Sissi soll’s richten?

Für mich gehört zu den erschütterndsten Folgen der Revolution in Ägypten, dass es nun ausgewiesene Demokraten sind, die laut einen Militärputsch herbeirufen. Wie verzweifelt müssen die einstigen Revolutionäre sein, wenn sie Freiheit und Demokratie auf diese Art und Weise beerdigen? Allerdings darf der europäische Beobachter dabei eines auch nicht außer acht lassen: Das Militär genießt in Ägypten ein überaus hohes Ansehen. Im Gegensatz übrigens zu Polizei und Sicherheitskräften. Daran änderte sich auch nichts, als der Oberste Militärrat vor einem Jahr dann doch recht kläglich an der stets ungeliebten Regierungsverantwortung scheiterte.

Ägyptische Triangel: Religion, Tourismus, Freiheit.                 Foto: psk

Ägyptische Triangel: Religion, Tourismus, Freiheit. Foto: psk

Vor einem Jahr dann ereignete sich Erstaunliches. Mohammed Mursi stürzte den Militärrat und seinen Chef, Feldmarschall Tantawi. Ob das ein genialer Schachzugs Mursis war, oder doch nur ein abgekartetes Spiel, darüber wird heute noch trefflich gestritten. Allerdings gibt es aus der heutigen Sicht nur noch ganz wenige, die Mursi einen solchen Geniestreich zutrauen. Entweder war er damals gut beraten, oder Tantawis Rausschmiss war das berühmte Korn, das auch mal ein blindes Huhn findet.

Sein Nachfolger heißt Sissi – ja, er heißt so und nun keine Witze mit Namen bitte – und der hat sich bislang stets zurückgehalten. Nun ist er ja nicht gerade ein Mann der Opposition. Aber seine Äußerungen in der Vergangenheit klangen nachgerade demokratietragend. Ein Eingreifen der Armee würde Ägypten in seiner Entwicklung um Jahrzehnte zurückwerfen. So war es im Handelsblatt zu lesen. Mann kann es aber auch so interpretieren, dass er meinte: „Hände weg von den Moslembrüdern.“ Die haben das allerdings schon alleine geschafft. Wahrscheinlich gelang es in der bisherigen Weltgeschichte nur den Roten Khmern, ihr Land nach der Machtübernahme noch schneller herunterzuwirtschaften.

Inzwischen klingt Armeechef Abdel-Fattah al-Sissi auch ein wenig anders. Er warnte nun, dass das Militär notfalls doch eingreifen werde, wenn Ägypten, in einem „dunklen Tunnel“ zu versinken drohe, berichtet der Zürcher Tagesanzeiger. Vorausgegangen waren Drohungen von Mursi-Anhängern, Demonstranten am 30. Juni bei der geplanten Großdemonstration totzuschlagen. Morddrohungen gegen die Opposition aus dem islamistischen Lager sind inzwischen freilich an der Tagesordnung.

Trotzdem ist es bemerkenswert, dass sich das Militär erstmals so eindeutig positioniert hat. Es zeigt, dass die Moslembrüder ganz rasant auch an Ansehen verlieren. Und es zeigt weiter, dass es das Militär seinerseits mit der Angst zu tun bekommt. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist das die große wirtschaftliche Macht: 40 Prozent des Bruttosozialproduktes wird von Militärunternehmen erwirtschaftet. So, wie die Wirtschaft im letzten Jahr zusammenkrachte, geht es der Armee inzwischen richtig ans Eingemachte. Zum anderen fürchten die Militärs auch um ihre Popularität im Volk. Es ist ja nicht so, dass von den rund 47 Prozent, die die Brüder gewählt hatten, die meisten Mord und Totschlag befürworten. Im Gegenteil.

Und dann gibt’s da noch eine andere Meldung, die al-Sissi wohl bestätigen dürfte. Südlich von Kairo wurden jetzt erstmals vier Schiiten von einem 3000-köpfigen Mob umgebracht. Es waren mal wieder Salafisten-Prediger, die offen zu Gewalt an etwa 40 Schiiten aufgerufen hatten. Im Parlament machen die Moslembrüder, aller heiligen Eide zum Trotz, seit einem Jahr gemeinsame Sache mit der Partei „El Nur“, dem politischen Flügel der Salafisten. Die haben nun nicht mehr nur christliche Kopten, sondern auch andersgläubige Moslems im Visier. Das könnte die Geduld der Mehrheit der Ägypter so langsam überstrapazieren

Ob der 30. Juni, wie viele Oppositionelle hoffen, der Auftakt zur „Zweiten Revolution“ sein wird, daran habe ich meine Zweifel. Aber die Anzeichen auf einen Zerfall der Mursi-Ära werden immer deutlicher. Das sehen offensichlich auch andere so. Vor knapp einer Woche beklagte ich noch, wie rasant das Ägyptische Pfund auseinander bricht. Da bekam man für einen Euro neun Pfund und 36 Piaster. Heute sind es neun Pfund und 18 Piaster. Man muss sich auch an kleinen Dingen freuen können.

Aufgeben gilt nicht

Vor mehr als einem halben Jahr habe ich in diesem Blog den letzten Beitrag veröffentlicht. Nach einem Jahr dachte ich, dass es jetzt mal gut sein müsste. Allerdings war mir aber, angesichts der ägyptischen Politik – darf man dieses Chaos überhaupt so benennen? – auch die Lust vergangen, noch weiter zu schreiben. Außerdem kam ich mir ziemlich bescheuert vor. Tatsächlich hatte ich eine Zeit lang daran geglaubt, dass die Moslembrüder die Kurve bekommen würden. Am Ende behielten die Recht, die von Beginn an vor der Bruderschaft gewarnt hatten.  Doch selbst die sind nun von dem Ausmaß der Konfusion ziemlich überrascht.

Gute Nacht, Ägypten?

