Die Bücher der Bücher

Zwar fiebern wir nun alle der Auslieferung von Koulou Tamam entgegen, aber übers Wochenende hat mich dann doch noch aus aktuellem Anlass ein ganz anderes Buch beschäftigt. Deutsche Salafisten haben in deutschen Städten den Koran verteilt. Das hat vor allem bei Konservativ-Christlichen für beträchtliche Aufregung gesorgt. Ich muss gestehen, dass ich das eine für so verfehlt halte wie das andere.

Vorab möchte ich allerdings noch etwas klar stellen. Es ist wohl auch in diesem Blog deutlich geworden, dass ich vor dem Islam einen hohen Respekt habe und dass ich sogar glaube, dass der Koran in bestimmten Dingen klarer und fortschrittlicher ist, als das neue Testament.

Warum ich die Aktion der Salafisten für verfehlt halte, ist relativ einfach zu erklären: Weil sie ihren eigenen Ansprüchen komplett widerspricht. Der Koran ist nicht interpretierbar und soll deshalb nur im hocharabischen Original gelesen werden. Vor allem die Salafisten, die sich als Gralshüter des wahren islamischen Glaubens betrachten, legen doch so viel Wert darauf, dass solche Regeln eingehalten werden. Die Übersetzung ist vom Zentralrat der Muslime autorisiert, und da die Übersetzung keine Übersetzung sein darf, hilft man sich in diesem Fall mit einem rhetorischen Salto Mortale und einem theologischen Beipackzettel, der die Übersetzung kurzerhand zu einer Beschreibung des Korans erklärt. Kann man machen – als pragmatischer aufgeschlossener Muslim. Doch warum sind solche Purzelbäume überhaupt notwendig? Weil es eben Fundamentalisten gibt, die peinlich darauf achten, dass zum Beispiel der Koran nicht durch eine Übersetzung interpretiert wird. Und jetzt springen die Salafisten auf den pragmatischen Zug auf? Das ist lächerlich.

Es ist nicht weniger lächerlich, als die hysterischen Reaktionen deutscher Christen auf die kostenlose Verteilung des Korans (oder seiner deutschen Interpretation). Der Koran an sich ist nicht mehr oder weniger verfassungsfeindlich als die Bibel. Auf den Jesuiten und Wanderprediger Pater Johannes Leppich SJ geht der Brauch zurück, dass in vielen deutschen Hotels ein Neues Testament in der Nachttischschublade liegt – das auch gerne mitgenommen werden kann. Darüber hat sich nie jemand aufgeregt – obwohl Pater Leppich den wenig schmeichelhaften Spitznamen „das Maschinengewehr Gottes“ trug. Auf protestantischer Seite ist es der Gideon-Bund, der bis heute Bibeln grundsätzlich kostenlos unters Volk bringt. Natürlich darf man die Frage stellen, was jemandem passieren würde, der in Medina kostenlos Bibeln verteilen würde. Eben! Gerade dass bei uns der Koran ungehindert verteilt werden kann, unterscheidet uns ja von Saudi Arabien.

Lasst die Menschen doch den Koran lesen und lasst sie vergleichen. Ist denn der christliche Gedanke so schwach, dass er sich vor dem islamischen verstecken müsste? Ist das laute Geschrei um die Koranverteilung nicht ein Armutszeugnis, ein Zeugnis der Schwäche und bedeutet es nicht letztendlich Glaubensarmut?

So sehr ich auch den Islam respektiere, so wenig käme er für mich als Glaubensalternative allerdings in Frage. Bei aller Schuld, die verschiedenen Kirchen und Konfessionen in den letzten 2.000 Jahren auf sich geladen haben mögen, eins steht doch fest. Das Christentum wurde 300 Jahre lang von freundlichen, friedlichen Menschen völlig gewaltlos verbreitet, von Menschen, die bereit waren, für ihren Glauben widerstandslos zu sterben. Märtyrer sind im christlichen Sinn gewaltlose Glaubenszeugen. Im aktuellen islamistischen Kontext sind Märtyrer Menschen, die sich Sprengstoffgürtel umbinden, um damit andere Menschen in die Luft zu sprengen. Keine Frage, welche Art von Märtyrer ich vorziehe. Was nun die Ausbreitung des jeweiligen Glaubens in den ersten drei Jahrhunderten betrifft, da hatte das Christentum keinerlei Waffen nötig, und es verbreitete sich trotzdem wie ein Lauffeuer. Auch der Islam verbreitete sich rasend schnell, allerdings fast überall unter der Zuhilfenahme von Krummsäbeln.

