Der Tod des Vizepräsidenten

Jetzt hat der eigentlich schon totgesagte Hosni Mubarak auch noch seinen einzigen Vizepräsidenten überlebt. In Cleveland, Ohio, ist heute Omar Suleiman gestorben. Sein Leben war so etwas wie ein Spiegelbild der wiedersprüchlichen Geschichte des jungen Ägypten. Unter Nasser war es ihm möglich, an der Frunse-Militärakademie in Moskau zu studieren, um dann – nach Sadats ideologischer Kehrtwende – seine Studien an der Miliärakademie im Fort Bragg, North-Carolina, fortzusetzen.

Dem Westen galt Omar Suleiman stets als vernünftig und pragmatisch. Allerdings war er seit 1991 erst Chef des Militärischen Geheimdienstes und danach leitete er Muchabarat, einen der Inlandsgeheimdienste. Er setzte, Mubarak direkt unterstellt, die wechselvolle Politik des Präsidenten um. Je nach politischer Großwetterlage wurden die Zügel wie in den 90er Jahren gelockert, oder heftig angezogen wie nach den Anschlägen vom 11. September.

Als Geheimdienstler hat sich Omar Suleiman mit Sicherheit weltweit einen hervorragenden Ruf verschaffen – nicht zuletzt deshalb, weil er jeden Attentatsversuch auf Hosni Mubarak verhindern konnte. Und da hat es wohl einige gegeben. Von sechs wird immer wieder mal gesprochen, aber ob das so stimmt? Am Spektakulärsten war wohl das Attentat 1995 in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Tags zuvor hatte Suleiman noch die Präsidentenlimousine gegen ein gepanzertes Fahrzeug austauschen lassen. Als dann die Kugel in dieses einschlugen, saß Suleiman neben Mubarak. Der hat das seinem Geheimdienstchef nie vergessen. Mir persönlich kommt diese Geschichte allerdings ein wenig merkwürdig vor.

Seltsam erscheint es mir auch, dass Suleiman als korruptionsresistent galt und auch noch als vergleichsweise human. Jedenfalls soll der Muchabarat am wenigsten hart zugeschlagen haben. Für mich sieht das eher so aus, als habe da einer an seiner eigenen Legende gestrickt. Es reichte zumindest für das zweite Amt im Staate. In der zweiten Januarhälfte 2011 wurden die Proteste gegen Mubarak immer heftiger, und eine der Forderungen lautete, dass der Präsident nach nunmehr knapp 30 Jahren endlich mal einen in der Verfassung vorgesehen Vizepräsidenten berufe. Was ein Vizepräsident allerdings mit Freiheitsrechten zu tun hat, erschließt sich mir nicht so recht. Dass er eigentlich gar nichts damit zu tun haben musste, zeigte die Berufung Omar Suleimans. Die Ägypter staunten jedenfalls nicht schlecht, als ihnen ausgerechnet ein Geheimdienstchef als Vizepräsident serviert wurde.

Inwieweit Suleiman am Sturz Mubaraks beteiligt war, weiß ich nicht, aber eigentlich hätte er ja dann Präsident werden müssen, war er doch der Vizepräsident. Doch weder wurde er Präsident noch blieb er Vizepräsident (was mangels Präsident auch sinnfrei gewesen wäre). Trotzdem gedachte er, seinen einstigen Mentor noch zu beerben. Suleimann wäre gerne zur Präsidentschaftswahl angetreten. Immerhin konnte er nach einer Umfrage auf 20,1 Prozent Zustimmung verweisen. Am Ende wurde er von der Wahlkommission ebenso kaltgestellt, wie viele andere auch. Seine Reaktion: Er kaufte sich ein Ticket und verabschiedete sich in die USA. Aus Angst, er könnte doch noch vor Gericht gestellt werden? Allen Legenden zum Trotz: Es gab ja massive Foltervorwürfe. Aus Überdruss? Seinen Lebensabend konnte er nicht besonders lange genießen.

Eigentlich hat Ägypten in seinem ganzen Chaos dann doch immer wieder mal ein wenig Glück. Nur mal ein Szenario das so abwegig gar nicht scheint: Hätte Suleiman kandidieren dürfen und möglicherweise die Wahl gewonnen, stände Ägypten heute wieder ohne einen Präsidenten da, und das ganze Hickhack begänne von vorn.

Die erste Besprechung

Trotz des Regens bin ich heute richtig beschwingt, denn die erste Buchbesprechung in einem „überregionalen Medium“ ist erschienen. Und dann gleich im Berliner Tagesspiegel. Das hat mich in sofern ein wenig überraschend getroffen, da ich sie gar nicht bemerkt hatte. Ich bin zwar Abonnent des Tagesspiegels, doch ich hatte am Sonntag einfach nicht auf den Reiseteil geachtet – warum auch immer. Normalerweise gehört er zu meiner Sonntagslektüre.

Inhaltlich finde ich die Besprechung insgesamt sehr wohlwollend. Allerdings lege ich doch Wert darauf, dass ich persönlich auf die Frage Alles klar, Ägypten? keine negative Antwort geben würde. Ich glaube, dass Ägypten trotz aller Verwerfungen insgesamt auf einem guten Weg ist, und ich glaube, dass es ein tolles Urlaubsland ist – mehr denn je.  Aber der Rückschluss des Tagesspiegel-Redakteurs Gerd Seidemann zeigt doch zwei Dinge sehr deutlich: Einerseits ist das Buch, wie er schreibt und ich selbst immer wieder betone, natürlich eine Momentaufnahme. Andererseits sind es natürlich auch die aktuellen Ereignisse, an denen sich das Buch immer wieder messen lassen muss. Dass der Machtkampf zwischen Präsident Mohammed Mursi und dem Militärrat nicht eben förderlich für die politische Stabilität im Lande ist, liegt ja nun leider auf der Hand.