Gute Nacht, Ägypten?

Diejenigen, die den Brüdern zutrauten, das Land zu ordnen oder wenigstens richtig zu verwalten, verwiesen ja nicht ohne Grund darauf, dass die Bruderschaft, die in diesem Jahr immerhin 85 Jahre(!) alt wird, stehts straff geführt und sehr gut durchorganisiert war. Und nur dieser Organisationsgrad habe es möglich gemacht, dass die Moslembrüder auch in der Zeit, da sie verboten waren, effektiv weiter arbeiten konnten und sogar wuchsen.

Von höherer Organisation- und Verwaltungskunst ist heute bei den Brüderen nichts mehr zu erkennen. Im Gegenteil. Die Versorgungslage wird von Tag zu Tag schlechter. Das Stromnetz steht vor dem Kollaps, die Produktion wird immer geringer, die Preise explodieren, die Einnahmen aus dem Tourismus brechen weg, das ägyptische Pfund zerfällt (aktueller Kurs heute: 1:9,36). So ziemlich jedes Gebiet in Wirtschaft und Gesellschaft ist heute deutlich schlechter dran, als zu den Zeiten Mubaraks. Auch Sitten und Moral verfallen – was nun ausgerechnet bei den islamischen Sittenwächtern seltsam anmutet. Im Februar wurde ich auf dem Flughafen in Hurghada Zeuge einer unfassbar bizarren Szene: Da kam es zu einer Prügelei zwischen Angehörigen des Sicherheitspersonals, weil sie sich nicht darüber einigen konnten, welches von drei Durchleutungsgeräten für die Passagiere benutzt werden sollte (Für alle, die sich auskennen: Das ganze spielte sich zwischen Passkontrolle und Duty-Free-Bereich ab).

Die jüngsten Schlagzeilen aus Ägypten sind auch alles andere als ermutigend. Mursi hat acht neue Gouverneure ernannt. Besonders „feines Gespür“ bewies er bei der Ernennung des Gouverneurs von Luxor. Adel Asaad al-Chajat gehört zur Gamaa al Islamiyya und damit zu der Organisation, die 1997 für das fürchterliche Blutbad am Hatshepsuttempel vor den Toren von Luxor verantwortlich gemacht wird.

Aussicht auf Besserung? Viele Ägypter schielen teils hoffnungsvoll, teils angstvoll auf den 30. Juni. Da sind in Kairo wieder große Proteste angekündigt. Mittlerweile schwirrt schon das Wort von der „Zweiten Revolution“ durchs Internet. Als hätten sie von der ersten noch nicht genug. Und dann ist da noch die Sache mit dem Militärputsch. Selbst überzeugte Demokraten sehnen sich den inzwischen herbei, weil sie glauben, dass dann wieder Ruhe und vor allem eine gewisse Ordnung im Land einkehren. Aber die Militärs zieren sich. Sie müssten ja dann Verantwortung übernehmen, das haben sie ja schon nicht getan, als sie in Form des Obersten Militärrats (SCAF) an der Macht waren. Mursi und seine Brüder haben im letzten Jahr schon weiß Gott viel Unheil angerichtet. Aber was der SCAF hinterlassen hatte, war auch alles andere als ein geordnetes Haus. Und dann noch eines: Als Mursi vor einem Jahr den greisen Feldmarschall Tantawi kurzerhand vor die Tür setzte, ordnete er auch den Militärrat neu. Nun muss man sicher nicht dreimal raten, wieviele Kritiker Mursis oder der Moslembrüder in dem höchsten Militärgremium sitzen.

Eine andere ägyptische Hoffnung stirbt derzeit jenseits des Mittelmeeres auf dem Taksimplatz in Istanbul. Rund zehn Jahre lang hat in der Türkei eine islamische Partei der Welt gezeigt, dass sie auch Demokratie kann – und das noch mit bis zu neun Prozent Wirtschaftswachstum. Das Thema dürfte nun auch begraben werden. Die Türkei als Vorbild für Ägypten? Fatalerweise scheint es ja umgekehrt zu sein. Erdoğans Rhetorik erinnert fatal an Mursis Geschrei mit dem Tenor „Wir haben die Mehrheit, wir dürfen alles“.

Wenn ich auf die Blogbeiträge vom vergangenen Jahr schaue, dann waren sie am Anfang eigentlich sehr von Hoffnung und Zuversicht getragen und wurden – analog zur politischen Entwicklung – immer pessimistischer. Natürlich ist der Frust groß, dass meine optimistischen Prognosen nicht eingetroffen sind. Aber vielleicht ist es auch inkonsequent, der ägyptischen Opposition vorzuwerfen, dass sie lieber wegläuft, als sich im Parlament beschimpfen zu lassen, und selbst in Schweigen zu verfallen, weil die eigenen Prophezeiungen kläglich danebengegangen sind. Aufgeben gilt nicht. Das sollte ich eigentlich von all den Freunden in Ägypten gelernt haben, die dort Fuß gefasst haben und allen Widrigkeiten zum Trotz im Land bleiben und weitermachen. Also: Ab jetzt an dieser Stelle wieder mehr – und dank an alle, die mir dazu einen kleinen Tritt gegeben haben. Dann sollte ich es in Zukunft halten wie Mark Twain: Ich mache keine Vorhersagen, schon gar nicht, wenn sie die Zukunft betreffen.

Ein Jahr danach

Vor genau einem Jahr und einem Tag ist an dieser Stelle der erste Beitrag im Produktionsblog „Koulou tamam, Ägypten?“ erschienen. Zugegeben: Ein Produktionsblog ist diese Seite schon lange nicht mehr. Das Buch ist im Mai erschienen, hat seine Leser gefunden und dem einen oder anderen vielleicht auch Zusammenhänge aufzeigen können, die er zu zuvor noch nicht gesehen hat.

