Aufgeben gilt nicht

Vor mehr als einem halben Jahr habe ich in diesem Blog den letzten Beitrag veröffentlicht. Nach einem Jahr dachte ich, dass es jetzt mal gut sein müsste. Allerdings war mir aber, angesichts der ägyptischen Politik – darf man dieses Chaos überhaupt so benennen? – auch die Lust vergangen, noch weiter zu schreiben. Außerdem kam ich mir ziemlich bescheuert vor. Tatsächlich hatte ich eine Zeit lang daran geglaubt, dass die Moslembrüder die Kurve bekommen würden. Am Ende behielten die Recht, die von Beginn an vor der Bruderschaft gewarnt hatten.  Doch selbst die sind nun von dem Ausmaß der Konfusion ziemlich überrascht.

Gute Nacht, Ägypten?

Gute Nacht, Ägypten?

Diejenigen, die den Brüdern zutrauten, das Land zu ordnen oder wenigstens richtig zu verwalten, verwiesen ja nicht ohne Grund darauf, dass die Bruderschaft, die in diesem Jahr immerhin 85 Jahre(!) alt wird, stehts straff geführt und sehr gut durchorganisiert war. Und nur dieser Organisationsgrad habe es möglich gemacht, dass die Moslembrüder auch in der Zeit, da sie verboten waren, effektiv weiter arbeiten konnten und sogar wuchsen.

Von höherer Organisation- und Verwaltungskunst ist heute bei den Brüderen nichts mehr zu erkennen. Im Gegenteil. Die Versorgungslage wird von Tag zu Tag schlechter. Das Stromnetz steht vor dem Kollaps, die Produktion wird immer geringer, die Preise explodieren, die Einnahmen aus dem Tourismus brechen weg, das ägyptische Pfund zerfällt (aktueller Kurs heute: 1:9,36). So ziemlich jedes Gebiet in Wirtschaft und Gesellschaft ist heute deutlich schlechter dran, als zu den Zeiten Mubaraks. Auch Sitten und Moral verfallen – was nun ausgerechnet bei den islamischen Sittenwächtern seltsam anmutet. Im Februar wurde ich auf dem Flughafen in Hurghada Zeuge einer unfassbar bizarren Szene: Da kam es zu einer Prügelei zwischen Angehörigen des Sicherheitspersonals, weil sie sich nicht darüber einigen konnten, welches von drei Durchleutungsgeräten für die Passagiere benutzt werden sollte (Für alle, die sich auskennen: Das ganze spielte sich zwischen Passkontrolle und Duty-Free-Bereich ab).

Die jüngsten Schlagzeilen aus Ägypten sind auch alles andere als ermutigend. Mursi hat acht neue Gouverneure ernannt. Besonders „feines Gespür“ bewies er bei der Ernennung des Gouverneurs von Luxor. Adel Asaad al-Chajat gehört zur Gamaa al Islamiyya und damit zu der Organisation, die 1997 für das fürchterliche Blutbad am Hatshepsuttempel vor den Toren von Luxor verantwortlich gemacht wird.

Aussicht auf Besserung? Viele Ägypter schielen teils hoffnungsvoll, teils angstvoll auf den 30. Juni. Da sind in Kairo wieder große Proteste angekündigt. Mittlerweile schwirrt schon das Wort von der „Zweiten Revolution“ durchs Internet. Als hätten sie von der ersten noch nicht genug. Und dann ist da noch die Sache mit dem Militärputsch. Selbst überzeugte Demokraten sehnen sich den inzwischen herbei, weil sie glauben, dass dann wieder Ruhe und vor allem eine gewisse Ordnung im Land einkehren. Aber die Militärs zieren sich. Sie müssten ja dann Verantwortung übernehmen, das haben sie ja schon nicht getan, als sie in Form des Obersten Militärrats (SCAF) an der Macht waren. Mursi und seine Brüder haben im letzten Jahr schon weiß Gott viel Unheil angerichtet. Aber was der SCAF hinterlassen hatte, war auch alles andere als ein geordnetes Haus. Und dann noch eines: Als Mursi vor einem Jahr den greisen Feldmarschall Tantawi kurzerhand vor die Tür setzte, ordnete er auch den Militärrat neu. Nun muss man sicher nicht dreimal raten, wieviele Kritiker Mursis oder der Moslembrüder in dem höchsten Militärgremium sitzen.