Insgesamt hat mir die Rezension sehr gut gefallen, und ich hoffe, dass noch weitere ähnlich positive Besprechungen hinzukommen werden. Soweit mir bekannt ist, will das Tauchreisemagazin „Silent World“ in einer seiner nächsten Ausgaben eine Besprechung bringen.

Für „Silent World“ fliege ich im übrigen am 2. August wieder nach Ägypten. Einerseits werde ich dort alles in allem vier Reportagen und ein großes Interview machen. Andererseits will ich die Gelegenheit auch dazu nutzen, in verschiedenen Hotels und Tauchbasen noch zu lesen. Es gibt, glaube ich, schlimmere Aufgaben im Leben. Und ganz ehrlich: Die Aussicht auf knapp drei Wochen mit einer Regenwahrscheinlichkeit von genau 0 Prozent ist dann doch auch sehr verlockend.

Die sind doch alle gleich

Ist das nicht komisch? Der Satz „Alle Menschen sind gleich“ klingt schön, klingt völkerverbindend und politisch korrekt. Man ersetze nun das Wort Menschen durch Moslems. „Alle Moslems sind gleich.“ Das klingt schon weniger schön. Das impliziert, alle Moslems seien potentielle Terroristen, und der Satz müffelt auch ein wenig nach Rassismus. Trotzdem habe ich diesen Satz gestern Abend von einer Bekannten gehört, die ganz und gar nicht im Ruch steht, rassistisch zu sein. Es ging um den arabischen Frühling um die Revolutionen in Tunesien, Libyen und Ägypten – und natürlich um den Bürgerkrieg in Syrien.

Ihre These klang ziemlich einfach. Egal, was wo in welchem Land in Arabien passiert, am Ende wird sich der Islamismus in seiner radikalen Weise durchsetzen – also in Form zum Beispiel des Salafismus‘. Dafür bekam sie am Tisch auch noch entsprechende Unterstützung. Ich wandte ein, dass man dann genausogut bei der Euro- und Finanzkrise Länder wie Finnland und Griechenland, Holland und Spanien, Irland und Österreich oder Frankreich und Deutschland in einen Topf werfen könnte – sind ja alles Europäer. Tatsächlich gibt es in all diesen Ländern völlig unterschiedliche Vorstellungen davon, wie die Krise zu lösen sein und sehr kontroverse Auseinandersetzungen darüber.

In den arabischen Ländern sieht es nicht viel anders aus. So sind zum Beispiel die jungen Monarchen Mohammed VI. von Marokko und Abdallah II. von Jordanien mit der Arabellion ganz anders umgegangen, als zum Beispiel Bashir al-Assad in Syrien. Das Ergebnis dürfte sogar den meisten Europäern bekannt sein. Natürlich gibt es auch in Marokko und in Jordanien eine größere Hinwendung zur Religion, aber von einem islamistischen Gottestaat sind beide Länder wohl weit entfernt.

Das gleich gilt auch für Ägypten. Moslembrüder hin oder her. Am vergangenen Dienstag ging es in der ARD-Talkshow „Hart aber fair“ weitgehend um Syrien, doch einen beträchtlichen Teil der Sendung machte auch Ägypten aus. Unter anderem war der deutsche Lehrer Günter Förschner eingeladen, der an einer deutschen Mädchenschule in Alexandria unterrichtet. Er war schon ein Jahr zuvor Gast bei Frank Plasberg gewesen. Nun bezeichnete der Lehrer die Moslembrüder als größtes Risiko für die Demokratisierung in Ägypten. Prompt handelte er sich Widerspruch vom ARD-Korrespondeten Jörg Armbruster ein. Es sei tatsächlich der Militärrat der die Demokratisierung des Landes gefährde. Armbruster gab zu, dass er die Moslembrüder auch nicht besonders schätze, aber dass sie immerhin als Sieger aus der ersten freien demokratischen Wahl in diesem Land hervorgegangen sind, das es jetzt auch schon 7.000 Jahre gebe.

Niemand kann seriös voraussagen, wie sich der arabische Frühling wirklich entwickeln wird. Die einzige Prognose, die mit Sicherheit eintreten wird, ist die, dass es eben in jedem Land unterschiedlich passieren wird. Es in in letzter Zeit Mode geworden, Tunesien und Ägypten, so wie ihren Weg zur Demokratie zu vergleichen und das Urteil fällt häufig sehr undifferenziert aus. In beiden Ländern hätten die Religiösen die Revolution für sich gekapert und würden das Land nun wenn nicht in einen Gottesstaat, so doch zu einem autokratischem Regime führen. Das gleiche wurde auch für Libyen vorhergesagt. Dumm gelaufen, denn bei den Wahlen vor wenigen Tagen gab es eben keinen haushohen Sieg von Gotteskriegern, sondern einne Erfolg der Liberalen.

Und dann noch zu der wohlfeilen Legende der ersten freien Wahlen in arabischen Ländern. Nein, die waren kein Produkt des arabischen Frühlings und kein Demokratiegeschenk der Amerikaner im besetzten Irak. Gerne wird in Europa unterschlagen, dass es bereits vor 20 Jahren in Algerien freie Parlamentswahlen gab, die dann allerdings – auch auf massiven Druck Frankreichs – abgebrochen wurden, weil sich ein Sieg der islamistischen Partei FIS abzeichnete. Was sollen also die Araber von den Europäern denken? Ja, von den Europäern! Oder ist etwa bekannt, dass der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl – noch völlig besoffen vom Rausch der Wiedervereinigung – seinem Freund François Mitterand in den Arm gefallen wäre, um diesen Anschlag auf die Demokratie zu verhindern? Nein! Die Wahlen wurden annuliert. Diese Aktion hat das Land in einen Bürgerkrieg gestürzt, dem 120.000 Algerier zum Opfer fielen. Heute ist Algerien ein autoritärer Staat, bar jeglicher Demokratie, an dem der arabische Frühling einigermaßen wirkungslos vorbeigegangen ist. Allerdings hat das Land auch einen Präsidenten Bouteflica, der die Algerier miteinander auszusöhnen versucht.