Vier Mal war ich in diesem Jahr in Ägypten – und erlebte, wohl wie die meisten, eine schlimme Achterbahnfahrt. Hoffnung und Optimismus wechselten manchmal täglich mit Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Trotzdem muss ich sagen, dass meine Grundstimmung am Ende dann eher ins Positive gerichtet war. Da ich mich für das Buch auch sehr intensiv mit der jüngeren Geschichte auseinandergesetzt habe, ist mir aufgefallen, dass sich Ägypten zwar häufiger in völlig hoffnungslosen Situationen befand, aber sich irgendwie immer daraus befreien konnte. Zum Beispiel die Suezkrise oder die katastrophale Niederlage nach dem Sechstagekrieg.

Getreide und Energie werden in Ägypten knapp und teuer. Hier die etwa einen Kilometer Lange Schlange vor einer Tankstelle in Hurghada. Foto: psk

Dieses Mal geht mir so langsam der Glaube daran verloren. Einerseits sind da sie Nachrichten, die direkt aus Ägypten kommen. Nicht über die normalen Kanäle, sondern über Blogs, wie etwa Anderswo: Leben in Hurghada. Was da zu lesen ist, ist zutiefst erschütternd und verstörend. Andererseits weiß nun jeder, der das Land kennt, dass das Schlimmste ja erst noch im Frühjahr kommen wird. Wenn es wirklich zu explodierenden Getreidepreisen auf dem Weltmarkt kommt, wenn der IWF wirklich auf den Abbau der Lebensmittel- und Energiepreise besteht, was dann? Wenn das alles stimmt, dann sollen sich die Preise für Grundnahrungsmittel vervierfachen – und das in einem Land, in dem der größte Teil der Bevölkerung schon jetzt nicht mehr genügend Geld zum Leben hat.

Die Moslembrüder drängen mit aller Gewalt an die ganze Macht. Gut. Vergessen wir mal für einen Augenblick solche Kleinigkeiten wie Freiheit oder Demokratie. Sagte nicht schon Bert Brecht: Erst kommt das Fressen und dann die Moral. Eben. Die für mich vielleicht schockierndste Nachricht in diesem Jahr war nicht Mursis Griff zur Allmacht, es waren nicht die immer wieder schlimmen Bilder vom Tahrir oder neuerdings von vor dem Präsidentenpalast. Nicht einmal die grauenhaften Ereignisse im Stadion von Port Said am 1. Februar haben mich im Innersten so beunruhigt, wie die aktuellen Bevölkerungszahlen. Inzwischen gibt es auf der Welt über 90 Millionen Ägypter. Bislang war man von 80 Millionen ausgegangen. Als ich zum ersten Mal ins Land kam, und das ist nun über 20 Jahre her, waren es noch 60 Millionen. Die Bevölkerung wächst also um mehr als eine Million im Jahr. Man stelle ich das mal vor: In Deutschland würde jedes Jahr irgendwo in der Republik plötzlich eine Stadt in der Größe Köln auftauchen – einfach so.

Ägypten war einst die Kornkammer des Mittelmeerraums. Inzwischen reichen die Anbauflächen bei weitem nicht mehr, um die eigene Bevölkerung zu versorgen. Ägypten muss also Getreide einführen – und das auch noch sobventionieren, damit sich die Menschen überhaupt ihr Brot leisten können. Und nun sind da also die Moslembrüder. Dass sie fromm sind und zu islamischen Werten zurück wollen und die auch der gesamten Bevölkerung überstülpen wollen, lassen wir mal beiseite. Jeder darf nach seiner Facon selig werden. Aber leider gehören zu den islamischen Werten auch zwangsläufig große Familien (warum eigentlich?). Zu den scheinbaren islamischen Werten gehört auch, dass ein Mann möglichst viele Söhne haben sollte und die Töchter nun nicht ganz soviel zählen. Daran werden die Moslembrüder natürlich nicht rütteln.  Sogar Anwar al Sadat, der selbst ein sehr frommer Moslem war, hatte ein Programm zur Familienplanung auf den Weg gebracht und der Erfolg war ziemlich genau null – wenn man die Bevölkerungsentwicklung betrachtet.

Ist solch ein Programm von den Brüdern zu erwarten? Ich versuch mir gerade vorzustellen, wie die Köpfe der Bruderschaft (die ja angeblich nicht dumm sind) dem Mob, den sie auf die Straße geschickt haben, ganz vernüftig die Vorzüge einer Ein-Kind-Familie darlegen. Nein, natürlich sind die Brüder darauf angewiesen, ihre Anhänger mit traditionellen Ansichten bei Laune zu halten. Und genau hier versündigen sich die Moslembrüder an ihrem Land. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen um die Macht, die Unterdrückung der Opposition sind das eine, aber ein ganzes Volk sehenden Auges dem Hungerelend preiszugeben ist noch einmal etwas ganz anderes. Natürlich spekulieren sie in Ägypten auf die Hilfe ihrer arabischen Brüder. Sie wissen ja genau, dass reiche Scheichs aus den Emiraten, Kuweit und Saudi Arabien ihr Geld längst anderweitig angelegt haben: Zum Beispiel in riesige Weizenfelder in Äthiopien(!). Die Ernte landet nicht etwa auf dem Weltmarkt, sondern in riesigen Getreidesilos als wunderbares Spekulationsobjekt für Situationen, wie sie etwa im Frühjahr weltweit drohen.

Die arabischen Brüder werden sich ihre Hilfe aber sehr teuer bezahlen lassen. Und wenn in der Historie auf eines Verlass war, dann auf die Tatsache, dass es unter den arabischen Völkern einfach mal gar keine Solidarität gibt. Schon seit der Antike haben sie sich gegenseitig stets übers Ohr gehauen und selbst der Koran ist voll von solchen Geschichten. Es könnte also gut sein, dass sich die Brüder völlig verspekulieren, wenn sie auf nachbarschaftliche Solidarität setzen.

