwar gehen sie jetzt wegen jedem Dreck auf die Straße und demonstrieren lautstark, aber die Zukunftsangst der Europäer kennen sie nicht. Warum auch? Sie haben ja viel weniger zu verlieren. Und? Was wird aus eurem Land? „Mafish mushkella“ – „Kein Problem“. Irgendwie wird es schon klappen.

Parallelen

Housam ist Chefkoch bei Thomas und Barbara. Er stammt aus Oberägypten und hat vor fast 20 Jahren in der damaligen „Villa Kunterbunt“ als Putzkraft begonnen. Thomas meinte schon kurz nach meiner Ankunft, dass Housam einer meiner wichtigsten Gesprächspartner werden könnte. Er ist ein sehr gläubiger Moslem, ohne fanatisch zu sein, verleugnet seine Herkunft vom Land nicht und kann die Vorstellungen seiner Landsleute aus dem Niltal sehr genau wieder geben.

Chefkoch Housam

Der eigentliche Interviewtermin war noch gar nicht geplant, da traf ich ihn gestern morgen am Hintereingang des Restaurants. Weil der Schlüssel noch fehlte, kamen weder er noch seine Küchenbrigade an den Herd. Und so haben wir uns eine halbe Stunde lang über Gott und die Welt, Mubarak und die Revolution, über Bildung und Wohlstand – und natürlich über Ägyptens Zukunft unterhalten.

Zum Thema Demokratie meint er: „Das ist doch wie mit einem kleinen Kind, das laufen lernt. Natürlich fällt es ein paar Mal hin, ehe es laufen kann. So ist das bei uns mit der Demokratie auch. Na und?“ Da muss ein westlicher, demokratiegestählter Besserwisser dann schon einmal kurz schlucken. Wo der Mann Recht hat, hat er Recht.

Dann aber ein echter Schock. Es geht um Mubarak. Die letzten zehn Jahre seien schon schlimm, die 20 Jahre zuvor ganz okay gewesen. Große Begeisterung für den „Pharao“ klingt anders. Ich werfe ein, dass Ägypten im gleichen Zeitraum zuvor fünf Kriege erlebt hatte – und unter Mubarak habe es keinen mehr gegeben. Housam zuckt mit den Schultern. „Na und? Heute geht es uns schlechter, als zuvor. Mubarak hat den Frieden doch verschleudert.“ So, ist das also die Meinung der einfachen Leute vom Land?

Nachmittags habe ich ein Gespräch mit Mazen. Er hat Germanistik studiert, ist Buchhändler, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei am Roten Meer, Gewerkschaftschef der Fremdenführer. Er konnte Mubarak schon als Kind nicht leiden. „Der kann ja nicht einmal richtiges und sauberes Arabisch sprechen“, meint Mazen fast angewidert. Aber immerhin habe er dem Land doch 30 Jahre Frieden gebracht, versuche ich es an diesem Tag schon zum zweiten Mal. „Na und?“ fragt Mazen verwundert. „Unser Bildungssystem, unser Gesundheitswesen, alles ist verrottet. Uns geht es schlechter als vor 30 Jahren. Wo stand damals Malaysia zum Beispiel im Vergleich zu Ägypten? Und wo steht Malaysia heute, und wo stehen wir?“

Ich erfahre an diesem Nachmittag noch einige erstaunliche Parallelen zwischen dem einfachen Koch und dem intellektuellen Buchhändler. Beide beklagen zum Beispiel, dass Ägypten international nicht mehr diesen Rang einnimmt, der ihm zukommt. „Ägypten war doch einmal das Herz der Welt“ – beide drücken sich fast wortgleich aus. Es ist erstaunlich. Housam stand während der Revolution hinter seinen Töpfen und kochte für die wenigen Touristen, zur gleichen Zeit erlebte Mazen die berüchtigte Kamelschlacht auf dem Tahrir und wurde in einem Steinhagel der Mubarakanhänger schwer verletzt. Trotzdem wählen sie fast die selben Worte.

Es sind aber auch Worte voller Hoffnung, die nicht unbedingt zu dem passen, was manche hier lebenden Europäer befürchten. Housam und Mazen schauen beide sehr gelassen und optimistisch in die Zukunft. Und wenn die Moslembrüder nun an die Macht kommen – nun denn. Dann müssen sie sich eben beweisen. Und wenn sie es nicht können? „Dann verjagen wir sie eben wieder“, meint Housam, grinst, schlägt mir auf die Schulter und meint: „Don’t worry!“

Auf hoher See…

Eigentlich ist es schon ein seltsames Phänomen. In kaum einem Land ist der Tourismus älter als in Ägypten. Immerhin hat schon Herodot auf die Pyramiden als Sehenswürdigkeit hingewiesen. Aber der Massentourismus, der nun so viel Geld ins Land bringt, dass ganz Ägypten am Tropf des Fremdenverkehrs hängt, ist gerade mal etwa 25 Jahre alt. Und dass es überhaupt dazu kam, hat Ägypten einer ganz bestimmten Klientel zu verdanken. Die ersten, die mit Kamelen, Jeeps und Unimogs ans Rote Meer pilgerten, waren Taucher. Für die wurden erst Zeltplätze, dann ein paar Baracken und schließlich kleine Hotels errichtet. Kaum standen die Hotels, brachten die ersten Taucher ihre Familien mit. Die nichttauchenden Familienmitglieder fanden die unberührten Strände ganz toll – und so nach und nach kamen die ersten Urlauber, die nur der Strände wegen kamen. Und so wuchsen, ja wucherten die Hotels am Roten Meer.