Eine andere ägyptische Hoffnung stirbt derzeit jenseits des Mittelmeeres auf dem Taksimplatz in Istanbul. Rund zehn Jahre lang hat in der Türkei eine islamische Partei der Welt gezeigt, dass sie auch Demokratie kann – und das noch mit bis zu neun Prozent Wirtschaftswachstum. Das Thema dürfte nun auch begraben werden. Die Türkei als Vorbild für Ägypten? Fatalerweise scheint es ja umgekehrt zu sein. Erdoğans Rhetorik erinnert fatal an Mursis Geschrei mit dem Tenor „Wir haben die Mehrheit, wir dürfen alles“.

Wenn ich auf die Blogbeiträge vom vergangenen Jahr schaue, dann waren sie am Anfang eigentlich sehr von Hoffnung und Zuversicht getragen und wurden – analog zur politischen Entwicklung – immer pessimistischer. Natürlich ist der Frust groß, dass meine optimistischen Prognosen nicht eingetroffen sind. Aber vielleicht ist es auch inkonsequent, der ägyptischen Opposition vorzuwerfen, dass sie lieber wegläuft, als sich im Parlament beschimpfen zu lassen, und selbst in Schweigen zu verfallen, weil die eigenen Prophezeiungen kläglich danebengegangen sind. Aufgeben gilt nicht. Das sollte ich eigentlich von all den Freunden in Ägypten gelernt haben, die dort Fuß gefasst haben und allen Widrigkeiten zum Trotz im Land bleiben und weitermachen. Also: Ab jetzt an dieser Stelle wieder mehr – und dank an alle, die mir dazu einen kleinen Tritt gegeben haben. Dann sollte ich es in Zukunft halten wie Mark Twain: Ich mache keine Vorhersagen, schon gar nicht, wenn sie die Zukunft betreffen.

Blick zurück nach Luxor

Nach mehr als zwei Monaten gibt’s nun endlich wieder einen Blog-Eintrag. Die Pause war persönlich bedingt, doch nun will ich mich wieder öfter an dieser Stelle zu Wort melden.

Es sind jetzt genau 15 Jahre, da fuhr ich gerade zurück von Winterthur, als ich die Nachricht hörte, dass in Luxor ein Terrorkommando der Gamaa Al Islamiya 60 Touristen ermordet hatte. Ich weiß noch, dass ich vor Schreck beinahe von der Straße abgekommen wäre. Gerade acht Wochen war es her, da hatte ein Geistesgestörter neun deutsche Touristen und einen ägyptischen Busfahrer auf den Tahrir-Platz umgebracht. Die meisten Opfer kamen aus dem Giftun-Hotel. Dort saß ich am Abend mit Barbara und Thomas in ihrem Restaurant, als abends gegen neun ein völlig verstörtes, bleiches Kindermädchen herein kam und von dem Anschlag berichtete. Der Schock war ungeheuer groß. Verstörend war zudem eine ganz andere Tatsache: Der Anschlag war schon fast zwölf Stunden her. Die gesamte ägyptische Belegschaft hatte schon am Mittag davon erfahren. Doch keiner hatte den Mut gehabt, Thomas oder Barbara über das Geschehen zu informieren.

Wir fuhren an diesem Abend zurück ins „Arabia“ und zwar mit einem Minibus, in dem bereits eine ägyptische Familie saß. Kaum hatten wir den Bus bestiegen, kam die Frage, woher wir kämen, und als wir mit „Deutschland“ antworteten wurde das mit heftigen Beileidsbekundungen und Entschuldigungen(!) quitiert. Als wir das Hotel erreicht hatten, versuchte der Fahrer einen deutlich überhöhten Preis zu kassieren (Für Eingeweihte: Es war der alte „Special-Taxi-Trick“ und schon deshalb sehr dreist, weil ja bereits Fahrgäste im Minibus saßen). Ich kam nicht einmal dazu, mich zu wehren, schon fiel die Familie förmlich über den Fahrer her und beschimpfte ihn, ob er denn gar kein Schamgefühl im Leib habe. Ähnlich ging es weiter in den nächsten Tagen. Immer wieder wurden Europäer und vor allem Deutsche mit Beileid und Entschuldigungen – teils unter Tränen – konfrontiert.