Ob sich die Opposition viel besser angestellt hätte, wag ich jetzt mal zu bestreiten. Untereinander waren sie seit Beginn der Revolution schon wie Hund und Katz‘. Präsident Mursi hat sie jetzt wieder ein wenig zueinander gebracht. Trotzdem: Eine Werbung für die Demokratie ist das Gehabe der „demokratischen“ Opposition auch nicht. Sie haben es den Brüdern im letzten Jahr schon sehr leicht gemacht. Ich glaube ich habe es an dieser Stelle auch schon mal so geschrieben: Es ist leichter eine Demonstration zu organisieren als eine parlamentarische Mehrheit.

Wenn das Jahr zu Ende geht, haben wahrscheinlich alle Beteiligten gelernt, dass Demokratie eine verflixt schwierige Sache ist, die nur dann gedeihen kann, wenn sich alle nicht nur an Spielregeln, sondern auch an gute Sitten halten. Für die Mehrheit heißt das, die Minderheit nicht mit aller Gewalt zu unterdrücken, und für die Minderheit bedeutet das, nicht einfach wegzurennen, nur weil man keine Mehrheit hat.

Es war kein leichtes Jahr für Ägypten. Und das kommende wird noch schwieriger. Ich gebe zu, dass mir mein Optimismus jetzt ein wenig abhanden gekommen ist. Aber mir bleibt der Trost, dass sich in diesem Land alles ganz schnell wieder ändern kann. Im letzten Januar sagte mir eine gute Freundin, dass sie fürchte, bis spätestens Juni sei hier alles vorbei und sie müsse wieder nach Deutschland. Es kam am Ende alles ganz anders.

Religion und Demokratie

Beim Getöse um Mursi, seine Dekrete, die Zerschlagung der Gewaltenteilung und das Durchpeitschen der neuen ägyptischen Verfassung gerät ein Gedanke irgendwie ins Abseits, obwohl das Wort jeder im Munde führt. Es gab auch hier bei uns in Berlin in letzter Zeit immer wieder hitzige Diskussionen über die Situation in Ägypten, was nicht zuletzt daran liegt, dass eine größere Gruppe aus meinem Bekanntenkreis für Februar die nächste Reise plant.

Normalerweise höre ich gar nicht hin, wenn im Fernsehen Berichte über Islamisten-Demos kommen. Ihr Geschrei und ihre Parolen nerven mich, und es kommt normalerweise nichts Gescheites dabei raus. Auf der Demo auf dem Nahada-Platz meinte einer der Pro-Mursi-Demonstranten: „Ich weiß ja gar nicht, was die (von der Opposition) wollen?! Sie haben doch jede Wahl verloren.“ Verdammt ja – er hat ja recht. Jedenfalls bin ich da ziemlich ins Grübeln gekommen. Nun kann man ja einwenden, dass sich die Demonstrationen gegen Mursis undemokratische Dekrete wenden. Das ist soweit richtig. Aber offenbar ist der Mehrheit der Ägypter völlig egal, was Mursi mit der Gewaltenteilung anstellt.

Vor einem knappen Jahr, nach der Bekanntgabe der Ergebnisse der Parlamentswahlen, hat mir der Gewerkschafter und Sozialdemokrat Mazen Okasha eine interessante Rechnung aufgemacht. Er sprach davon, dass sich 80 Prozent der Wähler von religiösen Motiven hätten leiten lassen. Ich korrigierte ihn und meinte, es seien doch nur 70 Prozent Islamisten im Parlament. Er lächelte und sagte, ich dürfe die Rechnung nicht ohne die Kopten machen. Die würden auch noch zehn Prozent der Abgeordneten stellen.

Das bedeutet, dass in diesem Land nur 20 Prozent der Wähler aus politischen, 80 Prozent aber aus religiösen Motiven abgestimmt haben. Nun müssen Religion und Demokratie nicht unbedingt viel miteinander zu tun haben. Auch die katholische Kirche ist nicht gerade für ihre ausgeprägte basisdemokratische Toleranz bekannt. Wer religiös wählt, dem geht es nicht in erster Linie um persönliche Grundfreiheiten, um Gleichberechtigung, Fairness oder allgemeine Teilhabe. Er ist eher interessiert an Grundwerten, an Familie, an Sicherheit, klaren Strukturen und Hierarchien. Je nachdem kann natürlich genau jener Wunsch im völligen Gegensatz zum Beispiel zu persönlichen Freiheiten, zur Pressefreiheit oder zur Meinungsfreiheit stehen. Aber wenn es die Mehrheit in einer Demokratie so will? Was dann? Zum Sturz der Regierung aufrufen? Das ist in so ziemlich jedem Land der Welt – je nach Umsetzungsgrad – eine Straftat. Die einzige legale Möglichkeit einer Opposition innerhalb einer Demokratie ist, diese Regierung abzuwählen. Wenn einer Opposition das nicht gelingt, dann muss sie sich entweder fügen oder ins Exil gehen.

Wenn nur 20 oder 30 Prozent der Ägypter wirklich einen echten demokratischen Staat anstreben, müssten sie dann nicht mit gutem Beispiel vorangehen und sagen: „Ja, wir akzeptieren dieses Votum und arbeiten daran, dass das nächste anders aussieht“? Stattdessen werden Vergleiche mit Mubarak angestellt. Was war noch gleich der Unterschied zwischen Mubarak und Mursi? Nein, auch eine Demokratie ist eine Diktatur, nämlich die Diktatur der Mehrheit über die Minderheit. Nur in sehr weit entwickelten demokratischen Gesellschaften findet man so etwas wie Minderheitenschutz.

