Wer soll es denn machen ?

Es ist schon erstaunlich, wer einen Tag nach der Katastrophe von Port Said seinen Posten räumen musste. Dass der Gouverneur der Provinz Port Said und sein Sicherheitschef abgesägt wurden, ist klar. Das aber gleich der ganze Vorstand des Fußballclubs von El Masry geschlossen aus dem Amt gejagt wurde, ist schon ein wenig kurios. Die Demonstranten fordern jetzt aber den Kopf des Innenministers Mohammed Ibrahim und am besten gleich den Rücktritt des gesamten Kabinetts Kamal el Gansuri. Ganz besonders kecke Demonstraten haben sogar schon nach der Todesstrafe für Feldmarschall Mohamed Tantawi verlangt. Die, die etwas besonnener sind, rufen zumindest nach Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft.

Der Militärrat hatte ja im Herbst schon Schwierigkeiten, überhaupt wieder einen Premierminister zu finden. Dass es dann Gansuri wurde, hatte die Protestbewegung im höchsten Maße empört. Gansuri war schon einmal unter Mubarak der Ministerpräsident. Dass Gansuri mit fast 80 Jahren keinen besonderen persönlichen Ehrgeiz entwickelt, ist eigentlich klar. Er wurde es, weil der Militärrat einfach keinen anderen fand. Unmittelbar vor den Parlamentswahlen wollten sich weder Moslembrüder noch die Liberalen an diesem Amt die Finger verbrennen.So ähnlich sieht es jetzt auch in Sachen Präsidentschaftswahlen aus. Da traut sich noch niemand, sich so richtig zu positionieren.

Gesetzt den Fall, der Militärrat würde nun tatsächlich geschlossen zurücktreten. Wer sollte es dann machen? Es wird ja gefordert, dass die Präsidentschaftswahlen vorgezogen werden sollen. Aber es scheint kein mehrheitsfähiger Kandidat in Sicht. Die Moslembrüder, die mit der Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ über die größte Fraktion im Parlament verfügen, haben schon angekündigt, auf einen eigenen Kandiadaten verzichten zu wollen und statt dessen einen Konsenskandidaten über die Parteigrenzen hinweg finden zu wollen. Allerdings wollen sie in der Verfassungsgebenden Versammlung, in der sie wohl auch die Mehrheit erreichen werden, das präsidiale System durch ein parlamentarisches System ersetzen – damit hätten sie dann tatsächlich das Sagen. Aber diese Verfassung muss ja auch erst mal ausgearbeitet werden.

Derzeit gibt es, so sehr man das bedauern mag, gar keine vernünftige Alternative. Diejenigen, die sich als solche angeboten haben, wie zum Beispiel der frühere Chef der Atomaufsichtebehörde und Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradai, sind inzwischen völlig verbrannt. Die Argumentation, warum die Ägypter El Baradai nicht als Präsidenten sehen wollten, klang doch einigermaßen verblüffend: El Baradai habe zu lange im Ausland gelebt und dadurch den Bezug zum gemeinen Ägyptischen Volk verloren. Auslandserfahrung als Berufshindernis? Dabei sollten die Ägypter nur ein wenig in ihrer einen Geschichte graben. Zwei ihrer größten Führer waren Saladin im ausgehenden Mittelalter und Mohammed Ali Pascha im 19. Jahrhundert. Beide werden von den Ägyptern bis zum heutigen Tage hoch verehrt. Die Sache hat nur einen kleinen Haken. Diese beiden größten Söhne Ägyptens waren gar keine Ägypter. Saladin war Kurde und kam aus dem heutigen Irak. Mohammed Ali wurde als Sohn albanischer Eltern in Nordgriechenland geboren.

Vielleicht sollten sie es tatsächlich mal wieder mit einem von auswärts probieren. Ich hatte sie Idee schon vor drei Wochen in Ägypten mal vorsichtig anklingen lassen und meinte, dass wir demnächst vielleicht einen Präsideten mit Berufserfahrung billig abzugeben hätten. Die Antwort war niederschmetternd: „Danke, korrupt sein können wir auch selbst.“

Die Macht der Militärs

Es ist derzeit schon eine Achterbahnfahrt. Einerseits feiern die Ägypter ihre freien Wahlen wie ein großes Volksfest, andererseits gab es jetzt in Kairo wieder blutige Straßenschlachten. Erst gestern hab ich wieder die hier in Deutschland vorherrschende Meinung gehört, dass das Militär die Macht gar nicht abgeben will und das mit den Wahlen ja doch nicht so ernst gemeint sei.

Wie so vieles ist auch diese Vorstellung mit dem Abstand von 3.500 Kilometern ein wenig eindimensional. Ich glaube ja, dass die Sache ganz anders liegt. In den letzten Wochen habe ich den Eindruck gewonnen, dass den Militärs an der Macht gar nicht so viel liegt und an der Verantwortung erst recht nicht. Was das ägyptische Militär allerdings um jeden Preis verteidigen will, sind die unglaublich großen Privilegien. Wer in Ägypten nicht im Tourismus Geld verdient, der kann in der Armee eine Menge Knete machen. Es geht ja nicht nur um die tollen Clubs am Roten Meer und die fantastisch ausgestatteten Krankenhäuser, neben denen staatliche Krankenhäuser wie schlechtere Feldlazarette wirken. Es scheint ja so, als sei der ganze industrielle Bereich in Ägypten nur erfunden worden, um Offiziere zu alimentieren. Und wer es da nicht schafft, für den findet sich in der Verwaltung noch immer ein Platz. So muss zum Beispiel jeder Gouverneur einer Grenzprovinz ein General oder ehemaliger General sein. Das wäre etwa so, wie wenn in Deutschland die Bundeswehr Anspruch auf die Ministerpräsidentenposten von Bayern, Baden-Württemberg, dem Saarland, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachen erheben würden. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass viele dieser Gouverneure ihr Amt lediglich als Versorgungsposten begriffen haben.

Ginge es den Militärs tatsächlich um wirkliche politische Macht, dann hätten sie in dem zu Ende gehenden Jahr mit Sicherheit ganz anders reagiert, nämlich viel schneller und entschlossener. Bislang scheint es mir aber so, dass sie hin und her lavieren und eigentlich nur hoffen, dass die so schnell wie möglich aus dem Schlamassel wieder herauskommen. Verantwortung – und ich meine wirkliche politische Verantwortung – ist ihre Sache wohl eher nicht. Es geht um Geld und viele liebgewonnene Privilegien.

Das wird vielleicht sogar das größte Problem sein, egal, ob nun Moslembrüder oder Säkulare an die Regierung kommen. Wie macht man den Militärs klar, dass sie sich aus dem zivilen Bereich zurückziehen müssen? Sollen Sie ihre Clubs und Krankenhäuser doch behalten. Aber aus den Unternehmen und der Verwaltung müssen sie raus. Das würde eine Menge Arbeitsplätze schaffen und vor allem den doch sehr desolaten Mittelstand stärken.