Pressekonferenz im Orient

Nun habe ich ja schon die ein oder andere Pressekonferenz in meinem Leben besucht. Aber die heute morgen war schon etwas Außergewöhnliches. Geladen hatte der Verband der Reiseveranstalter Red Sea und – man höre und staune – die Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“. Eigentlich ist die Partei hier im Land und in Europa besser bekannt unter „Moslembrüder“.

Es stimmt schon. Hier handelt es sich im eine islamistische Partei. Die Frage ist jedoch, wie gemäßigt sie inzwischen ist. Aber das soll an dieser Stelle nicht das große Thema sein. Dass sich die Moslembrüder mit dem Touristenverband zu einer Pressekonferenz im Steigenberger Hotel treffen, ist schon mal bemerkenswert genug. Bislang war ich ja bei solchen Terminen ein paar Häppchen und ein wenig Getränke gewohnt. Wenn es etwas Größeres war, gab’s dann schon mal ein paar „Giveaways“ der besonderen Art. In Rottweil war die Jahrespressekonferenz im Milchwerk immer besonders beliebt, weil es da für die Pressevertreter Fruchtjoghurt in rauhen Mengen zum Mitnehmen gab.

Im Steigenberger gab es keinen Fruchtjogurt, dafür im Vorraum so ziemlich alle Köstlichkeiten des Orients, inklusiver zweier Schokoladenbrunnen. Aus dem einen sprudelte weiße, aus dem anderen braune Schokolade. Es war also kein Wunder, dass sich der Beginn der Veranstltung gleich um eine halbe Stunde verzögerte, aber das lag auch daran, dass sich der Gouverneur verspätete, was durchaus üblich und eingepreist ist.

Mazen und Abir - vielen Dank für Eure Hilfe.

Die erste Reihe des großen Saales war für die höhere Geistlichkeit und die lokale Politprominenz reserviert. Alle hatten sie kleine Tischchen mit Erfrischungen vor sich. Auch in der zweiten Reihe gab es Erfrischungstischchen. Sie war für hochrangige Militärs reserviert. Die folgenden Reihen hatten keine Tischchen. Dort saßen Freunde und Angehörige aus Reihe 1 und 2. Etwa in Reihe fünf hatten dann die ersten ägyptischen Journalisten Platz genommen. Danach, mit gebührendem

Abstand, kam der nächste Block mit mehreren Sitzreihen, in denen ausländische, vorwiegend russische Kollegen Platz nahmen. Die Pressekonferenz fand im Rahmen der ägyptisch-russischen Kulturwoche statt. Es gab auch eine Simultan-Übersetzungsanlage – leider nur arabisch-russisch, was mich jetzt nicht unbedingt weiter gebracht hätte. Doch mit Abir hatte ich eine wunderbare und hochkompetente Dolmetscherin an meiner Seite. So konnte ich den wesentlichen Punkten der Veranstaltung gut folgen.

Die wichtigste Erkenntnis: Die Muslimbrüder wollen den bislang vorherrschenden Tourismus nicht nur unangetastet lassen. Sie wollen den Tourismus vielmehr durch neue Produkte (übrigens explizit auch im Bereich Sport!!) weiterentwicklen und planen bis zum Jahr 2016 die Touristenzahlen auf 20 bis 25 Millionen zu steigern. Angesichts von 10 Millionen Urlaubern vor der Revolution scheint mir das ein sehr ehrgeiziges Ziel.

Der Vertreter der ägyptischen Sozialdemokraten forderte, im Tourismus mehr Augenmerk auf die Ökologie zu legen und die Arbeitsbedingungen der im Tourismus beschäftigten nicht außer acht zu lassen. Beonders bemerkenswert aber fand ich die Rede eines Sheiks der Al-Ahsar Universität in Kairo, der mit einem Koranzitat verdeutlichte, dass das Reisen durchaus ein gottgefälliges Werk und der Tourismus daher zu fördern sei.

Alles in allem dauerte die ganze Veranstaltung drei Stunden. Ich habe mir danach ausgemalt, wie Kollegen in Deutschland reagieren würden, wenn sie drei Stunden bei einer Pressekonferenz absitzen müssten. Es war eine sehr amüsante Vorstellung.

Für mich war es eine tolle Erfahrung, und gebracht hat es auch einiges. Nach drei Wochen fruchtbarer und intensiver Arbeit bildete diese PK einen sehr gelungenen Abschluss. Ich bin Mazen Okasha sehr dankbar, dass er mir den Besuch dieser Veranstaltung ermöglicht hat.

Inzwischen sind meine Bordkarten ausgedruckt. Der Flieger nach Deutschland geht morgen Nachmittag um 15.30 Uhr. Doch in Deutschland wartet noch viel Arbeit auf mich.