Wie wollen die „Demokraten“ in Ägypten andere von der Richtigkeit ihres Weges überzeugen, wenn sie ihn selbst nicht einhalten? Was wird nun aus der Verfassung? Angenommen die Abstimmung findet am 15. Dezember statt. Offensichtlich steht die Richterschaft nicht so einhellig hinter dem Wahlboykott wie der Richter-Club sagt. Was, wenn 70 Prozent der Ägypter sagen: „Ja, wir finden es gut, in einem Staat zu leben, der auf Koran und Scharia fußt, denn die Religion gibt uns Sicherheit, Zuversicht und Vertrauen?“ Ja, liebe Demokraten, was dann?

Eine gute Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass sie Minderheiten schützt und einen möglichst breiten Konsens in den wichtigsten gesellschaftlichen Fragen erzielen will. In einer schlechten Demokratie spielt die Mehrheit mit den Muskeln und unterdrückt die Minderheit wo es nur geht. Aber deshalb bleibt es eben trotzdem eine Demokratie. Und da setzt sich eben nicht immer das Beste durch.

Fast ein Jahr habe ich mich gegen den Bau von Stuttgart 21 engagiert. Ich bin auf Demos gegangen, habe Sticker verteilt und kaum eine Minute der Schlichtung verpasst. Am Ende kam es zu der berühmten Volksabstimmung mit einer knappen Mehrheit für den Bahnhof. Natürlich wusste ich, dass Stuttgart 21 Blödsinn ist. Aber natürlich musste ich auch die Volksabstimmung akzeptieren. Und im Zweifel ist mir die Demokratie dann doch wertvoller als ein dusseliger Bahnhof. Inzwischen hat sich übrigens herausgestellt, dass die Kritiker mit fast allen Einwänden Recht hatten; das Ding wird eine Milliarde teurer, und keiner will’s gewesen sein. Hallo! Auch das ist Demokratie.

Ich habe vor einigen Monaten geschrieben, Warum Ägypten kein Islamistischer Gottesstaat wird“. Davon bin ich heute noch überzeugt. Aber es kann sein, dass das Land – von Staats wegen – frommer wird als heute. Und zwar nicht weil es Mursi oder die Moslembrüder so wollen, sondern weil es dafür vielleicht eine Mehrheit in der Bevölkerung gibt. Natürlich ist das dramatisch. Ein Beispiel: Wenn heute in der Bundesrepublik über die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft abgestimmt würde, dann würde es wahrscheinlich zu einer satten Mehrheit für diesen Entwurf kommen. Auch in Ägypten würde es bei einer solchen Abstimmung wohl ein sehr klares Votum geben – nämlich für die Steinigung.

Den demokratischen Kräften Ägyptens wird nichts anderes übrig bleiben: Statt hysterisch und lautstark Rechte einzufordern, müssen sie anfangen, das Land umzukrempeln, sich Mehrheiten schaffen, Überzeugungsarbeit leisten und klar machen, dass die Menschen unter ihrer Regierung deutlich besser leben würden, als unter der Führung von Islamisten. Das ist ein langer und steiniger Weg, der nicht einmal einen Erfolg garantiert. Aber für Demokraten, für wahre Demokraten, ist es der einzig ehrliche und gangbare.

Orientalische Achterbahn

Hoffentlich wohnt dem grauenhaften Unfall vom Sonntag nicht eine schlimme Symbolik inne. Die beiden Minibusse krachten, soweit ich gehört habe,  an der Abzweigung nach Soma Bay zusammen, also ausgerechnet dort, wo Außenminister Guido Westerwelle normalerweise seinen Winterurlaub verbringt – und der musste am selben Tag wegen dieses Unfalls einen Krisenstab bilden. Angesichts der Situation im Land ist die Metaphorik schon ein wenig gespenstisch.

Mörderische Einöde: Einige Kilometer nördlich von dieser Stelle ereignete sich auf dieser Straße der grauenhafte Unfall mit fünf Toten. Foto: psk

Die Straße, auf der der Unfall passierte, kenne ich ganz gut, weil ich im Sommer dort ein paar Mal unterwegs war. Die Küstenstraße hat ja teilweise schon etwas von einer Orientalischen Achterbahn. Es geht auf und ab, und Nervenkitzel ist garantiert. Die Busse sind rasend schnell unterwegs, auch wenn nicht so ganz klar ist, was da hinter der nächsten Kuppe oder Kurve jetzt so kommt. Theoretisch sollte da eigentlich gar nichts kommen, denn genau genommen handelt es sich bei der Küstenstraße nicht um eine, sondern um zwei Einbahnstraßen. Im Grunde ist es ja eine Autobahn, nur dass die beiden Fahrbahnen bisweilen durch einen kilometerbreiten Mittelstreifen getrennt sind. Das ist insgesamt eine sinnvolle Einrichtung, denn dort, wo die Fahrstreifen so weit von einander getrennt sind, gibt es nicht mehr die entsetzlichen Frontalzusammenstöße, für die Ägypten berühmt und berüchtigt war.

In fast jedem Artikel war nun wieder zu lesen, dass die ägyptischen Straßen zu den gefährlichsten der Welt gehören. Über die Fahrweise der Männer hinterm Steuer muss man nun wirklich kein Wort mehr verlieren. Andererseits stimmt es auch, dass in den vergangenen Jahren ein unglaublicher baulicher Aufwand getrieben wurde, um die Verkehrssicherheit zu verbessern – gerade in der Wüste. Hunderte von Kilometern geradeaus durch eine grandiose Einöde machen einen Fahrer jetzt auch nicht gerade aufmerksamer. Am Unfallort wird dieser Aufwand sehr deutlich. Wer von Hurghada kommt, kann nicht einfach links nach Soma Bay abbiegen. Bis vor einiger Zeit war das noch möglich. Inzwischen muss der Fahrer fast einen Kilometer weiter in Richtung Safaga fahren, ehe er auf die Gegenspur wechseln und zurück fahren kann. Auf Google-Maps ist noch sehr gut zu erkennen, wie die Verkehrssituation vorher aussah. Da gab es tatsächlich eine Linksabbiegerspur, und wer nach Soma Bay wollte, musste die Gegenfahrbahn kreuzen! Bei Gegenverkehr, der oft mit über 100 km/h unterwegs war.