Der ehmalige israelische Botschafter in der Bundesrepublik, Avi Primor, hat in „Hart aber fair“ übrigens noch auf einen sehr interessanten Aspekt aufmerksam gemacht. Als vor zehn Jahren in der Türkei die islamische AKP an die Macht kam, gelang es ihr relativ schnell, die Macht der Militärs, die seit 40 Jahren faktisch die Türkei beherrscht hatten, zu brechen. Und es gelang ihnen, einen gigantischen Wirtschaftsaufschwung hinzulegen, mit einem jährlichen Wachstum von neun bis zehn Prozent. Niemand würde heute daran zweifeln, dass die Türkei eine moderne Demokratie ist, auch wenn aus Ankara manchmal ein merkwürdiges Brummeln kommt. Im Endeffekt, so glaubt Primor, gehe es ja dann doch immer nur um die Wirtschaft. Oder, wie der frühere US-Präsident Bill Clinton einmal einem Konkurrenten im Wahlkampf an den Kopf warf: „It’s the economics, stupid!“ – „Es geht um die Wirtschaft, Idiot!“

 

Kuscheliger Kollisionskurs

All zu lange, so scheint es, darf Ägypten nicht zur Ruhe kommen. Nach den überraschenden Ereignissen Ende Juni wirkte es, als komme das Land jetzt endlich zum Durchatmen. Nachdem Mohammed Mursi als gewählter Präsident bestätigt war, atmeten die meisten Ägypter erst einmal auf. Dass die Militärs ihm per kaltem Staatsstreich die meiste politische Macht genommen hatten, empörte vor allem die Moslembrüder. Liberale und Säkulare waren zwar erbittert über die Kaltschnäutzigkeit des Militärrates und protestierten gegen Beschneidung der Demokratie, aber insgeheim waren die auch froh darüber, dass die Islamisten jetzt nicht durchregieren konnten. Für Mursi andererseits bot das die Gelegenheit, das Land zunächst einmal im Inneren auszusöhnen. Wenigstens was seine Absichtserklärungen betrifft, begann Mursi ja ganz gut: Zwei Vizepräsidenten, eine Frau und ein Kopte, sollten her und Friedensnobelpreisträger El Baradei sollte Premierminister werden.

Und nun kommt also dieser Hammer: Mursi beruft das suspendierte Parlament wieder ein. Die Militärs sind völlig baff, das Verfassungsgericht komplett konsterniert. Die meisten Säkularen und Liberalen heulen auf. Für sie ist Mursis Vorstoß ein Beweis dafür, dass dem ehemaligen Moslembruder eben doch nicht zu trauen sei. Er habe schließlich angekündigt, nicht nur die Gesetze, sondern auch die höchstrichterlichen Urteile zu respektieren. Allerdings hat das Gericht das Parlament gar nicht aufgelöst. Es hat nur festgestellt, dass ein Drittel der Sitze nicht verfassungsgemäß bestetzt worden seien. Das Verfassungsgericht sagte nicht einmal etwas darüber aus, ob nur ein Drittel der Abgeordneten neu gewählt werden muss, oder ob das für das ganze Parlament gilt. Es war aber der Oberste Militärrat, der die Volksvertreter nach Hause geschickt hat.

Der Verdacht liegt nahe, dass Mursi seinen einstigen Mitstreitern die letzte parlamentarische Macht sichern will. Andererseits sieht sein Zeitplan vor, dass es etwa in einem halben Jahr schon wieder Neuwahlen geben könnte. Dass Moslembrüder und Salafisten bei einer neuen Parlamentswahl derzeit bei weitem nicht so gut abschneiden würden, darf mal getrost angenommen werden. Das zeigte sich ja schon bei den Präsidentschaftswahlen.

Was steckt also hinter Mursis Vorstoß? War das wirklich eine Harakiri-Aktion, wie viele meinen? Es gibt wohl zwei Möglichkeiten: Entweder ist Mursi einfach dumm und komplett fremdgesteuert. Ich glaube das nicht. Oder, und dazu tendiere ich eher, er verfolgt einen Plan. Jeder Präsident, der das Land in eine demokratische Zukunft führen will, muss sich früher oder später mit dem Obersten Militärrat anlegen. Dem steht derzeit noch Feldmarschall Mohammed Tantawi vor. Der wird im Oktober 77 und ist in den letzten anderthalb Jahren oft dadurch aufgefallen, dass er auf markige Worte kleinlaute Rückzieher folgen ließ. So gesehen könnte es sinnvoll sein, den Kampf zu führen, solange Tantawi noch da ist. Wer weiß schon, wer ihm nachfolgen könnte.

Dass der Militärrat keine Interesse daran hat, die Situation eskalieren zu lassen, ist schon daran zu ersehen, dass die Abgeordneten heute vom Militär nicht daran gehindert wurden, ins Parlament zu gehen. Derzeit scheint der Kollisionskurs, den Mursi ansteuert, noch ziemlich kuschelig zu sein. Aber fahren muss er ihn. Es ist doch so: Die Militärs haben den Präsidenten weitgehend entmachtet. Zeigt sich Mursi jetzt als schwach, wird er ganz schnell der Rückhalt bei seinen eigenen Anhängern verlieren. Den braucht er aber dringend, wenn das Projekt der Versöhnung mit Liberalen und Säkularen gelingen soll.

Andererseits ist ja auch nicht so viel passiert. Die Abgeordneten hatten sich mittags für eine Viertelstunde getroffen. Aber was geschieht nun, wenn sie Gesetze beschließen? Dann werden die wohl ganz schnell vom Verfassungsgericht wieder kassiert.