Das wird natürlich noch nicht das Ende des Blogs „Koulou tamam, Ägypten?“ sein. Ich werde auch weiter über die Entstehung des Buches und vor allem über die Entwicklungen in Ägypten berichten. Spannende Tage liegen vor uns. Am 25. Januar jährt sich der Ausbruch der Revolution zum ersten Mal. Über dem ganzen Land liegt eine gespannte Erwartung. Auch das Urteil über Hosni Mubarak steht noch aus. Wenn es gesprochen ist, wird es sicher auch Reaktionen auf der Straße geben. In diesem Zusammenhang übrigens ein Wort an alle Gegner der Todesstrafe (zu denen ich mich selbstverständlich auch zähle): Es ist zwar nicht ausgemacht, dass Mubarak zum Tode verurteilt wird (der Staatsanwalt hat das gefordert). Allerdings gilt es als ziemlich ausgeschlossen, dass er im Falle eines solchen Spruchs auch hingerichtet wird, denn das gibt die Gesetzeslage gar nicht her. Die sagt nämlich, dass ein über 80jähriger gar nicht hingerichtet werden darf. Ich schätze mal, dass die Ägypter damit weiter sind, als zum Beispiel der US-Bundestaat Texas.

Bittere Erkenntnis

Der Tourismusboom in Hurghada begann im November 1986. Im Juni 1991 kam ich zum ersten Mal in die Stadt, als ganz normaler Tauchtourist. Drei Jahre später begann ich hier gelegentlich als Tauchguide zu arbeiten. Seit 1997 schreibe ich über den Fremdenverkehr in Ägypten, 2003 erschienen meine ersten Bücher zum Thema „Ägypten und der Tourismus“. Eigentlich sollte ich Bescheid wissen. Ich habe die Urlaubsindustrie am Roten Meer als wirtschaftlich wichtigste Einnahmequelle beschrieben, weil rund jeder vierte Ägypter direkt oder indirekt an dieser Industrie hängt. Ich habe auch über die Gefahren berichtet, die dieses Phänomen mit sich bringt, dass nämlich immer mehr Menschen in diesem Sektor arbeiten wollen, weil hier die Löhne höher sind, als die Entlohnung für Ärzte oder Lehrer.

Das marode Bildungssystem war ebenso ein Thema, wie das Furcht erregende staatliche Gesundheitssystem. Wer Anfang der 90er ins Generalhospital musste, wurde von den Freunden verabschiedet, als begäbe er sich auf eine Reise ohne Wiederkehr. Glück hatte, wer ins Marine-Hospital kam, und als schließlich das private El Salam Hospital eröffnet wurde, schien der Fortschritt nicht mehr aufzuhalten. Die ägyptischen Schüler lernen in der Schule zwar nichts, und die Eltern werden von den Lehrern, die die Kinder schlecht oder gar nicht unterrichten, aufgefordert, Geld für private Nachhilfestunden zu bezahlen, die eben diese Lehrer dann selbst geben – aber was soll’s? In El Gouna entwickelte sich schnell eine inzwischen renommierte internationale Schule. Die vierte Klasse der deutschen Schule in Hurghada hat gerade den Mathematikpreis der Freien Universität Berlin gewonnen.

Mal ganz ehrlich, der Fortschritt in Ägypten schien doch nicht aufzuhalten!

Fortschritt? Wenn es überhaupt so etwas wie Fortschritt gegeben hat, dann nur in einem kleinen privatfinanzierten Bereich, der auch nur einer immer kleiner werdenden Gruppe von Ägyptern zugute kommt, nämlich der, die Geld hat. Ansonsten sind es Ausländer, die von privaten Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen profitieren.

Heute muss ich einsehen, dass Ägypten in diesen 20 Jahren, in denen ich das Land bereise und darüber berichte, völlig auf den Hund gekommen ist – und ich habe es nicht einmal bemerkt. Und ich bin nicht der einzige Europäer hier, dem diese Einsicht so langsam dämmert. Es ist nicht so, dass wir die Missstände nicht gesehen hätten. Was wir völlig ausgeblendet haben, war die Tatsache, dass es von Jahr zu Jahr schlimmer wurde. Wir haben das Übel als etwas Statisches betrachtet, das zu dem Land gehört, wie die Pyramiden. Eine schnell wachsende Metropole wir Hurghada hat natürlich darüber hinweg getäuscht, dass es mit dem gesamten Land in gleichem rasanten Maße bergab ging. Als ich das erste Mal Ägypten verließ, wurde mein Gepäck noch mit einer Personenwaage abgewogen! Inzwischen gibt es hier einen hochmodernen Airport. Früher brauchte der Reisende Travellerschecks und Dollar, heute stehen an allen Ecken Geldautomaten. McDonalds und Burger King sind auch schon da. Das alles kann doch kein Zeichen für Rückschritt sein! Vielleicht nicht, aber es hat möglicherweise den Blick darauf verstellt, wie rasant sich die grundlegenden Dinge für die allgemeine Bevölkerung verschlechtert haben.

Urlauber müssen sich darüber keine Gedanken machen. Sie sollen hier ihre wohlverdienten Ferien genießen. Aber die, die leben, lebten, arbeiten oder gearbeitet haben, könnten sich heute vielleicht die ein oder andere Frage stellen. Natürlich ist der Tourismus nicht schuld daran, dass die Dinge so liegen, wie sie nun mal liegen. Aber komisch ist es schon, dass die Europäer während der ägyptischen Revolution viel panischer reagiert haben, als ihre ägyptischen Mitbewohner. Die nehmen die Umwälzung mit der Gelassenheit einer 7000 Jahre alten Hochkultur. Zwar gehen sie jetzt wegen jedem Dreck auf die Straße und demonstrieren lautstark, aber die Zukunftsangst der Europäer kennen sie nicht. Warum auch? Sie haben ja viel weniger zu verlieren. Und? Was wird aus eurem Land? „Mafish mushkella“ – „Kein Problem“. Irgendwie wird es schon klappen.