Ich weiß nicht, wie sich der Unfall tatsächlich abgespielt hat, aber ich habe eine Vermutung. Da es so aussieht, als sei der eine Minibus seitlich in den anderen gekracht, könnte wohl ein aus Soma Bay kommender Bus bei der Auffahrt zur Küstenstraße den anderen Bus buchstäblich abgeschossen haben. Das ist aber, wie gesagt, nur eine Vermutung. Wenn es wirklich so war, dann nützen natürlich alle baulichen Maßnahmen nichts.

Es ist ja nicht so, dass in dem Land Probleme nicht erkannt werden. Es ist auch nicht so, dass nicht versucht würde, bei Problemen Abhilfe zu schaffen. Aber was hilft das alles, wenn sich die Mentalität nicht ändert? Da kann ein Vollidiot im Hurghada mit seinem Taxi am Hadaba mit Vollgas aus der Kurve fliegen und direkt in einem Café landen – seine Kollegen fahren an der Cafè-Ruine im gleichen mörderischen Tempo vorbei. Sie wissen ganz genau, dass sie genau so aus der Kurve fliegen können. Es schert sie aber nicht. Allah wird’s schon richten.

Und damit kommen ich zur jetzigen Situation. Es scheint mir so, dass ich in meiner Einschätzung von Präsident Mursi dann doch falsch lag. Das allerdings ändert ja nichts an der Analyse der Situation und an den Problemen, vor denen das Land steht. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass möglichst schnell strukturelle Entscheidungen getroffen werden müssen (Lebensmittelversorgung, Energie, Infrastruktur). Und es lässt sich auch schlecht wegdiskutieren, dass Mursi der einzige gewählte Präsident ist. Ergo muss er die Entscheidungen treffen. Aber dieser Machtpoker geht dann doch zu weit. Vor allem wird er dem Land schaden. Eines habe ich allerdings auch immer gesagt: Mursis wichtigste Aufgabe wird es sein, das Land zu einen. Jetzt tut er genau das Gegenteil.

Allerdings darf man bei all der berechtigten Kritik an Mursi auch eines nicht übersehen. Die Säkularen, die Liberalen und die Kopten haben sich in beiden Kammern vom Acker gemacht. Natürlich sind sie immer überstimmt worden. Aber das ist nun mal in einer Demokratie so, dass einer die Mehrheit besitzt und der andere in die Röhre schaut. Die Bereitschaft, dicke Bretter zu bohren, zu verhandeln, immer wieder zu reden und/oder stabile Bündnisse zu schmieden ist in Ägypten nicht besonders ausgeprägt (dabei können sie doch angeblich so gut handeln!). Ich erinnere nur an den Ägyptischen Block. Es ist eben immer noch einfacher, eine Demonstration zu organisieren, als eine Mehrheit. Und damit sind wir wieder auf der Straße angelangt.

Egal ob auf den Tahrir- oder dem Nahada-Platz. Mit kommen beide Gruppen im Moment so vor, wie zwei Minibusfahrer, die sich ein mörderisches Rennen liefern. Eigentlich wissen beide ganz genau, dass es irrsinnig gefährlich ist, was sie gerade veranstalten. Aber es schert sie nicht – so lange nicht, bis es knallt.

 

Was hat das mit Fußball zu tun?

Die Stadionkatastrophe von Port Said ist knapp zehn Monate her. Noch immer wird in der höchsten Ägyptischen Liga kein Fußball gespielt. Eigentlich war im Oktober geplant, den Spielbetrieb wieder aufzunehmen. Doch daraus ist dann auch nichts geworden. Zwar war im September noch der Supercup ausgetragen worden, allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit und erheblicher Proteste der Fans. Nach dem Massaker, das dem Spiel El Masri gegen Al Ahly folgte und bei dem 74 Menschen starben, hatten die Spieler des erfolgreichsten afrikanischen Fußballvereins bekundet, nie wieder Fußball spielen zu wollen. Nun ist eine Ägyptische Liga ohne Al Ahly ebensowenig denkbar, wie eine Erste Bundeliga ohne Bayern München. Die meisten anderen Vereine wären ja schon gerne wieder angetreten, doch vor allem die Fans des Kairoer Vereins haben eine Aufnahme des Spielbetriebs bislang verhindert. Auch der Club selbst verlangt eine lückenlose Aufarbeitung des Geschehens am 1. Februar im Stadion von Port Said. Am 17. April waren in Kairo 75 Personen vor Gericht gestellt worden – im gleichen Saal, in dem auch gegen Hosni Mubarak verhandelt wurde.

Die Ultras von El Masri (hier beim Spiel in El Gouna), richteten am 1. Februar ein Massaker im Stadion von Port Said an. Mit der juristischen Aufarbeitung tun sich die betroffenen Fans von Al Ahly schwer. Foto: psk

Doch das reicht Al Ahly und seinen Fans nicht. Sie glauben, dass das Gericht nicht aufgeklärt, sondern vertuscht und Sündenböcke gesucht hat. Der Verdacht kommt nicht von ungefähr. Tatsächlich ist die Justiz – um es höflich auszudrücken – der Revolution sehr zögerlich gefolgt. Gefolgsleute des alten Regimes wurden häufig sehr milde, wenn überhaupt verurteilt. Die schrillen Proteste nach den Urteilen gegen Hosni Mubarak und seine engsten Vertrauten sind ja noch immer in den Ohren. Dass der alte Pharao zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, erregte die Gemüter weniger, als die Freilassung seiner beiden Söhne Alaa und Gamal.