Acht Wochen später also der Anschlag von Luxor. War der Tourismus nach dem Attentat in Kairo noch mit einem blauen Auge davongekommen, so brach nun alles zusammen. In einem Interview für Silent World sagte mir Monika Wiget vom Jasmin Diving Sports Center: „Von heute auf morgen war plötzlich alles tot, und wir wussten nicht, wann die Gäste wiederkommen würden.“ Tatsächlich bedeutete der Anschlag von Luxor eine Art Zeitenwende. Bis dahin war an dem zehnjährigen rasanten Aufstieg Hurghadas zur größten Touristenmetropole am Roten Meer alles abgeperlt. Zum ersten Mal spürte die Stadt wirklich, was es heißt, wenn die Gäste ausbleiben. Das hatte es zwar im Frühjahr 1991 auch schon einmal gegeben. Doch damals war der Flughafen während des Golfkrieges gesperrt, und kaum war er wieder offen, waren die Touristen auch wieder da.

Aber auch auf der Gegenseite war der Anschlag eine Zäsur. Die Gamaa al Islamiya, die einst bei der Bevölkerung für ihr soziales Wirken durchaus beliebt war, hatte ihren gesamten Kredit verspielt. Selbst in ihrer Hochburg Oberägypten waren die Gamaa-Mitglieder inzwischen verhasst. Sie wurden buchstäblich aus dem Land geprügelt. Die eine Hälfte flüchtete und schlug sich zur Al Kaida durch, die andere Hälfte löste 1998 den ganzen Verein einfach auf. Der Vorgang sucht im übrigen weltweit seinesgleichen. Zumindest nach meinem Wissen hat sich noch nie eine Terrororganisation aufgelöst, weil der Druck der Bevölkerung so stark geworden war.

Es ist schon eine bittere Ironie der Geschichte, dass der Nahe Osten am 15. Jahrestag des Anschlages von Luxor wieder vor einem Krieg steht. Die Hamas fußt auf den gleichen Prinzipien, wie die Gamaa al Islamiya, einerseits Terror zu verbreiten andererseits sozial zu wirken. Die ägyptische Bevölkerung steht dieses Mal fast einhellig hinter der Hamas und ziemlich geschlossen gegen Israel, was bei der Politik der derzeitigen israelischen Regierung auch kein großes Wunder ist. Allerdings ist im Gazastreifen auch etwas anderes zu besichtigen: Wie rücksichtslos die Hamas mit ihrer eigenen Bevölkerung umgeht. Dass Ägyptens Präsident Mohammed Mursi seinen Premierminister Hischam Kandil in den Gaza-Streifen geschickt hat, um sich um ein Waffenstilstandsabkommen zu bemühen, ist allerehrenwert. Die Israelis hatten versprochen, die Kampfhandlungen während des Besuchs einzustellen. Nachdem die Hamas während Kandils Visite 50 Raketen auf Israel abfeuerten, reiste der ägyptische Premierminister vorzeitig ab.

Dass der legitime Kampf um eine gerechte Sache durch eigenes Unrecht diskreditiert werden kann, hatte ja einst sogar Palästinenserführer Jassir Arafat eingesehen. An dieser Erkenntnis fehlt es der Hamas nicht nur, sie verfolgt ja auch alle ihre Kritiker im palästinensischen Lager mit unbarmherziger Härte. Einst waren die Gamaa und die Hamas Schwesterorganisationen – die sich übrigens auch bei Attentaten gegenseitig unterstützten. 15 Jahre nach Luxor könnte die Hamas aus dem Anschlag lernen, was es heißt, den Bogen zu überspanmnen. Den Ägyptern, die der Hamas zujubeln, sei dagegen ein genauerer Blick auf den Gazastreifen empfohlen. Dass die Bevölkerung dort so entsetzlich leidet, hat nicht alleine mit der israelischen Blockadepolitik zu tun.

Der Schock sitzt tief

Es ist gerade mal vier Wochen her, da veröffentlichte ich den Blogeintrag „Sie wollen nur spielen“. Unter anderem ging es dabei um ein Fußballspiel in der ersten ägyptischen Liga. El Gouna empfing den Tabellennachbarn von El Masry. Auch damals sorgten die Ultras der Gäste für Unruhe, als die einen leeren Gästeblock stürmten. Dass es jetzt aber soweit kommt, hat mich tief schockiert. In der Rückschau scheint die Wortwahl nun unangemessen flapsig. Doch wer kann so etwas schon voraussehen? Würde ich alle Möglichkeiten und Eventualitäten einkalkulieren, gäbe es hier keinen Platz mehr für ironische Zwischentöne und sarkastische Seitenhiebe.

Die Ultras von El Masry fielen schon beim Spiel in El Gouna Anfang Januar auf. Aber haben sie auch den Angriff auf die Al-Ahly-Fans zu verantworten?