Parallelen

Housam ist Chefkoch bei Thomas und Barbara. Er stammt aus Oberägypten und hat vor fast 20 Jahren in der damaligen „Villa Kunterbunt“ als Putzkraft begonnen. Thomas meinte schon kurz nach meiner Ankunft, dass Housam einer meiner wichtigsten Gesprächspartner werden könnte. Er ist ein sehr gläubiger Moslem, ohne fanatisch zu sein, verleugnet seine Herkunft vom Land nicht und kann die Vorstellungen seiner Landsleute aus dem Niltal sehr genau wieder geben.

Chefkoch Housam

Der eigentliche Interviewtermin war noch gar nicht geplant, da traf ich ihn gestern morgen am Hintereingang des Restaurants. Weil der Schlüssel noch fehlte, kamen weder er noch seine Küchenbrigade an den Herd. Und so haben wir uns eine halbe Stunde lang über Gott und die Welt, Mubarak und die Revolution, über Bildung und Wohlstand – und natürlich über Ägyptens Zukunft unterhalten.

Zum Thema Demokratie meint er: „Das ist doch wie mit einem kleinen Kind, das laufen lernt. Natürlich fällt es ein paar Mal hin, ehe es laufen kann. So ist das bei uns mit der Demokratie auch. Na und?“ Da muss ein westlicher, demokratiegestählter Besserwisser dann schon einmal kurz schlucken. Wo der Mann Recht hat, hat er Recht.

Dann aber ein echter Schock. Es geht um Mubarak. Die letzten zehn Jahre seien schon schlimm, die 20 Jahre zuvor ganz okay gewesen. Große Begeisterung für den „Pharao“ klingt anders. Ich werfe ein, dass Ägypten im gleichen Zeitraum zuvor fünf Kriege erlebt hatte – und unter Mubarak habe es keinen mehr gegeben. Housam zuckt mit den Schultern. „Na und? Heute geht es uns schlechter, als zuvor. Mubarak hat den Frieden doch verschleudert.“ So, ist das also die Meinung der einfachen Leute vom Land?

Nachmittags habe ich ein Gespräch mit Mazen. Er hat Germanistik studiert, ist Buchhändler, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei am Roten Meer, Gewerkschaftschef der Fremdenführer. Er konnte Mubarak schon als Kind nicht leiden. „Der kann ja nicht einmal richtiges und sauberes Arabisch sprechen“, meint Mazen fast angewidert. Aber immerhin habe er dem Land doch 30 Jahre Frieden gebracht, versuche ich es an diesem Tag schon zum zweiten Mal. „Na und?“ fragt Mazen verwundert. „Unser Bildungssystem, unser Gesundheitswesen, alles ist verrottet. Uns geht es schlechter als vor 30 Jahren. Wo stand damals Malaysia zum Beispiel im Vergleich zu Ägypten? Und wo steht Malaysia heute, und wo stehen wir?“

Ich erfahre an diesem Nachmittag noch einige erstaunliche Parallelen zwischen dem einfachen Koch und dem intellektuellen Buchhändler. Beide beklagen zum Beispiel, dass Ägypten international nicht mehr diesen Rang einnimmt, der ihm zukommt. „Ägypten war doch einmal das Herz der Welt“ – beide drücken sich fast wortgleich aus. Es ist erstaunlich. Housam stand während der Revolution hinter seinen Töpfen und kochte für die wenigen Touristen, zur gleichen Zeit erlebte Mazen die berüchtigte Kamelschlacht auf dem Tahrir und wurde in einem Steinhagel der Mubarakanhänger schwer verletzt. Trotzdem wählen sie fast die selben Worte.

Es sind aber auch Worte voller Hoffnung, die nicht unbedingt zu dem passen, was manche hier lebenden Europäer befürchten. Housam und Mazen schauen beide sehr gelassen und optimistisch in die Zukunft. Und wenn die Moslembrüder nun an die Macht kommen – nun denn. Dann müssen sie sich eben beweisen. Und wenn sie es nicht können? „Dann verjagen wir sie eben wieder“, meint Housam, grinst, schlägt mir auf die Schulter und meint: „Don’t worry!“

Auf hoher See…

Eigentlich ist es schon ein seltsames Phänomen. In kaum einem Land ist der Tourismus älter als in Ägypten. Immerhin hat schon Herodot auf die Pyramiden als Sehenswürdigkeit hingewiesen. Aber der Massentourismus, der nun so viel Geld ins Land bringt, dass ganz Ägypten am Tropf des Fremdenverkehrs hängt, ist gerade mal etwa 25 Jahre alt. Und dass es überhaupt dazu kam, hat Ägypten einer ganz bestimmten Klientel zu verdanken. Die ersten, die mit Kamelen, Jeeps und Unimogs ans Rote Meer pilgerten, waren Taucher. Für die wurden erst Zeltplätze, dann ein paar Baracken und schließlich kleine Hotels errichtet. Kaum standen die Hotels, brachten die ersten Taucher ihre Familien mit. Die nichttauchenden Familienmitglieder fanden die unberührten Strände ganz toll – und so nach und nach kamen die ersten Urlauber, die nur der Strände wegen kamen. Und so wuchsen, ja wucherten die Hotels am Roten Meer.