Das Justizsystem war während der Revolution durchaus immer wieder mal Ziel von Protesten und Demonstrationen. Insofern wirkt es auf den fernen Betrachter dann auch wieder ein wenig bizarr, wenn diejenigen, die vor noch nicht all zu langer Zeit gegen Richter auf die Straße gegangen sind, denen eine zu große Nähe zum untergegangenen Regime nachgesagt wurde, nun den Untergang Ägyptens heraufbeschwören, weil Mursi eben dieses Justizsystem ausgehebelt hat.

Ja, Mohammed Mursi hat die Gewaltenteilung, die Grundlage einer jeden funktionierenden (westlichen!) Demokratie ist, kurzerhand zerlegt. Das sollte man nicht tun, wenn man als aufrechter Demokrat durchgehen will. Er hat ja nicht nur die Justiz kastriert, sondern auch noch die Legislative „eingehegt“. Natürlich hat er das Parlament, in dem seine Freunde von der Moslembruderschaft das Sagen haben, vor der vorzeitigen Auflösung zunächst bewahrt. Aber auch das Parlament hat Säkulare, Kopten und Liberale schier zum Wahnsinn getrieben. Eigentlich müssten doch alle froh sein, dass die in ihrem Schutzgebiet ungestört wirre Reden halten können.

Ja, Mohammed Mursi hat jetzt mehr Macht auf sich vereinigt, als Hosni Mubarak je hatte. Jetzt muss er sich nur noch eine Pyramide bauen und anbeten lassen, dann ist er tatsächlich einem Pharao gleichzusetzen. Aber will er das denn wirklich? Heute ist er zum Beispiel schon wieder mal zurückgerudert. Er verhandelt mit dem Richterrat und verspricht, seine angemaßten Vollmachten wieder zurückzugeben. Man mag ihm das glauben oder nicht. Aber was ist denn die Alternative? Nach meinem Blogbeitrag am Freitag habe ich den einen oder anderen offenbar irritiert, weil ich scheinbar der Diktatur das Wort geredet habe. Nein, mir wäre es auch lieber, wenn sich der Präsident an demokratische Gepflogenheiten halten würde. Aber das Land braucht schnelle, präzise und sehr umfassende Entscheidungen. Die sind weder mit diesem Parlament, noch mit dieser Justiz zu bekommen. Und die Probleme, die von außen auf Ägypten hereinprasseln werden, werden wohl kaum so freundlich sein und erst einmal warten, bis sich Ägypten im Inneren sortiert hat. Ich seh das auch mit Bangen und ziemlichem Herzklopfen, was Mursi da treibt. Ein gewagtes Spiel ist es allemal. Aber gibt es eine andere Alternative? Wenn nicht Gott oder Allah ein Wunder tut und über Nacht alle Ägypter zu Konsenzdemokraten geworden sind, dann gibt es wohl gar keine andere Option. Da gibt’s vielleicht nur eins: Augen zu und durch – und hoffen, dass er sein Versprechen einhält und seine Macht nach den Parlamentswahlen auch wieder zurückgibt. Ich persönlich bin sehr geneigt, ihm zu glauben. Im Übrigen halte ich die Proteste gegen Mursi auf dem Tahrir-Platz für durchaus legitim und hoffenlich hilfreich. Sozusagen als kleine Gedächtnisstütze für den Präsidenten…

Da ich mich ja bereits am Freitag bei allen aufrechten Demokraten völlig diskreditiert habe, will ich an dieser Stelle an eine Einrichtung in der Römischen Republik erinnern. Wenn es um die Republik ganz schlimm stand, wurde den beiden Konsulen mit den Worten: „Videant consules, ne quid detrimenti capiat res publica“ auf Zeit diktatorische Macht übertragen. „Die Konsulen mögen dafür Sorge tragen, dass dem Staat kein Schaden entstehe.“

Mursi, Lincoln und der Weihnachtsmann

Ägypter zu verstehen ist für Europäer nicht immer leicht, auch für mich nicht. Doch manchmal verstehe ich Europäer, die in Ägypten leben, noch weniger. Geradezu bizarr erscheint mir, wie derzeit der ägyptische Präsident Mohammed Mursi bewertet wird. Vor allem die Korrespondenten scheinen mir merkwürdig in ihren Analysen. Der Spiegel sieht in ihm einen neuen Pharao, die ARD spricht davon, dass er eine größere Machtfülle habe, als Mubarak sie jemals gehabt habe. Von einer neuen Diktatur ist die Rede. Auf Blogs in in Foren wird eifrig darüber diskutiert, ob Mursi seine Moslembrüder nun wirklich in alle nur denkbaren Schlüsselpositionen boxen will. Kommen auf Ägypten nun ganz schlimme Zeiten zu?

Baut Mohammed Mursi das Amt des Präsidenten zur islamistischen Trutzburg aus? (Fort des Sultan selim in El Qesir)

Vielleicht lohnt es einfach mal, sich die letzten Wochen und Monate genauer anzusehen. Bislang hat Mursi nichts von dem getan, was man ihm unterstellt hat. Im Gegenteil. Er hat sowohl die eigenen Landsleute, als auch die Welt überrascht. Da war die Entmachtung des Militärrats, der beeindruckende Auftritt bei der Vorversammlung der Blockfreien, das Verbot, Journalisten beim Verdacht der Präsidentenbeleidigung in Untersuchungshaft zu nehmen und jetzt gerade der Waffenstilstand zwischen Palästinensern und Israelis (mal sehen wie lange der hält). Der Generalstaatsanwalt Abdel Meguid Mahmud, der ihm vor wenigen Wochen noch getrotzt hatte und nur „als Leiche“ seinen Posten verlassen wollte, ist nun auch weg. Gerade das sei der Beleg dafür, dass Mursi nach Exekutive und Legislative nun auch noch die Judikative an sich gerissen habe. Nun hatte aber eben jener Generalstaatsanwalt eine doch recht große Nähe zum alten Regime Mubarak erkennen lassen. Die, die Mursi die Entlassung Mahmuds vorwerfen, beklagen sich andererseits darüber, dass die Mubarak-Ära nur unzureichend von den Gerichten aufgeklärt wird.