Inzwischen machen in normalen Zeiten die Taucher in Hurghada nur noch etwas mehr als zehn Prozent der Touristen aus. Aktuell sind es aber über 30 Prozent. Und so war es auch in der Vergangenheit. Ich kam 1991 drei Monate nach dem Golfkrieg zum ersten Mal nach Hurghada. Strandtouristen gab es praktisch keine, aber die Tauchboote waren voll. Tatsächlich haben sich Taucher in all den Jahren nie von irgendwelchen Krisen und Katastrophen abhalten lassen. Natürlich gehen auch die Taucherzahlen in diesen Zeiten zurück. Sie brechen aber nie so dramatisch ein, wie die der „normalen“ Urlauber. Sie sind strukturell die wichtigste Urlaubergruppe geblieben und sie haben den Fremdenverkehr immer wieder über manche Krisenzeiten gerettet.

Klein Giftun (rechts)

Ich war heute zwischen den Giftuninseln tauchen. Nun gehört Sha’ab Dorfa nicht gerade zu meinen Lieblingsplätzen. Aber zwei große Napoleons und zwei üppige Schildkröten machen auch solch einen Platz zu einem schönen Erlebnis, über das dann an Bord lang und ausdauernd geredet wird. Die Revolution war weit, weit weg – wie eigentlich immer an Bord. Da geht es eigentlich nie um Politik, sondern nur ums Tauchen. Das Boot und das Meer bieten eine gewisse Sicherheit vor all den Unbilden an Land. Selbst die ägyptische Besatzung verändert sich komplett. Vor dem Ablegen wurde ich noch Zeuge einer hitzigen politischen Diskussion zwischen unserem Kompressorchef Mustafa und dem Kaptain unseres Bootes. Das einzige, was ich verstand, war immer wieder der Name Mubarak. Kaum hatte das Boot abgelegt, wurde die Stimmung viel entspannter und lustiger. Umgekehrt funktioniert es allerdings auch. Kaum sind alle wieder wohlbehalten an Land, drehen sich die Diskussionen beim Dekobier um Politik, Revolution und die Auswirkungen auf den Tourismus.

Andreas war heute noch besonders empört, über das, was ihm vor einem Jahr passierte, als er zum Tauchen nach Hurghada fliegen wollte. „Vier Tage vor Abflug ruft das Reisebüro an und erklärt mir, dass meine Reise storniert worden sei…“ Es hätte ihn dann kurzerhand auf ein anderes Ziel umgebucht. „Ich musste dann nach Teneriffa“, erzählte er angewidert. Das Mitgefühl aller anderer Taucher war ihm sicher.

Die Freiheit der Meinung

30 Jahre lang war das mit der Meinungsfreiheit so eine Sache. Nun nutzen die Ägypter diese Freiheit bei jeder sich bietenden Gelegenheit – und dehnen den Begriff dabei bisweilen in einer Art und Weise aus, die den freiheitsliebenden Europäer dann doch etwas verblüfft. Manchmal kann der Anlass ein scheinbar nichtiger sein. Gestern morgen lag in Hurghada ein unschuldiger Gullideckel auf der Straße herum und nicht da, wo er liegen sollte. Früher wäre ein daraus resultierender Achsbruch mit Schulterzucken als der unergründliche Wille Allahs abgetan worden. Doch das Schicksal wollte es, dass sich an diesem Morgen ein Taxi, das sich in diesem Schlagloch verfing, mehrfach überschlug und auf dem Kopf liegen blieb.

Was ein Gullydeckel so anrichten kann.... Foto: Hadad Khairy

Doch Allah ist mit den Seinen und der Fahrer blieb unverletzt. Es blieb allerdings die Frage, wie der Gullideckel dahin kam, wo er lag. Die Antwort lag auf der Hand: Es handelte sich um eine Schlamperei der Straßenbaubehörden. Und wer ist verantwortlich für Behörden? Der Gouverneur! Es kam zu einer großen Demonstration, die den Verkehr auf der Hauptverkehrsstraße komplett lahm legte. Die erste Forderung der Demonstranten: Der Gouverneur muss her, er soll sich die Sauerei ansehen und für Abhilfe sorgen. Außerdem sollte er umgehend ein Ersatzfahrzeug für den verunglückten Fahrer stellen, dessen Fahrzeug nur noch Schrottwert hatte. Der Gouverneur zeigte sich zwar nicht, aber natürlich wurden sowohl Abhilfe bei den maroden Straßenverhältnissen, als auch Kompensation für den Fahrer versprochen. Ob’s dazu kommt? Inshallah.