Inzwischen machen in normalen Zeiten die Taucher in Hurghada nur noch etwas mehr als zehn Prozent der Touristen aus. Aktuell sind es aber über 30 Prozent. Und so war es auch in der Vergangenheit. Ich kam 1991 drei Monate nach dem Golfkrieg zum ersten Mal nach Hurghada. Strandtouristen gab es praktisch keine, aber die Tauchboote waren voll. Tatsächlich haben sich Taucher in all den Jahren nie von irgendwelchen Krisen und Katastrophen abhalten lassen. Natürlich gehen auch die Taucherzahlen in diesen Zeiten zurück. Sie brechen aber nie so dramatisch ein, wie die der „normalen“ Urlauber. Sie sind strukturell die wichtigste Urlaubergruppe geblieben und sie haben den Fremdenverkehr immer wieder über manche Krisenzeiten gerettet.

Klein Giftun (rechts)

Ich war heute zwischen den Giftuninseln tauchen. Nun gehört Sha’ab Dorfa nicht gerade zu meinen Lieblingsplätzen. Aber zwei große Napoleons und zwei üppige Schildkröten machen auch solch einen Platz zu einem schönen Erlebnis, über das dann an Bord lang und ausdauernd geredet wird. Die Revolution war weit, weit weg – wie eigentlich immer an Bord. Da geht es eigentlich nie um Politik, sondern nur ums Tauchen. Das Boot und das Meer bieten eine gewisse Sicherheit vor all den Unbilden an Land. Selbst die ägyptische Besatzung verändert sich komplett. Vor dem Ablegen wurde ich noch Zeuge einer hitzigen politischen Diskussion zwischen unserem Kompressorchef Mustafa und dem Kaptain unseres Bootes. Das einzige, was ich verstand, war immer wieder der Name Mubarak. Kaum hatte das Boot abgelegt, wurde die Stimmung viel entspannter und lustiger. Umgekehrt funktioniert es allerdings auch. Kaum sind alle wieder wohlbehalten an Land, drehen sich die Diskussionen beim Dekobier um Politik, Revolution und die Auswirkungen auf den Tourismus.

Andreas war heute noch besonders empört, über das, was ihm vor einem Jahr passierte, als er zum Tauchen nach Hurghada fliegen wollte. „Vier Tage vor Abflug ruft das Reisebüro an und erklärt mir, dass meine Reise storniert worden sei…“ Es hätte ihn dann kurzerhand auf ein anderes Ziel umgebucht. „Ich musste dann nach Teneriffa“, erzählte er angewidert. Das Mitgefühl aller anderer Taucher war ihm sicher.

Die Wüste lebt

Kleiner Kulturschock im Nirgendwo: Ein riesiges Einkaufszentrum mitten in der Wüste

So kann sich der Mensch irren. Ich dachte tatsächlich, dass mich – zumindest hier in Hurghada – nichts mehr schocken kann. Doch dann rief mich Barbara kurz nach zwölf an und meinte, sich solle mit ins Senzo-Center fahren. Wir fuhren los und fuhren und fuhren – in Richtung Süden. Gefühlt auf dem halben Weg nach Safaga standen wir plötzlich vor einem riesigen Einkaufscenter (Grundfläche schätzungsweise 30.000 qm) – mitten in der Wüste. Nach erfolgreichem Einkauf kamen wir dann so ein wenig ins Grübeln. Das amerikanische Schnellrestaurant mit dem großen gelben M war der Anlass. Im Januar 1995 hatte ich einen Interviewtermin in Kairo. Ich flog morgens hin und nachmittags zurück. Mein Basisleiter schärfte mir ein, dringend zwei, drei oder vier Hamburger von McDonalds mitzubringen. Auf dem Rückweg hatte ich eine Tüte auf dem Schoß, die mir bis zur Stirn reichte, sie war voll mit allen möglichen Produkten von MacD. Ich dürfte einen reichlich albernen Anblick geboten haben. Meinem Basisleiter Peter D. trieb es jedenfalls die Tränen in die Augen, als er die Tüte sah. Das ganze Zeug kam in die Mikrowelle und wir haben gespachtelt, bis keiner von uns mehr „papp“ sagen konnte. Dann klopfte es an der Tür. Kollege Joe kam vom Heimturlaub aus dem Allgäu zurück und hatte offenbar die elterliche Metzgerei ausgeplündert. Jedenfalls lud er uns zum Schlachtplatte essen ein. Im gleichen Jahr machte der erste McDonalds in Hurghada auf.

McDonalds ist für die meisten Ägypter unerschwinglich. In den zahlreichen Shops in der Senzo-Mall können auch die wenigsten Ägypter einkaufen, denn die supertollen westlichen Marken sind hier sogar noch teurer als in Europa.

Vor zwanzig Jahren war der Flughafen in Hurghada eine Luftwaffenbasis, die mehr oder weniger unzureichend für die paar Charterflugzeuge zurechtgezimmert worden war, die da innerhalb von einer Woche landeten. Inzwischen soll der Airport der drittverkehrsreichste Afrikas sein (nach Kairo und Nairobi), was ich persönlich allerdings kaum glauben kann. Im Moment ist er es sicher nicht. Als ich vor einer Woche ankam, standen gerade sechs Maschinen da. Früher wäre der Flughafen völlig überfüllt gewesen. Heute wirkt er damit fast wie ausgestorben. Trotzdem wird gerade unter Hochdruck an einer enormen Erweiterung gearbeitet. Die wird auch dringend notwendig sein, wenn sich hier alles wieder normalisiert.