Wie es weiter geht? Jetzt ist demnächst erstmal Ramadan, und da geht gar nichts weiter. Der Politikbetrieb steht weitgehend still. Dann soll es möglichst bald eine neue Verfassung geben – und danach Neuwahlen zum Parlament. Das sagt Mohammed Mursi, der damit indirekt ja zwei Dinge zugibt: 1. Er akzeptiert den Spruch des Gerichtes. 2. Er gesteht ein, dass das Parlament wohl tatsächlich nicht verfassungskonform zusammengestellt ist.

Es bleibt spannend in Ägypten. Eigentlich ist es atemberaubend, diesen demokratischen Selbsfindungsprozess zu erleben. Natürlich wirkt manches improvisiert und chaotisch. Aber ich glaube, dass dieses Land noch zu mancher Überraschung fähig ist.

Mursi muss es machen

Also eines muss man der Alt-Herren-Riege des Militärrats lassen. Sie sind immer wieder für eine Überraschung gut. Nach allem, was in den letzten Wochen passiert ist, hätte es wohl niemanden gewundert, wenn nun auf einmal der ihnen nahestehende Ahmed Shafik zum Präsidenten erklärt worden wäre. Nun hat die Wahlkommission verkündet, dass Mohammed Mursi die Präsidentschaftswahlen mit 51,7 Prozent der Stimmen gewonnen hat. Von zwei Übeln scheint der Vorsitzende der Moslembrüderpartei „Freiheit und Gerechtigkeit“ wohl das kleinere. Shafik hatte im Wahlkampf angekündigt, dass er innerhalb kürzester Zeit Ruhe und Ordnung wiederherstellen wolle, falls er gewählt würde. Das klang doch eher nach einer Drohung. Mursi dagegen kündigte an, einen koptischen Christen – mit Vollmachten – zum Vizepräsidenten zu machen. Das klingt bei weitem weniger bedrohlich.

Immer deutlicher wird, dass sich das Militär in seiner „Staat-im-Staat-Lösung“ verbarrikadieren will. Seine staatstreichartigen Dekrete deuten genau in diese Richtung. Die Rechte des Präsidenten und des (nicht mehr vorhandenen) Parlamentes werden genau an dieser Stelle beschnitten, an denen die demokratischen Institutionen dem Militär weh tun könnten. Ob es unter diesen Umständen ein großes Vergnügen sein wird, als Präsident Ägypten zu regieren, dürfte fraglich sein. Nun muss es Mursi eben machen.

Viele sagen, dass es eigentlich egal sei, ob Mursi oder Shaffik Präsident wird. Ich glaube das nicht. Nun bin ich kein Fan der Moslembrüder, aber ich glaube, dass die Situation, so wie sie jetzt eingetreten ist, die einzige ist, die dem Land nun wieder eine Zukunftsperspektive gibt. Natürlich kann das Militär im Gesetzgebungsverfahren dem künftigen Präsidenten immer wieder in die Parade fahren. Was das Militär jedoch nicht verhindern kann, ist ein Versuch Mursis, das Land zu vereinen. Von einer Regierung der nationalen Einheit ist ja bereits die Rede. Wenn er nun also Kopten und Säkulare mit in die Verantwortung einbindet und es langfristig wirklich zu einer übergreifenden Versöhnung kommt, dann sieht sich der Militärrat plötzlich einer starken Zivilgesellschaft gegenüber. Wie lange er sich unter diesen Umständen dann noch halten kann, wird sich zeigen.

Immerhin hat der künftige Präsident schon angedeutet, dass er diesen Weg gehen will. Allerdings ist das Misstrauen auf der anderen Seite noch groß. Das hat seinen Grund. Die Moslembrüder, die unter dem Mubarakregime am meisten gelitten haben, haben sich erst sehr spät bei den Demonstranten untergehakt und später auch schnell ihre neugewonnene Macht leidlich ausgenutzt. Es hat auch immer wieder Ankündigungen gegeben, die am Ende nicht eingehalten wurden. So wollten die Moslembrüder ursprünglich auf einen eigenen Kandidaten verzichten.

Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass Ägyptens neuer Präsident gar nicht so unbeschwert regieren kann. Auf diese Weise hat er vielleicht mehr Zeit für ein großes Versöhnungswerk.

Und dann noch eines. In Ägypten hört man nicht unbedingt gerne, wenn es in den USA irgendetwas angeblich Vorbildliches gibt. Aber eines hat mir bei den Staaten immer sehr gut gefallen. Es ist nach Präsidentschaftswahlen – so schlimm auch die Schlammschlacht gewesen sein mag – ein guter Brauch, dass der Verlierer seine Anhänger auffordert, sich hinter den neuen Präsidenten zu stellen. Wäre vielleicht ganz gut, wenn Ahmed Shaffik eine ähnliche Geste bereit hätte.

Ägypten und Griechenland

Es war eine kleine, aber feine Lesung gestern Abend im K-Salon in der Kreuzberger Bergmannstraße. Interessanterweise kam die die Diskussion dann auch irgendwann auf Griechenland, aber nicht etwa wegen der Euro-Krise oder dem bevorstehenden Halbfinale gegen Deutschland. Es ging um das Verhältnis zwischen Ägypten und Griechenland, das seit der Antike ein traditionell gutes ist. Herodot hat gleich zwei seiner Weltwunder in Ägypten angesiedelt. Der Handel zwischen Alexandria und Piräus war stets sehr lebendig. Griechische und ägyptische Kultur standen in regem Austausch. Die zweitgrößte ägyptische Stadt ist eine Gründung Alexander des Großen.

Für viele Griechen wurde Ägypten auch zu einer zweiten Heimat. Bis vor sechzig Jahren war ein großer Teil der Gastronomie und Hotelerie fest in griechischer Hand. Kellner waren fast ausnahmslos Griechen und wurden in Restaurants traditionell herbeigeklatscht, so dass in Ägypten ein Sprichwort entstand: „Klatsch in die Hand, und ein Grieche kommt gerannt.“ In jener Zeit lebten rund 300.000 Griechen in Ägypten.