Trotzdem – kam das wirklich so überraschend? Es gibt einige bemerkenswerte Tatsachen im Vorfeld der Katastrophe von Port Said, die niemand außer acht lassen darf. Fußball ist in Ägypten seit jeher eine hochemotionale Angelegenheit. Die Spiele zwischen den Kairoer Vereinen Al Ahly und Zamalek gehören zu den brisantesten Begegnungen überhaupt. Für das Lokalderby der ersten Liga werden regelmäßig ausländische FIFA-Schiedsrichter eingeflogen. Schwere Auseinandersetzungen zwischen beiden Fan-Gruppen sind fast an der Tagesordnung.

Im Vorfeld der Fußball-WM in Südafrika gab es im Oktober und November 2009 zwei Qualifikationsspiele gegen Algerien. Nach dem Spiel in Kairo war ein Entscheidungsspiel auf neutralem Boden notwendig geworden. Bereits in Kairo war es zu schweren Auseinandersetzungen gekommen. Die wiederholten sich im sudanesischen Omdurman. Beide Länder behaupteten später, das es bei den Fußballkrawallen jeweils auf der eigenen Seite Tote gegeben habe. Bewiesen ist das bis heute nicht.

Seit dem Beginn der Arabellion ist die Zahl der Spielabbrüche in der ersten ägyptischen Liga sprunghaft angestiegen – und das, obwohl die Polizei nun viel massiver präsent ist, als zuvor. Allerdings ist es auch eine schwer zu leugnende Tatsache, dass sich die Polizei seit Ausbruch der Revolution schnell verkrümelt, wenn es zu heiß wird – um dann auch machmal wieder in Zivil zu erscheinen, wie das heute vor einem Jahr bei der sogenannten Kamelschlacht der Fall war. Es sollen Polizisten gewesen sein, die sich damals aus den Ställen vor den Pyramiden Pferde und Kamele besorgt haben, um dann mit Knüppeln, Latten und Säbeln bewaffnet im Galopp durch die Menge auf dem Tahrir zu reiten.

Damals standen die treusten Fans von Al Ahly in den vordersten Reihen der Demonstranten. Dass es am Vorabend des Jahrestages der Kamelschlacht zu einer Abrechnung im Stadion gekommen sein könnte, ist ganz und gar nicht ausgeschlossen. Ob es wirklich minutiös geplante Attacke der alten Mubarak-Kader war wird sich allerdings erst noch weisen müssen.Warnungen, Drohungen und Hinweise hat es im Vorfeld jedenfalls gegeben.

Vielleicht wird der ein oder andere, angesichts von über 70 Toten (angeblich schweben 170 Verletzte noch in Lebensgefahr), sagen, dass es doch völlig unerheblich ist, ob der Angriff einen politischen Hintergrund hat, oder ob die El-Masry-Ultras einfach durchgedreht sind. Allerdings pflegt man einen 3:1-Sieg über die erfolgreichste Mannschaft des Kontinents eher nicht mit dem Niedermetzeln deren Fans zu feiern. Doch die Antwort auf gerade diese Frage ist für das Land ungemein wichtig. Wenn der Demokratisierungs- und Neuordnungsprozess in Ägypten auf diese Weise torpediert werden sollte, dann reicht die Bedeutungsschwere weit über 70 Menschenleben hinaus. Dann ist es eine Frage der Zeit, wann das alte Regime das nächste Mal zuschlagen wird und eine Frage, in welchem Gewand die Mubarak-Schärgen dann auftauchen werden.

Bereits jetzt glauben nicht wenige Ägypter daran, dass die Anschläge 1997 in Luxor, 2004 in Taba und 2005 in Sharm el Sheik gar nicht auf das Konto von Gamaa al Islamiyya und Al Khaida gingen, sondern ebenfalls vom ehemaligen Regime inszeniert worden sind. Das zeigt, wie weit die Verschwörungstheorien inzwischen gediehen sind. Lässt sich tatsächlich nachweisen, dass die Krawalle in Port Said aus politischen Gründen in Szene gesetzt wurden, dann wird das noch mehr Unruhe und Misstrauen in das Land tragen.

Auf dem langen und steinigen Weg zu geordneten Verhältnissen ist Ägypten am Abend des 1. Februar wieder zurückgeworfen worden. So viel steht leider fest.