Mit der Erweiterung der Flughafens wird es natürlich noch mehr Hotels und noch mehr Markenshops geben – und damit noch mehr Dinge, an denen der normale Ägypter gar nicht partizipieren kann. Im Sommer, so erzählt Thomas, sei die Senzo-Mall inzwischen der Treffpunkt junger Ägypter, die freilich nichts einkaufen können. Aber die vollklimatisierte Mall mit ihren Spielhallen und überdachten Freizeitparks ist bei 40 Grad im Schatten ein sehr angenehmer Platz, um einfach abzuhängen.

Hat die Revolution vielleicht auch damit zu tun, dass die jungen Ägypter an diesem offenkundigen Luxus für die Urlauber nun ebenfalls teilhaben wollen? Diese Entwicklungen gibt es doch nicht nur in Hurghada oder Sharm el Sheik, sondern auch in Kairo oder Alexandria. Natürlich hatte das Volk vor einem Jahr von Mubarak einfach mal die Nase voll. Doch vielleicht verbinden viele junge Ägypter mit der Revolution auch ganz einfach nur den Wunsch, nicht mehr nur vor den Schaufenstern der Läden zu stehen, sondern dort irgendwann mal selbst einkaufen zu können.

Sie wollen nur spielen

Ultras gibt es nicht nur in der deutschen Bundesliga, sondern auch in der ersten Ägyptischen Liga.

So also sieht Revolution aus. Wer nie eine mit erlebt hat, geht davon aus, dass sich 24 Stunden am Tag kreischende Menschenmassen durch die Straßen bewegen, mit Transparenten fuchteln, Mollis werfen, Barrikaden bauen und manchmal einen König köpfen. Ich für meine Person erlebe zum ersten Mal eine Revolution mit. Nun muss ich feststellen, dass ich so manchem Irrtum unterlegen bin. So ging ich fälschlicherweise davon aus, dass es in Ägypten zwei Revolutionen gab, die im Januar und Februar und dann noch eine im November und Dezember. So wurde es auch etwa von den deutschen Medien dargestellt. Das ist falsch. Die Revolution vom Januar hat nie aufgehört. Ich dachte auch, dass ich in Hurghada einigermaßen weitab vom Schuss sei. Auch das hat nicht gestimmt. Revolution sieht nämlich ganz anders aus. Wer tagsüber am Strand liegt oder mit dem Boot hinaus zu den Inseln fährt, der bekommt in der Tat nicht besonders viel mit. Doch wer mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt geht, spürt den Unterschied. Die Aggressivität unter den Ägypter ist viel größer geworden. Jahrelang hatten Polizei und Militär den Daumen drauf. Die Polizei war verhasst, das Militär beliebt. Vor beiden Uniformen hatte man aber einen Mordsrespekt. Das ist vorbei. Andererseits ist die Polizei, die früher sehr willkürlich agiert hat, nun nahezu überkorrekt, was sich darin zeigt, dass nun überall und immer alles mögliche kontrolliert wird – was die Touristen allerdings kaum tangiert.

Im Zweifelsfall macht jeder Ägypter an jeder Straßenecke seinen eigenen Tahir-Platz auf. Beim Fußballspiel in El Gouna erlebte ich ein ziemlich bizarres Beispiel. Der Block mit den vielleicht 100 Fans von El Masri war schwer von Polizei bewacht. Kurz vor Ende stürmten die El-Masri-Ultras (so nennen die sich wirklich) den Nachbarblock. Nur – der war leer. Der nächste El Gouna-Fan befand ich auf der Gegenseite. Die Sicherheitskräfte kamen gerannt, es wurde gebrüllt und dann marschierten die Fans wieder zurück in ihren Block und fanden es lustig, dass die armen Teufel in Uniform und Schild und Helm so richtig rennen mussten. Ein paar Minuten später fingen El-Gouna-Anhänger an, sich untereinander zu prügeln. Dann gab es Elfmeter für El Gouna und die Prügelei war schlagartig vorbei. Seit der Revolution sei die Zahl der Spielabbrüche in der ersten ägyptischen Liga sprunghaft gestiegen, erzählte mir Samih Sawiris.

Seit inzwischen vier Tagen warte ich auf einen Interviewpartner, der aus Mansura im Norden Ägyptens nach Hurghada kommen soll. Leider kam er nicht aus der Stadt heraus, weil Demonstranten die Ausfallstraßen blockierten. Sie sind vom Wahlausgang in ihrer Stadt enttäuscht. Selbst, wenn er gestern hätte fahren können: Bis nach Hurghada wäre er nicht gekommen. Bei Ras Gharib war die Küstenstraße ebenfalls zu. Dort gab es eine große Demo gegen die Ölindustrie am Ort. Dort saßen dann einige Busse voller Touristen fest, die von Kairo nach Hurghada wollten.

Dass das Internet seit Tagen nur bruchstückhaft funktioniert, ist wohl auch eine Folge der Revolution. So etwas kann zwar in Ägypten immer wieder passieren – aber nicht tagelang. Es kümmert sich eben keiner richtig darum.