Das änderte sich mit der Revolution von 1952 und der späteren Machtübernahme von Gamal Abdel Nasser. Im Zuge der Verstaatlichung verloren viele griechischen Hoteliers ihre Häuser und am Ende flogen die 300.000 Griechen aus dem Land. Trotzdem gibt es bis heute eine starke gegenseitige Affinität.

Wer mir bis hierher gefolgt ist, mag sich vielleicht fragen, was diese Lobpreisung der ägyptisch-griechischen Beziehungen soll. Doch gerade in diesen Tagen kann das eine ganz entscheidende Rolle spielen. Wenn wir die Uhr um etwa ein Jahr zurückdrehen und uns daran erinnern, was im libyschen Bürgerkrieg passierte, wird es schnell klar. Tausende Flüchtlinge versuchten übers Mittelmeer nach Italien zu kommen. Schon da tauchte die Frage auf, ob Europa denn die vielen(!) Flüchtlingen aufnehmen könne. Die italienische Regierung wollte sie über ganz Euorpa verteilen, das Schengen-Abkommen war plötzlich in Gefahr.

Dass die Situation in Ägypten in diesen Tagen sehr ernst ist, wird niemand bestreiten. Es wird wohl kaum zu einem Bürgerkrieg wie in Libyen kommen, aber die ägyptische Wirtschaft steht vor dem Kollaps. Es ist also gar nicht so ausgeschlossen, dass sich irgendwann auch von Ägypten aus Flüchtlinge in Richtung Europa aufmachen. Aus historischen, kulturellen und geografischen Gründen wird ihr erstes Ziel ausgerechnet Griechenland sein – so wie es vor einem Jahr Italien für flüchtende Libyer war.

So! Und nun verdeutlichen wir uns einmal die Größenordnungen: Libyen hat 6,5 Millionen Einwohner, Italien zehn mal so viel. Italien ist zwar auch nicht das gesündeste Land Europas, aber Italien geht es verglichen mit Griechenland immer noch relativ gut.  Aber der heftigste Vergleich: Es gibt 10 Millionen Griechen, aber 85 Millionen Ägypter. Aus Lybien sind im vergangenen Jahr einige Zig-Tausend Menschen geflohen. Wieviele würden im schlimmsten Fall aus Ägypten fliehen? Sollte Ägypten tatsächlich zusammenkrachen, dann, so fürchte ich, können sich die europäischen Politiker jede Konferenz über irgendwelche Rettungsschirme für Griechenland einfach mal sparen.

Das ist vielleicht ein sehr pessimistische Szenario. Ich hoffe natürlich auch, dass es nicht so schlimm kommt. Aber es zeigt doch eines ganz deutlich. Über all die Diskussionen über Euro-Rettung und Griechenlandhilfe sollte man eines nicht vergessen: Wenn Ägypten in dieser Phase vollends ins Chaos stürzt, dann kann das á la longe die Europäer und den Rest der Welt viel teurer zu stehen kommen, als jeder Rettungsfond.

Der Untote

Es ist schon ziemlich krass: Da wird Hosni Mubarak gestern Abend für tot erklärt und der Militärrat erweckt in quasi wieder zum Leben. Das erinnert so ein wenig an die Zeiten in der Sowjetunion, wo man den Tod des Generalsekretärs der KPdSU zunächst auch einmal verschwieg. Allerdings hatte das damals den Sinn, dass sich die KP auf eine Nachfolgeregelung einigen konnte. Aber was soll das jetzt? Mubarak hatte doch nach dem Urteil vor drei Wochen gerade mal noch die Rolle eines Sündenbocks. Und die soll er nun komplett komatös bis zum St. Nimmerleinstag spielen? Spätestens jetzt ist ja klar, was seit Wochen und Tagen offensichtlich ist. Das Militär will die Kontrolle nicht abgeben, die Verantwortung aber nicht übernehmen.

Steht Ägypten vor dem Untergang? Vielleicht ja nicht. Aber dem Land steht das Wasser zumindest bis zum Hals.

Dabei könnte man, wenn man gutwillig wäre, sich alles positiv zurecht drehen. Dass das Verfassungsgericht das Parlament für unzulässig erklärt hat, weil ein Drittel der für Unabhängige bestimmten Sitze ein „Raub“ der Moslembrüder wurde, ist juristisch gesehen richtig und demokratisch vielleicht ein Gewinn. Nur zur Erinnerung: Es ist erst ein paar Wochen her, dass in Schleswig-Holstein der Landtag neu gewählt werden musste, weil das Wahlgesetz nicht der Verfassung entsprochen hat. Allerdings hat nach dem Urteil niemand den Landtag verrammelt. Der Militärrat hat das Parlamentsgebäude immerhin gleich mal versiegeln lassen.

Die Zulassung von Shafik zum zweiten Durchgang bei den Präsidentschaftswahlen sah zwar aus wie ein Kotau vor den Militärs, ist aber nur logisch, wenn dem Parlament die Legitimation abgesprochen wird. Das Gesetz, das Shafik von der Wahl ausgeschlossen hätte, stammte ja eben von diesem Parlament.

Das Verfassungsgericht hat also in beiden Fällen durchaus korrekt entschieden. Doch was dann passierte, ist der eigentliche Staatsstreich. Der Militärrat nutzte beide Entscheidungen aus, um sich wieder die komplette Macht zu sichern. Worum es ihm in Wirklichkeit geht, machte er mit dem Eingriff ins Etatrecht überdeutlich, jenem Recht, das in jeder vernünftigen Demokratie als das „Königsrecht“ gilt. Danach hat keine demokratisch legitimierte Institution das Recht, Einblick in den Militärhaushalt zu nehmen – den das Militär im übrigen selbst bestimmt. Es geht also um den Staat im Staat.

