Parallelen

Housam ist Chefkoch bei Thomas und Barbara. Er stammt aus Oberägypten und hat vor fast 20 Jahren in der damaligen „Villa Kunterbunt“ als Putzkraft begonnen. Thomas meinte schon kurz nach meiner Ankunft, dass Housam einer meiner wichtigsten Gesprächspartner werden könnte. Er ist ein sehr gläubiger Moslem, ohne fanatisch zu sein, verleugnet seine Herkunft vom Land nicht und kann die Vorstellungen seiner Landsleute aus dem Niltal sehr genau wieder geben.

Chefkoch Housam

Der eigentliche Interviewtermin war noch gar nicht geplant, da traf ich ihn gestern morgen am Hintereingang des Restaurants. Weil der Schlüssel noch fehlte, kamen weder er noch seine Küchenbrigade an den Herd. Und so haben wir uns eine halbe Stunde lang über Gott und die Welt, Mubarak und die Revolution, über Bildung und Wohlstand – und natürlich über Ägyptens Zukunft unterhalten.

Zum Thema Demokratie meint er: „Das ist doch wie mit einem kleinen Kind, das laufen lernt. Natürlich fällt es ein paar Mal hin, ehe es laufen kann. So ist das bei uns mit der Demokratie auch. Na und?“ Da muss ein westlicher, demokratiegestählter Besserwisser dann schon einmal kurz schlucken. Wo der Mann Recht hat, hat er Recht.

Dann aber ein echter Schock. Es geht um Mubarak. Die letzten zehn Jahre seien schon schlimm, die 20 Jahre zuvor ganz okay gewesen. Große Begeisterung für den „Pharao“ klingt anders. Ich werfe ein, dass Ägypten im gleichen Zeitraum zuvor fünf Kriege erlebt hatte – und unter Mubarak habe es keinen mehr gegeben. Housam zuckt mit den Schultern. „Na und? Heute geht es uns schlechter, als zuvor. Mubarak hat den Frieden doch verschleudert.“ So, ist das also die Meinung der einfachen Leute vom Land?

Nachmittags habe ich ein Gespräch mit Mazen. Er hat Germanistik studiert, ist Buchhändler, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei am Roten Meer, Gewerkschaftschef der Fremdenführer. Er konnte Mubarak schon als Kind nicht leiden. „Der kann ja nicht einmal richtiges und sauberes Arabisch sprechen“, meint Mazen fast angewidert. Aber immerhin habe er dem Land doch 30 Jahre Frieden gebracht, versuche ich es an diesem Tag schon zum zweiten Mal. „Na und?“ fragt Mazen verwundert. „Unser Bildungssystem, unser Gesundheitswesen, alles ist verrottet. Uns geht es schlechter als vor 30 Jahren. Wo stand damals Malaysia zum Beispiel im Vergleich zu Ägypten? Und wo steht Malaysia heute, und wo stehen wir?“

Ich erfahre an diesem Nachmittag noch einige erstaunliche Parallelen zwischen dem einfachen Koch und dem intellektuellen Buchhändler. Beide beklagen zum Beispiel, dass Ägypten international nicht mehr diesen Rang einnimmt, der ihm zukommt. „Ägypten war doch einmal das Herz der Welt“ – beide drücken sich fast wortgleich aus. Es ist erstaunlich. Housam stand während der Revolution hinter seinen Töpfen und kochte für die wenigen Touristen, zur gleichen Zeit erlebte Mazen die berüchtigte Kamelschlacht auf dem Tahrir und wurde in einem Steinhagel der Mubarakanhänger schwer verletzt. Trotzdem wählen sie fast die selben Worte.

Es sind aber auch Worte voller Hoffnung, die nicht unbedingt zu dem passen, was manche hier lebenden Europäer befürchten. Housam und Mazen schauen beide sehr gelassen und optimistisch in die Zukunft. Und wenn die Moslembrüder nun an die Macht kommen – nun denn. Dann müssen sie sich eben beweisen. Und wenn sie es nicht können? „Dann verjagen wir sie eben wieder“, meint Housam, grinst, schlägt mir auf die Schulter und meint: „Don’t worry!“