Revolution bringt immer ein Stück Anarchie mit sich. So gesehen läuft es hier ja noch prächtig. Aber wer sie besichtigen will, der kann die Anarchie in Ägypten in bestimmten Bereichen erleben. Es ist nun allerdings nicht so, dass hier das gesamte öffentliche Leben mit einem großen Seufzer in sich zusammenbricht. Das meiste läuft wie eh und je, aber nicht immer so glatt, wie in den vergangen Jahren (in denen es natürlich auch in regelmäßigen Abständen gewisse Aussetzer gegeben hat).

Ob ich Angst habe? Nee, zu Touristen sind die Ägypter nach wie vor nett. Als mich gestern ein Taxifahrer beschummeln wollte und ich mich lautstark zu Wehr setzte, standen sofort vier da, um mir zu helfen. Auch das ist Ägypten. Die Revolution ist nicht nur der Tahir. Es ist spannend zu erleben, wie sie sich im Alltag auswirkt. Manchmal scheint es so, als ob die Ägypter daran sogar richtig Spaß haben. Aber sie wollen dann nur spielen – so meint es mancher Europäer wenigstens. Ein bisschen ist da ja auch was dran. 30 Jahre lang war die Meinungsfreiheit in Ägypten – die auch unter Sadat nicht grenzenlos war – sehr eingeschränkt. Nun macht jeder, egal ob er für oder gegen Mubarak war, ausgiebig von dem Gebrauch, was er Meinungsfreiheit nennt. Dann wird es auch mal laut, oder es fliegen die Fäuste. Es ist nichts anderes, als der berühmte Dampf, der aus dem Kessel raus muss. Für den Reisenden ist es faszinierend, für die Menschen die hier leben – soweit sie Ausländer sind – lästig bis beängstigend. Aber ich glaube, es sind Begleiterscheinungen einer jeden Revolution. Sie werden in dem Moment verschwinden, in dem es wieder eine handlungsfähige, stabile Regierung gibt – egal welcher Couleur. Außerdem: wir in Europa fanden die Arabellion doch alle ganz toll – schon vergessen?

Einsichten

Heute hatte ich ein Interview, auf das ich sehr lange gehofft habe: Mit Samih Sawiris, Sohn eines der größten Bauunternehmer des Landes, Absolvent der TU in Berlin und Gründer von El Gouna. Ich halte ihn für die logische Fortsetzung und vor allem Weiterentwicklung des von mir hoch geschätzten Mohammady Hwaidak, eine Einschätzung im Übrigen, bei der mir Samih Sawiris heftig widersprochen hat. Trotzdem bleibe ich dabei. Als Mohammady Hwaidak in der 80er Jahren begann, Hurghada zu einer riesigen Fremdenverkehrsmetropole zu entwickeln, holte er sich ganz bewusst die eigene Konkurrenz in den Ort, mit der Begründung, es sei wichtig, das Geld im Lande zu halten und nicht ins Ausland abfließen zu lassen. Zwar wuchs der Ort explosionsartig, aber Mohammady verlor sehr schnell die Kontrolle über die Entwicklung der Stadt. Samih dagegen behielt in El Gouna die ganze Kontrolle. Seine Motivation ging einen entscheidenden Schritt weiter. Er wollte nicht einfach nur das Geld im Land halten und nebenbei für Arbeitsplätze sorgen. Ihm ging es auch darum, Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen, Chancen zu verbessern und Wohnungseigentum auch für die weniger privilegierten Ägypter zu ermöglichen. So wurde aus einem kleinen Tourismuszentrum eine florierende Stadt mit 25.000 Einwohnern, und das alles innerhalb von 20 Jahren. Zuvor gab es an diesem Ort einfach nur – Sand. Auch ich habe zu jenen gehört, die noch Mitte der 90er Jahre El Gouna als Retortenstadt verspottet haben. Inzwischen habe ich meine Meinung allerdings gründlich revidiert. Gut – es liegt ja auch auf der Hand, dass ein Disneyland-Themenpark Ägypten keinen Berliner TU Campus braucht. Den aber gibt es in El Gouna, genau so, wie ein sehr gelobtes Krankenhaus, mehrere Schulen und einer Hotelfachschule. Der Tourismus stellte sozusagen nur den Nukleus für eine völlig neue Stadt dar. Samih meint, wenn es in Ägypten 1000 El Gounas geben würde – und der Platz ist da – würde aus dem Staat ein stabiles, demokratisches und florierendes Land. Im Süden jedoch, wo immer neue Hotelstädte hochgezogen werden, gilt eher Hurghada denn El Gouna als Beispiel. Samih hingegen ist unverzagt und baut ähnliche Modellstädte in Marokko, dem Oman, auf Mauritius, in Rumänien und – man höre und staune – in der Schweiz. Vielleicht wird ja unter einer neuen Regierung sein Beispiel doch noch Schule machen, egal, wer an die Macht kommt.

Übrigens hat Samih auch einen Fußballverein in El Gouna gegründet, den er in wenigen Jahren von der untersten in die oberste Liga geführt hat. El Gouna hat gestern gegen El Masri leider 0:1 verloren.