Das bizarre Schauspiel um den sterbenden Pharao ist so verräterisch. Warum wollen die Militärs nicht, dass der 84jährige jetzt endgültig von den Bühne des Lebens abtritt? Offenbar glauben sie ja noch immer, sich hinter ihm und seinen Untaten verstecken zu können. Dabei war Mubarak immer einer der ihren. Er selbst war übrigens auch nicht korrupter als sie – korrupter war wohl nur seine Familie. Wenn sie Mubarak noch länger am Leben erhalten wollen, dann entlarvt das am Ende doch nur ihr eigenes schlechtes Gewissen. Es scheint so, als ob sie meinen, diesen Sündenbock noch nötig zu haben. Und das kann alles sehr lange gehen. Mubaraks gleichalter ewiger Widersacher, der einstige israelische Premier Ariel Scharon liegt seit sechseinhalb Jahren im Koma.

Im Moment scheint mir die Situation in Ägypten wieder einmal sehr verfahren. Angeblich sollen die USA hinter den Kulissen „sanften Druck“ auf die Empfänger von 1,3 Milliarden Dollar Militärhilfe im Jahr ausüben. Das muss allerdings nichts gutes verheißen, denn dieser „sanfte Druck“ hat ja nicht mal den fragwürdigen Prozess gegen den Sohn eines US-amerikanischen Ministers verhindert. Aber es ist ja nicht das erste Mal seit Ausbruch der Revolution, dass Ägypten scheinbar vor unlösbaren Problemen steht.

Eigentlich läge die Lösung auf der Hand. Wenn irgendjemand dem Militär verspricht, dass es seine Nudelfabriken, Mineralwasserabfüllanlagen, seine Tankstellen und Ferienclubs behalten darf, dann wird in Ägypten sofort die blühende Demokratie ausbrechen. Das würde in der Tat einen zweiten Staat im Staat erfordern.

Historisch verzockt

Das war aber clever gemacht, war meine erste Reaktion, als ich vom Urteil gegen Hosni Mubarak erfuhr. Er bekommt lebenslang, was nach menschlichem Ermessen ja so lange nicht mehr dauern kann. Er wird nur wegen den Schüssen auf dem Tahrir verurteilt, nicht aber wegen Korruption. Das, so folgerte ich nun messerscharf, musste ja bedeuten, dass alle Korruptionvorwürfe auf seine Söhne Gamal und Alaa zurückfallen würden, auf Gamal wohl mehr als auf Alaa. Und dann kam der Hammer: beide Söhne durften das Gericht in Kairo als freie Männer verlassen.

Viel ist in den letzten Tagen darüber diskutiert worden, ob die erste Runde der Präsidentschaftswahlen Ägpten der Demokratie näher gebracht hat, oder ob die Wahl zwischen einem konservativen Moslembruder und einem Repräsentanten des Ancien Régime nicht ein gewaltiger Rückschritt sei. Regelmäßige Leser dieses Blogs werden meine Meinung dazu kennen. Das Urteil in Kairo war jedoch vermutlich der schwerste Schlag, der der Demokratie und Rechtsstaatbewegung in Ägypten bislang zugefügt wurde. Das Urteil gegen den ehemaligen Staatspräsidenten ist okay, ja es ist sogar historisch, weil erstmals in der arabischen Welt ein ehemaliger Herrscher von seinem Volk für sein Tun zur Rechenschaft gezogen wurde. Die Strafe war weise gewählt. Einerseits verhindert sie die märtyrerhafte Verklärung Mubaraks durch seine noch immer mächtigen Anhänger, andererseits entspricht des auch dem Gerechtigkeitsgefühl der Mehrheit der Ägypter. Sicher gibt es einige, die den 84jährigen gerne hätten hängen sehen. Doch das hätte die Unruhe im Land nur noch weiter verstärkt.

Das Urteil über die Söhne indes wird dem Land noch weh tun. Durch den faktischen Freispruch haben viele Ägypter ihr gerade aufkeimendes Vertrauen in eine faire und unabhängige Justiz verloren. Vor allem wird im Land nun wieder die Angst wachsen. Jeder erinnert sich daran, dass es die Thugs, die bezahlten Schläger waren, die während der Kamelschlacht auf dem Tahrirplatz ein Blutbad anrichteten. Die Bilder vom den verheerenden Jagdszenen im Fußballstadion in Port Said, dem rund 100 Fußballfans zum Opfer fielen, sind noch frisch. Auch hier floss im Vorfeld viel Geld.

Ägypter haben eine gewisse Neigung zu Verschwörungstheorien. Aber der Zusammenhang zwischen Geld und Gewalt ist in diesem Land leider auch unbestreitbar. Nach dem Freispruch wird die Befürchtung wachsen, dass es nun noch öfter zu unerklärlichen Gewaltausbrüchen kommen könnte, die nur den einen Zweck haben: Das Land zu destabilisieren.

Und dann gibt es da noch einen wirtschaftlichen Aspekt. Viele Ägypter haben gehört, dass die Familie Mubarak in der Schweiz 85 Milliarden gebunkert habe. Die Währung spielt dabei keine Rolle, für die einen sind es US-Dollar, für die nächsten Schweizer Franken, andere sprechen von Euro und die, die Pfund sagen, meinen damit sicher nicht Ägyptische. Da dieses Geld inzwischen eingefroren ist, gibt es eine erkleckliche Anzahl Ägypter, die tagtäglich auf dem Besuch vom Geldpostboten warten, der ihnen nun einen Umschlag mit 1000 irgendwas drin überreicht, mit herzlichen Grüßen von der Familie Mubarak an das betrogene Volk. Natürlich wird das nicht passieren. Doch mit dem Freispruch von Gamal und Alaa entsteht logischerweise die Befürchtung, dass sich die Mubaraks das Geld irgendwie wieder unter den Nagel reißen, Geld, das eigentlich dem Volk zustünde.