Im Sinai hat sich die freie Meinungsäußerung auf ganz andere Weise Bahn gebrochen. Dort sind acht deutsche Touristen festgesetzt (andere sagen: entführt) worden. Die Forderung der Festsetzer (oder Entführer): Die Wahlen im Südsinai müssen wegen Wahlfälschung wiederholt werden. Der dortige Gouverneur gab den Forderungen sofort nach. In Hurghada werden jetzt schon Überlegungen angestellt, ob dieses Beispiel wohl Schule machen könnte.

Es ist schon seltsam, über die Freiheit der Meinung in Ägypten zu schreiben, wenn im Hintergrund gerade Udo Jürgens „Ich war noch niemals in New York“ singt und „… ich war noch niemals richtig frei“. Das hat schon etwas Bizarres.

Bizarr ist allerdings auch, wenn ich mir heute anhören darf: „Was regt ihr euch über Ägypten auf. Haben wir einen Wulff? Werden bei uns Staatsanwälte im Gerichtssaal erschossen?“ Tja, es kommt eben alles auf den Blickwinkel an.

Die Wüste lebt

Kleiner Kulturschock im Nirgendwo: Ein riesiges Einkaufszentrum mitten in der Wüste

So kann sich der Mensch irren. Ich dachte tatsächlich, dass mich – zumindest hier in Hurghada – nichts mehr schocken kann. Doch dann rief mich Barbara kurz nach zwölf an und meinte, sich solle mit ins Senzo-Center fahren. Wir fuhren los und fuhren und fuhren – in Richtung Süden. Gefühlt auf dem halben Weg nach Safaga standen wir plötzlich vor einem riesigen Einkaufscenter (Grundfläche schätzungsweise 30.000 qm) – mitten in der Wüste. Nach erfolgreichem Einkauf kamen wir dann so ein wenig ins Grübeln. Das amerikanische Schnellrestaurant mit dem großen gelben M war der Anlass. Im Januar 1995 hatte ich einen Interviewtermin in Kairo. Ich flog morgens hin und nachmittags zurück. Mein Basisleiter schärfte mir ein, dringend zwei, drei oder vier Hamburger von McDonalds mitzubringen. Auf dem Rückweg hatte ich eine Tüte auf dem Schoß, die mir bis zur Stirn reichte, sie war voll mit allen möglichen Produkten von MacD. Ich dürfte einen reichlich albernen Anblick geboten haben. Meinem Basisleiter Peter D. trieb es jedenfalls die Tränen in die Augen, als er die Tüte sah. Das ganze Zeug kam in die Mikrowelle und wir haben gespachtelt, bis keiner von uns mehr „papp“ sagen konnte. Dann klopfte es an der Tür. Kollege Joe kam vom Heimturlaub aus dem Allgäu zurück und hatte offenbar die elterliche Metzgerei ausgeplündert. Jedenfalls lud er uns zum Schlachtplatte essen ein. Im gleichen Jahr machte der erste McDonalds in Hurghada auf.

McDonalds ist für die meisten Ägypter unerschwinglich. In den zahlreichen Shops in der Senzo-Mall können auch die wenigsten Ägypter einkaufen, denn die supertollen westlichen Marken sind hier sogar noch teurer als in Europa.

Vor zwanzig Jahren war der Flughafen in Hurghada eine Luftwaffenbasis, die mehr oder weniger unzureichend für die paar Charterflugzeuge zurechtgezimmert worden war, die da innerhalb von einer Woche landeten. Inzwischen soll der Airport der drittverkehrsreichste Afrikas sein (nach Kairo und Nairobi), was ich persönlich allerdings kaum glauben kann. Im Moment ist er es sicher nicht. Als ich vor einer Woche ankam, standen gerade sechs Maschinen da. Früher wäre der Flughafen völlig überfüllt gewesen. Heute wirkt er damit fast wie ausgestorben. Trotzdem wird gerade unter Hochdruck an einer enormen Erweiterung gearbeitet. Die wird auch dringend notwendig sein, wenn sich hier alles wieder normalisiert.

Mit der Erweiterung der Flughafens wird es natürlich noch mehr Hotels und noch mehr Markenshops geben – und damit noch mehr Dinge, an denen der normale Ägypter gar nicht partizipieren kann. Im Sommer, so erzählt Thomas, sei die Senzo-Mall inzwischen der Treffpunkt junger Ägypter, die freilich nichts einkaufen können. Aber die vollklimatisierte Mall mit ihren Spielhallen und überdachten Freizeitparks ist bei 40 Grad im Schatten ein sehr angenehmer Platz, um einfach abzuhängen.

Hat die Revolution vielleicht auch damit zu tun, dass die jungen Ägypter an diesem offenkundigen Luxus für die Urlauber nun ebenfalls teilhaben wollen? Diese Entwicklungen gibt es doch nicht nur in Hurghada oder Sharm el Sheik, sondern auch in Kairo oder Alexandria. Natürlich hatte das Volk vor einem Jahr von Mubarak einfach mal die Nase voll. Doch vielleicht verbinden viele junge Ägypter mit der Revolution auch ganz einfach nur den Wunsch, nicht mehr nur vor den Schaufenstern der Läden zu stehen, sondern dort irgendwann mal selbst einkaufen zu können.