Angekommen

In all den Jahren, in denen ich nach Ägypten komme, hat mich stets die Dynamik beeindruckt, mit der sich alles ändert. Doch um ehrlich zu sein, waren das dann doch eher äußerliche Dinge. Am Roten Meer wurden in Rekordzeit Hotels und Wohnblocks hochgezogen. Aus Gassen wurden Boulevards, in der Wüste gab es plötzlich Autobahnen (streckenweise sogar beleuchtete). Innerhalb von zwanzig Jahren wurde aus dem kleinen Fischerdorf Hurghada eine Stadt mit 60 Kilometern bebauter Küstenlinie.

Diesmal sind die Veränderungen doch ganz andere. In den ersten zwei Tagen in Ägypten, habe ich sehr viel Skepsis gehört – von den Europäern. Es sind genau die Europäer, die vor einem Jahr mit den Ägyptern die Revolution gefeiert haben. Die Situation scheint mir sehr ambivalent. Einerseits ist da die Genugtung darüber, dass das alte Regime nun weg ist, andererseits ist da die Unsicherheit darüber, was nun kommt. Das eigentliche Problem akut aber ein ganz anderes. „Es sind die kleinen Moslembrüder und die kleinen Salafisten“, sagt Thomas. Tatsächlich gibt es nun einige, die sich ganz bewusst mit den Europäern, die im Land leben, anlegen, weil sie glauben, ihnen nun vermeintliche Pfründe streitig machen zu können. Im Tourismus tätige Mittelständler haben die nicht ganz unbegründete Angst, nun verdrängt zu werden. Die Argumentation ist dabei ebenso offen wie absurd. „Ihr schafft das Geld hier raus, das wir selbst verdienen könnten“. Sie vergessen dabei, dass die angeblich so raffgierigen Europäer im Tourismus nun ja ganz offensichtlich drei bis vierfach höhere Löhne bezahlen, als Ägypter oder der Staat in anderen Wirtschaftszweigen.

Touristen dagegen spüren – wenigstens hier in Hurghada – wenig, außer, dass die Stadt erschreckend leer ist – und die Preise deutlich in die Höhe gegagangen sind. Das allerdings ist ein durchaus bekanntes Phänomen, das so manchen Wirtschaftswissenschaftler die Haare raufen lässt. Schon früher war es so, dass die Taxifahrer und die Shops immer dann besonders viel von den Touristen verlangt haben, wenn die Stadt leer war. Gestern fuhr ich mit dem Taxi vom Arabia Hotel zum Le Pacha. Der Fahrer wollte für die Tour 30 LE (ägyptische Pfund) vor einem Jahr war die Fahrt noch für 10 zu haben. Ich erklärte ihm, dass 30 LE am helllichten nachmittag dann doch ziemlich viel seien. Seine Antwort: „Ich steh den ganzen Tag vor dem Hotel und keiner will mit mir fahren, weil keine Touristen in der Stadt sind.“ Diese verblüffende Ehrlichkeit ist dann auch wieder typisch ägyptisch.

Der Name der Mubaracken

Nun dauert es keine Woche mehr. bis zum Abflug. Eigentlich sollte ich mich ja daran gewöhnt haben. Es gab Zeiten, da war der Flug nach Hurghada für mich etwa ähnlich aufregend, wie in die U-Bahn zu steigen. Doch diesmal ist es etwas anderes. In dem einen Jahr seit meinem letzten Besuch, hat sich das Land komplett verändert, und wohin die Veränderungen führen werden, weiß niemand so recht einzuschätzen. Ich bin richtig aufgeregt und zappelig. Ist das etwa Reisefieber? Heute hab ich bei der Fluglinie noch einmal Gepäck dazu gebucht, weil ich für drei Wochen ja niemals mit 20 Kilo auskommen werde. Schon jetzt habe ich Angst davor, was ich alles vergessen haben werden könnte… oder so.

Natürlich hat sich in Ägypten im Allgemeinen und in Hurghada im Besonderen auch früher schon vieles rasend schnell verändert. Zum Beispiel sind in Hurghada lauter gleich aussehende hellbraune Wohnblöcke mit verschnörkelten Balkonen aus dem Boden geschossen. Diese neuen Siedlungen wurden in stupider Eintönigkeit Mubarak I, Mubarak II, Mubarak III genannt. Am Ende sind sie bei Mubarak XII oder Mubarak XIII gelandet. Was mich natürlich brennend interessiert: Wie hat man dieses Namensproblem inzwischen gelöst? Zugegeben, es gibt sicher Wichtigeres. Aber mich treibt die Frage wirklich um! Aber es geht letztlich ja um mehr als um Mubaraks Baracken, sozusagen der Mubaracken. Es geht darum, wie es in dem Land weitergeht.

Vor ein paar Tagen unterhielt ich mich mit einem Iraker über die Situation im gesamten arabischen Raum, über all die Veränderungen. Was er zu mir sagte, schockierte mich ein wenig, und wäre es aus einem europäischen Munde gekommen, so hätte man sicherlich über Rassismus sprechen können. Er meinte, dass es wohl nirgendwo mit der Demokratie klappen würde, weil es am Ende immer auf einen Diktator hinauslaufen würde – egal in welchem Land Arabiens. Zugegeben, aus ihm sprach auch die Frustration über die Zustände in seinem eigenen Land nach dem Abzug der Amerikaner. Tatsächlich wird im Irak, wie auch in Syrien, immer wieder über einen Bürgerkrieg spekuliert. Auch die monatelange Beseitigung des Gaddafi-Regimes in Libyien war ja nichts anderes als ein Bürgerkrieg.