Schließlich gibt es noch einen anderen Punkt. Das ist das Signal, das an ausländische Unternehmen gesendet wurde. Jedes große ausländische Unternehmen, von Mövenpick bis Vodafone, musste seinen Anteil in Form von Beteiligungen an Gamal abgeben. Sollte er die noch haben, dann wird er nach wie vor ein mächtiger Mann sein. Schlimmer ist jedoch die Tatsache, dass es sich manches Unternehmen jetzt noch einmal gut überlegen wird, nach Ägypten zu gehen, wenn dort die alten Seilschaften fröhliche Urstände feiern.

Bleibt die Frage, ob und wie das Urteil von Kairo die Stichwahlen in zwei Wochen beeinflussen könnte. Geht die allgemeine Einschätzung dahin, dass dieser Spruch ein Sieg für das alte System war, dann wird das die Aussichten für den ehemaligen Premierminister Shafik deutlich schmälern. Sollte es allerdings zu dramatischen Gewaltausbrüchen mit mehreren hundert Toten kommen, dann könnte Shafiks Wahlkampfparole, „wieder für Ordnung zu sorgen“, am Ende vielleicht sogar noch aufgehen.

Eigentlich ist es traurig: Da hat das Gericht ein wirklich historisches Urteil gefällt und mit den Urteilen für die Mitangeklagten den ganzen Erfolg wieder verzockt.

Mit Sicherheit

Fast jeden Tag werde ich gefragt, wie es um die Sicherheit von Touristen in Ägypten bestellt ist. Da kommen natürlich Nachrichten wie diese, nach der heute zwei amerikanische Touristen auf dem Sinai entführt wurden, immer sehr günstig. Deshalb will ich mal diesen – durchaus exemplarischen Fall – zum Anlass nehmen, einige grundsätzliche Dinge zum Thema Sicherheit der Touristen klarzustellen.

Natürlich war die allgemeine Sicherheitslage vor der Revolution besser. Aber woran lag das denn? Es lag daran, dass die Polizei zuvor tun und lassen konnte was sie wollte, dass die gefürchtet war, und dass sie ihre Macht oft auch leidlich ausnutzte. Als Anfang der 90er Jahre die Terrororganisation Gamaa al Islamiyya auf ihren ersten Feldzug gegen die Touristen ging, kam das bei der Bevölkerung gar nicht gut an. Die Gamaa stoppte die Anschläge auf Reisebusse und verkündete, jeden Tag einen Polizisten töten zu wollen. Da erhob sich komischerweise kein Sturm der Entrüstung. Warum wohl?

Schon während der Revolution ist die Polizei weitgehend abgetaucht. So langsam lässt sie sich wieder blicken, und wer uniformiert ist und den Straßenverkehr regelt, ist nun nett, freundlich und zuvorkommend. Nur nicht anecken, scheint die Devise bei den Beamten zu sein. Die Verkehrsdisziplin, die in Ägypten noch nie besonders ausgeprägt war, ist nun völlig auf den Hund gekommen. Und an diesem Punkt muss ich eines zugeben: Nie war es für einen Touristen gefährlicher, die Straße zu überqueren, als in diesen Tagen. Allerdings – ungefährlich war es auch noch nie.

Wieviele von den rund 4.000 Schwerverbrechern, die während der Revolution rausgelassen wurden, um das Land zu destabilisieren, inzwischen wieder hinter Gittern sitzen, kann ich leider nicht sagen. Dass Ägyptens Verbrecherelite mindestens zum Teil noch auf freiem Fuß ist, macht die allgemeine Sicherheitslage im Land auch nicht gerade besser.

Trotzdem merken die Touristen von all dem eigentlich relativ wenig. Das ist ziemlich erstaunlich, denn gerade dort, wo sich aus der Sicht des gemeinen Ägypters Geld und Reichtum im Überfluss befinden – nämlich den Urlaubsgebieten – scheint es am sichersten im ganzen Land zu sein. Die Erklärung ist – zumindest für mich – relativ einfach. Jeder, aber auch wirklich jeder Ägypter fühlt sich für seine Gäste, die ihn in seinem Land besuchen, verantwortlich und versucht ihn mit allen Möglichkeiten zu schützen.

An dieser Stelle wäre der Einwand angebracht: Aber was ist mit diesen Entführern auf dem Sinai? Wenn ich nun behauptete, dass das keine Ägypter seien, dann hätte das möglicherweise einen rassistischen Ruch. Ich sag es trotzdem, weil sie es nämlich selbst so sehen. Wenigstens die Beduinen auf dem Sinai empfinden sich selbst nicht als Ägypter, sondern als Menschen, die eben notgedrungen in diesem merkwürdigen Staatssytem leben. Seit dem Ende des Mubarak-Regimes kommt es immer wieder zu solchen Entführungen. Kurios war die kurzeitige Entführung von sechs Deutschen im Januar. Da forderten die Entführer eine Widerholung der Parlamentswahl für die Provinz. Der Gouverneur gab nach.

Das alles erinnert sehr an den Jemen vor einigen Jahren. Immer wieder wurden dort Touristen – wohl auch von Beduinen – entführt. Jedesmal wurden Krisenstäbe gegründet, und es gab em Werderschen Markt eine große Betriebssamkeit und Hektik – soweit die Entführungsopfer Deutsche waren. Nicht selten tauchten die Entführten nach ein paar Tagen begeistert wieder auf und erzählten, sie seien zu einer beduinischen Hochzeit eingeladen worden, und ihre Gastgeber hätten sie gar nicht mehr gehen lassen. Dass sie Opfer einer Entführung geworden waren, hatten sie oft nicht einmal bemerkt.

Tatsächlich wurde in der Zwischenzeit um eine neue Straße für das Dorf oder um eine Schule verhandelt. Komischerweise endete das vermeintliche Fest immer genau dann, wenn die Verhandlungen erfolgreich verlaufen waren. Was für die einen ein großes folkloristisches Ereignis war, bedeutete für die anderen einen hochkriminellen Akt.