Gerade Salafisten nehmen gerne das Wort von den „Kreuzzüglern“ in den Mund. Ironischerweise ist es ausgerechnet ein Kreuzzug, der den Weg für ein gedeihliches Miteinander zwischen Christen und Moslems weist. Im Fünften Kreuzzug gelang es dem ägyptischen Sultan Al Kamil Muhammad al Malik und dem deutschen Kaiser Friedrich II., einen Weg des Ausgleiches ohne Blutvergießen zu beschreiten. Und das war nur auf der Basis des Respekts und der gegenseitigen Anerkennung möglich.

Der Name der Mubaracken

Nun dauert es keine Woche mehr. bis zum Abflug. Eigentlich sollte ich mich ja daran gewöhnt haben. Es gab Zeiten, da war der Flug nach Hurghada für mich etwa ähnlich aufregend, wie in die U-Bahn zu steigen. Doch diesmal ist es etwas anderes. In dem einen Jahr seit meinem letzten Besuch, hat sich das Land komplett verändert, und wohin die Veränderungen führen werden, weiß niemand so recht einzuschätzen. Ich bin richtig aufgeregt und zappelig. Ist das etwa Reisefieber? Heute hab ich bei der Fluglinie noch einmal Gepäck dazu gebucht, weil ich für drei Wochen ja niemals mit 20 Kilo auskommen werde. Schon jetzt habe ich Angst davor, was ich alles vergessen haben werden könnte… oder so.

Natürlich hat sich in Ägypten im Allgemeinen und in Hurghada im Besonderen auch früher schon vieles rasend schnell verändert. Zum Beispiel sind in Hurghada lauter gleich aussehende hellbraune Wohnblöcke mit verschnörkelten Balkonen aus dem Boden geschossen. Diese neuen Siedlungen wurden in stupider Eintönigkeit Mubarak I, Mubarak II, Mubarak III genannt. Am Ende sind sie bei Mubarak XII oder Mubarak XIII gelandet. Was mich natürlich brennend interessiert: Wie hat man dieses Namensproblem inzwischen gelöst? Zugegeben, es gibt sicher Wichtigeres. Aber mich treibt die Frage wirklich um! Aber es geht letztlich ja um mehr als um Mubaraks Baracken, sozusagen der Mubaracken. Es geht darum, wie es in dem Land weitergeht.

Vor ein paar Tagen unterhielt ich mich mit einem Iraker über die Situation im gesamten arabischen Raum, über all die Veränderungen. Was er zu mir sagte, schockierte mich ein wenig, und wäre es aus einem europäischen Munde gekommen, so hätte man sicherlich über Rassismus sprechen können. Er meinte, dass es wohl nirgendwo mit der Demokratie klappen würde, weil es am Ende immer auf einen Diktator hinauslaufen würde – egal in welchem Land Arabiens. Zugegeben, aus ihm sprach auch die Frustration über die Zustände in seinem eigenen Land nach dem Abzug der Amerikaner. Tatsächlich wird im Irak, wie auch in Syrien, immer wieder über einen Bürgerkrieg spekuliert. Auch die monatelange Beseitigung des Gaddafi-Regimes in Libyien war ja nichts anderes als ein Bürgerkrieg.

Verglichen damit ist es in Ägypten, trotz der Unruhen in Kairo und der neuerlichen Toten ziemlich friedlich zugegangen. Von einem Bürgerkrieg ist Ägypten bei allen Emotionen natürlich weit entfernt. Am Ende des Prozesses wird vielleicht eine Lösung stehen, die die ganze Welt überraschen wird und dann aber eine wirklich typisch ägyptische sein wird, die den Pragmatismus und die Emotionalität widerspiegelt. Vielleicht ist es am Ende gar keine Demokratie in unserem Sinne und trotzdem ein eher freiheitliches Regime.

Wenn der irakische Gesprächpartner Recht hat, dann würde ich Ägypten am ehesten wieder einen Herrscher wie Anwar al Sadat wünschen. Der hatte einerseits die Zensur abgeschaft und demokratische Rechte gestärkt, andererseits aber in der ägyptischen Verfassung den Satz: „Die Scharia ist eine Quelle des Rechts“ in „Die Scharia ist die Quelle des Rechts“ geändert. Diese Widersprüchlichkeit steht irgendwie für das Land.

Einer der bekanntesten ägyptischen Herrscher war Salah ed Din, den die Europäer Saladin nennen. Er war selbst war gar kein Ägypter sonder Iraker(!). Und der große Saladin hatte sich einst vordergründig wenig schmeichelhaft über seine Ägypter geäußert. „Sie sind lügnerisch und betrügerisch“, meinte er und fügte hinzu: „Sie lachen den ganzen Tag und machen aus dem Leben ein Fest. Dafür liebe ich die Ägypter.“ Das lässt doch hoffen.