Verglichen damit ist es in Ägypten, trotz der Unruhen in Kairo und der neuerlichen Toten ziemlich friedlich zugegangen. Von einem Bürgerkrieg ist Ägypten bei allen Emotionen natürlich weit entfernt. Am Ende des Prozesses wird vielleicht eine Lösung stehen, die die ganze Welt überraschen wird und dann aber eine wirklich typisch ägyptische sein wird, die den Pragmatismus und die Emotionalität widerspiegelt. Vielleicht ist es am Ende gar keine Demokratie in unserem Sinne und trotzdem ein eher freiheitliches Regime.

Wenn der irakische Gesprächpartner Recht hat, dann würde ich Ägypten am ehesten wieder einen Herrscher wie Anwar al Sadat wünschen. Der hatte einerseits die Zensur abgeschaft und demokratische Rechte gestärkt, andererseits aber in der ägyptischen Verfassung den Satz: „Die Scharia ist eine Quelle des Rechts“ in „Die Scharia ist die Quelle des Rechts“ geändert. Diese Widersprüchlichkeit steht irgendwie für das Land.

Einer der bekanntesten ägyptischen Herrscher war Salah ed Din, den die Europäer Saladin nennen. Er war selbst war gar kein Ägypter sonder Iraker(!). Und der große Saladin hatte sich einst vordergründig wenig schmeichelhaft über seine Ägypter geäußert. „Sie sind lügnerisch und betrügerisch“, meinte er und fügte hinzu: „Sie lachen den ganzen Tag und machen aus dem Leben ein Fest. Dafür liebe ich die Ägypter.“ Das lässt doch hoffen.

Die Dividende der Revolution

Vor vielen Jahren erklärte mir ein ägyptischer Unternehmer: „Nirgendwo auf dieser Welt gibt es so viele Generäle wie in Ägypten.“ Ich war schon einigermaßen verblüfft. Doch er verdeutlichte es mir ziemlich einfach: „Jeder Soldat, der entlassen wird, rechnet im Zivilleben anschließend nach, welchen Rang er erreicht hätte, wenn er jetzt noch beim Militär wäre. Irgendwann mal sind dann alle Generäle.“

Inzwischen hat sich das wohl ein wenig geändert. Tatsache ist aber, dass das Militär bis vor einem Jahr sehr beliebt war, obwohl es seit fast 60 Jahren einen Staat im Staat darstellt. Das dürfte daran liegen, dass es die „Gruppe der freien Offiziere“ war, die 1952 den korrupten Könik Faruk zum Teufel jagte. Auch das war damals eine Revolution. Eine der wichtigen Errungenschaften dieser Revolution war das Frauenwahlrecht. (In diesem Zusammenhang drängt sich mir eine ganz aktuelle Frage auf: Jehan al-Sadat schreibt in ihrer Autobiographie „Ich bin eine Frau aus Ägypten“, dass es 1976 in Ägypten für die Männer Wahlpflicht und für Frauen das Wahlrecht gab. Wie sieht das 2011 aus?)

Tatsächlich gehörten Frauen zu den großen Gewinnerinnen der Revolution von 1952. Da mutet es schon sehr bedrückend an, dass es in diesen Tagen ausgerechnet Frauen sind, die sich vom ägyptischen Militär über den Tahrir jagen lassen müssen, die verprügelt und denen die Kleider vom Leib gerissen werden. Auf der anderen Seite fällt auf, dass offenbar ein machtvolles Wort der US-Außenministerin(!) genügt, und die Generäle knicken ein. Damit will ich natürlich nicht den Marsch der Frauen am Dienstagabend unterbewerten. Aber die lautstarke Solidarisierung von Hillary Clinton wird schon ihren Teil zu der überraschenden Entschuldigung des Militärrats beigetragen haben.

Trotzdem, es gibt in Ägypten durchaus auch Leute, die dieses Horrorbild von der verprügelten Demonstrantin ganz anders bewerten, als der Rest der Welt. Eine brave, fromme Ägypterin würde niemals einen blauen BH tragen, und deshalb könne diese Frau nur eine Prostituierte sein. Hm, als ich das gehört habe, fiel mir ein, dass angeblich Frauen schwerreicher Saudis regelmäßig tief verschleiert Pariser Dessous-Geschäfte leer kaufen. Das Geld, das dann noch übrig bleibt, spenden ihre Männer dann vermutlich an die ägyptischen Salafisten.

Doch ernsthaft: Es waren vor einem Jahr auch unzählige Frauen, die auf dem Tahrir dafür sorgten, dass das Mubarak-Regime gestürzt wurde. Ausgerechnet sie sollen nach der Revolution weniger Rechte haben, als zuvor? Sogar die Frauenquote, noch von Mubarak eingeführt, auf den Kandidatenlisten zur Wahl ist schon gekippt worden. Aus europäischer Sicht verläuft die Bruchlinie im Ägypten nach der Revolution zwischen Säkularen und Islamisten. Vielleicht verläuft sie seit gestern auch zwischen Männern und Frauen.