Ich weiß nicht, wie es den beiden Amerikanern auf dem Sinai geht und ob für sie eine ähnliche Folklore-Kulisse aufgebaut wird. Ich glaube es nicht. Allerdings geht es in dem vorliegenden Fall offenbar weniger um eine Schule oder um Wahlbetrug. Scheinbar will ein Clan einen Drogenschmuggler aus seinen Reihen befreien. Allerdings ist auf diese offizielle Verlautbarung wenig zu geben. Die „Tatsache“, dass es sich um einen Drogenschmuggler handelt, muss auch nicht unbedingt stimmen.

Zurück zur allgemeinen Sicherheitslage. Aus dem vorliegenden Fall lernen wir, dass es zur Zeit vielleicht sicherer ist, in Hurghada, El Gouna, Makadi oder Soma Bay Urlaub zu machen, als in Sharm el Sheik, Nuweiba oder Dahab. Wer trotzdem auf den Sinai will, bleibe besser im Hotel oder gehe lieber nur in größeren Gruppe und lasse sich auf keinen Fall auf besondere (und besonders günstige) Touren nach Was-weiß-ich-wohin ein, die einem ein Wildfremder wie Kai aus der Kiste anbietet.

Ein Wort noch zu Kairo: Ja, man kann nach Kairo fahren, man kann auch die Pyramiden und wohl auch die Zitadelle besuchen. Beim Ägyptischen Museum wäre ich persönlich etwas vorsichtig, weil es eben direkt am Tahrir-Platz liegt, und das ist nach wie vor der Haupt-Demonstrationsort des Landes.

Ist es dort wirklich so schlimm? Ich will’s mal so sagen. Natürlich würde ich jedem Ägypter zu einem Besuch Berlins raten. Er sollte dann auch ganz sicher einen Abstecher nach Kreuzberg machen. Sollte er aber aus irgendeinem Grund ausgerechnet am 1. Mai abends um halb sieben den Kotti besuchen wollen, würde ich ihm doch auch sagen, dass das zu diesem Zeitpunkt keine besonders tolle Idee sei.

Partei oder Persönlichkeit?

Immer diese Schrifsteller! Der Verleger (r.) und sein Autor.

Noch einige kurze Anmerkungen zu meinem gestrigen Blogeintrag. Der hat immerhin zu einer sehr intensiven Auseinandersetzung mit meinem Verleger Robert in der Kneipe unseres Vertrauens geführt. Vor allem die These, dass Mohamed Mursi die Wahlergebnisse der Moslembrüder halbiert habe, hat Robert erzürnt. Außerdem musste ich mich – nicht ganz zu Unrecht – mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass der Blogeintrag dann doch ein wenig zuviel Insider-Wissen voraussetzt. Insbesondere die Vielzahl der Namen habe dann etwas verwirrt. Diese Verwirrung will ich nun entwirren.

Von den 13 Kandidaten, die zur Präsidentschaftswahl standen, galten fünf als aussichtsreich.:

  1. Der frühere Außenminister Amr Moussa,
  2. der ehemalige Moslembruder Abul Futuh,
  3. der frühere Premierminister Ahmed Shafik,
  4. der Vorsitzende der Partei der Moslembrüder „Freiheit und Gerechtigkeit“ Mohamed Mursi,
  5. der Nasserist Hamdin Sabahi.

Als Favoriten galten Moussa und Futuh, die sich auch in einem Fernsehduell vier Stunden lang gegenüber standen. Es war das erste seiner Art in Ägypten. Experten waren vor der Wahl davon ausgegangen, dass Moussa weitgehend die Stimmen des säkularen Lagers sammeln würde und Abdul Futuh die meisten Stimmer der Religiösen bekommen würde.

Obwohl die Moslembrüder bei den Parlamentswahlen mit ihrer Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ mit rund 47 Prozent der Stimmen extrem gut abschnitten, wurden Mursi keine all zu großen Chancen eingeräumt. Zum einen war er nur der Ersatzkandidat. Der eigentliche Kandidat der Moslembrüder Chairat el-Shater war von der Wahl ausgeschlossen worden. Mursis Wahlkampfauftritte waren häufig ein Desaster, und außerdem fand der im Sommer von den Moslembrüdern ausgeschlossene Futuh gerade bei der Jugend der Moslembrüder viel Zustimmung. Schließlich hatten sich in den letzten Monaten zahlreiche Wähler enttäuscht von den Moslembrüdern abgewendet.

Vergleicht man das Abschneiden der Partei bei den Parlamentswahlen mit dem des Kandidaten zur Präsidentschaftswahl, dann ist das Ergebnis tatsächlich nur noch halb so groß. Der Streitpunkt am gestrigen Abend war nun, ob es zulässig ist, die Ergebnisse einer Parlamentswahl mit denen einer Persönlichkeitswahl zu vergleichen. Robert meinte nein, ich meine ja. Es ist sicherlich richtig, dass Mursi ziemlich schlechte Startvoraussetzungen hatte. Wenn es stimmt, was man so hört, dann war er der sprichwörtliche „Hund, der zum Jagen getragen werden muss.“ Doch sein vergleichsweise schlechtes Abschneiden ist nicht alleine seiner Person geschuldet. Tatsächlich haben sich in den letzten Monaten vor allem junge Ägypter von der Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ abgesetzt, weil sie von den Moslembrüdern enttäuscht sind und im Land zu wenig passiert.

Das kann sich jetzt bald ändern. Gestern hatte ich prophezeit, dass Mursi verhandeln muss, wenn er die Stichwahl gewinnen will. Und was lese ich heute? Dass er sich einen koptischen Vizepräsidenten vorstellen kann. Das klingt zunächst einmal nicht schlecht. Die Kopten machen immerhin 10 Prozent der Bevölkerung aus. Sie haben allerdings unter den halbanarchischen Zuständen am meisten zu leiden. Mursis Gegner Shafik verspricht, diese Zustände mit größter Härte beenden zu wollen. Das klingt dann eher wieder nach Drohung im Stile des alten Regimes, denn nach Hoffnung.