Noch zwei Beiträge aus der Süddeutschen online:

Die Polizei stand einfach da und hat zugeschaut

Wir werden nie wieder Fußball spielen

Hauptsache geschrieben

Manchmal ist es ja wirklich zum aus der Haut fahren. Da gibt man sich noch immer der Illusion hin, dass Blätter wie „Der Spiegel“ oder die „Süddeutsche Zeitung“ so etwas wie Qualitätsjournalismus vertreten. Erstaunlicherweise war in den Online-Ausgaben beider Blätter am Mittwoch – passend zum Jahrestag der Revolution – ein Beitrag zum Thema darbender Tourismus in Ägypten. Dass es sich um einen dpa-Bericht von Annette Reuther handelte – nun ja, geschenkt. Warum sollen Spiegel und SZ nicht auch mal eine Reportage bei der Agentur kaufen dürfen? Aber doch bitte nicht so etwas!

Auch in Luxor war im Januar von Hitze keine Spur

Da erklärt die Autorin den Januar zur Hochsaison, in der in Luxor „Touristenbusse Menschenmassen im Sekundentakt ausspucken.“ Aha. Schon wieder was gelernt. Ich war vielleicht fünf bis zehn mal im Januar in Ägypten. Selbst ohne Terror und Revolution ist die Zeit zwischen Mitte Januar und Ende Februar die touristenärmste. Doch die paar versprengten  Touristen, die laut Frau Reuther durch Luxors Ruinen irren, müssen auch noch leiden: „Auch am Tempel von Hatschepsut schleppen sich nur ein paar japanische Touristen in der Hitze die Treppen zu dem kolossalen Gebäude hoch.“ Soso, Hitze! In Ägypten klagen die Menschen derzeit über den kältesten Winter seit 20 Jahren. In Alexandria ist Schnee gefallen, auf dem Sinai ist das Katharinen-Kloster von Schnee bedeckt. In Luxor dürfte nachts einfach mal der Gefrierpunkt erreicht worden sein. In der Sonne wird’s dann wärmer. Ein wenig über 20 Grad. Oh, mein Gott, wenn das Hitze ist, was macht dann Frau Reuther im Juli im Tal der Könige, wenn es fast 50° C im Schatten hat – allerdings gibt es dort keinen Schatten. Das ist Hitze!!!

Sie scheint ja ziemlich gute Geschäfte gemacht zu haben, denn sie zitiert auch noch Händler, die ihre Waren nun zu Revolutionspreisen verramschen. Passt auch alles schön ins Klischee-Bild. In Hurghada haben mir mindestens zwei Taxifahrer ihre überhöhten Preise mit dem eklatanten Mangel an Touristen erklärt. Die kamen nicht einmal im Traum auf die Idee Revolutions-Sonderangebote zu machen, weil das Geschäft so mies läuft. Das Phänomen der steigenden Preise bei fallenden Touristenzahlen habe ich übrigens auch schon früher in Ägypten beobachtet. Sorry, Frau Reuther, aber bei den Revolutionsschnäppchen bin ich ebenso skeptisch wie bei der großen Hitze im Tal der Könige und dem Urlauber-Boom der normalerweise im Januar Luxor überrollt.

Doch dann kam der Satz, der mich so richtig sauer gemacht hat: „Der Sieg der Islamisten und Berichte, wonach in Ägypten eine Religionspolizei nach saudischem Vorbild und ein Bikini-Verbot eingeführt werden sollen, dürften die Reisenden weiter eher skeptisch stimmen.“ Da spricht nun die wahre Expertin. Also für alle zum Mitschreiben: Es wird in Ägypten weder ein Bikiniverbot, noch ein Alkoholverbot, noch getrennte Strände oder eine Religionspolizei geben. Das haben die Moslembrüder ganz klar ausgeschlossen, weil sie selbst wissen, wie dringend sie das Geld aus dem Tourismus brauchen. Selbst bei der salafistischen Partei „El Nour“ hat es noch keinen einzigen Politiker gegeben, der solche Forderungen aufgestellt hat. Sie kommen nur von Salafisten nahestehenden Sheiks oder Imamen. Einer von ihnen hat sogar gefordert, dass Frauen auf dem Markt keine Bananen und keine Gurken mehr kaufen dürfen. Mann, hat der eine schmutzige Fantasie. Aber er ist jetzt auch in ganz Ägypten eine Lachnummer.

Ob der detailgenauen Beschreibung sind zumindest Zweifel erlaubt, ob diese Frau im Januar tasächlich in Ägypten war. Wenn sie wirklich dort war, dann handelt es sich „nur“ um schlechten Journalismus. War sie nicht dort, wäre die Geschichte gefaket und der Presserat sollte sich damit auseinandersetzen. Das Land hat wirklich schon Probleme genug. Da braucht es nicht noch solche Artikel.