Dass er die Legislative nun im Zaum hält, ist bislang noch nicht zum Schaden für das Land gewesen. Im Parlament sitzen zwei Drittel Islamisten. Die meisten davon gehören zu seiner Klientel. Genau die hält er doch in Schach, damit sie nicht noch größeren Unsinn anrichten. Mit einigermaßen großem Entsetzen mag sich der eine oder andere vielleicht noch an Gesetzeseingaben der Salafistenpartei El Nur erinnern (Wie lange darf ein Mann nach dem Tod seiner Frau noch Verkehr mit ihr haben?). Entscheidend wird natürlich sein, wann es dann tatsächlich zu Neuwahlen kommen und wie stark dann das neue Parlament sein wird.

Bislang zielten die Vorwürfe gegen Mursi nur auf das, was er bis dato nicht getan hatte – nämlich einen großen Teil seiner Wahlversprechen einzulösen – und das was er vielleicht als gewesener Moslembruder tun könnte. Nun steht also der Vorwurf im Raum, dass er sich diktatorische Vollmachten angeeignet habe. Um damit was zu tun?

Ägypten steht vor kaum lösbaren Problemen. Da ist die Überbevölkerung aus der eine Ernährungs- und Energiekrise erwächst, die im Frühjahr möglicherweise erst ihren Höhepunkt erreichen könnte, wenn die Weltmarktpreise für Getreide in die Höhe schnellen. Da ist die Bildungsmisere, das marode Gesundheitssystem – und vor allem sind da die leeren Kassen. Ägypten wäre faktisch pleite, wenn da nicht noch ein wenig Geld aus den USA kommen würde. Vielleicht wäre es für Mursi ja einfacher, die Knete in Saudi Arabien oder Katar abzuholen. Hat er aber bislang vermieden. Warum wohl nur?

1860 wählten die Amerikaner Abraham Lincoln zum Präsidenten, in der Hoffnung, er werde Sezession und Bürgerkrieg vermeiden. Als er daran scheiterte, setze er alles daran, die Union wieder herzustellen. Er maßte sich ebenfalls diktatorische Vollmachten an. Er missachtete den Kongress, ignorierte die Gerichte und trickste sogar bei der Sklavenbefreiung. Hat er das alles getan, weil es ihm Spaß gemacht hat? Zeitzeugen sagen, dass er alles andere als ein Diktator war, aber auch keine andere Alternative zu seinem Handeln gesehen habe.

Es ist schon erstaunlich, was sich für Parallelen zwischen den beiden auftun. Beide stammen aus einfachen, ländlichen Verhältnissen. Beide wurden von ihren Parteien als Kompromisskandidaten für die Wahl des Präsidentenamtes aufgestellt. Beide wurden für ihr Kommunikationsverhalten belächelt. Beide banden ihre politischen Gegner in ihr Kabinett ein, und beide zeichnet ein Hang zu überraschenden politischen Entscheidungen aus. Beide standen vor der Aufgabe, eine existenzbedrohende Krise in ihrem Land zu meistern. Und beide scheinen sich dazu diktatorischer Mittel zu bedienen. Außerdem vermute ich, dass Mursi die gleiche persönliche Bescheidenheit auszeichnet, wie sie Lincoln nachgesagt wird.

Nicht wenige Europäer haben sich nach dem Sturz Mubaraks hinter vorgehaltener Hand darüber beklagt, dass jetzt die Sicherheit und Berechenbarkeit in Ägypten völlig zum Teufel gegangen sein. Andere behaupten gar klipp und klar, dass die Ägypter gar nicht zu einer Demokratie fähig seinen und sich im tiefsten Inneren ihres Herzens ja doch nur einen starken Mann wünschen. Tja – nun ist er überraschend da – und dann ist es wieder nicht recht?

Jeder, aber auch wirklich jeder, den ich kenne, wünscht sich, dass das arme Land endlich wieder in ruhiges Fahrwasser gerät, dass seine immensen Problemberge endlich abgebaut werden. Doch ist es wirklich realistisch, dass dies mit einem so besetzten und demokratisch legitimierten(!) Parlament überhaupt möglich ist? Man könnte es ja probieren – oder genauso gut auf den Weihnachtsmann warten. Der wird es dann auch schon irgendwie richten.

Durchgreifende und wirksame Reformen müssen schnell kommen, denn das Land hat keine Zeit mehr. Im Frühjahr stehen sie alle da: Der IWF, die Lebensmittelspekulanten, die Ölscheichs – und alle werden sie die Hand aufhalten oder auf Haushaltskürzungen drängen. Wie soetwas dann in einem zerstrittenen Parlament weitergeht, hat die Welt jetzt ein paar Jahre lang in Griechenland besichtigen können.

Man mag Mursi mögen oder nicht. Man mag ihm vertrauen oder nicht. Aber er ist im Moment der Einzige, den sie haben. Er muss die Karre jetzt wieder aus dem Dreck ziehen. Sonst wird das auf Dauer keiner tun.

Blick zurück nach Luxor

Nach mehr als zwei Monaten gibt’s nun endlich wieder einen Blog-Eintrag. Die Pause war persönlich bedingt, doch nun will ich mich wieder öfter an dieser Stelle zu Wort melden.

Es sind jetzt genau 15 Jahre, da fuhr ich gerade zurück von Winterthur, als ich die Nachricht hörte, dass in Luxor ein Terrorkommando der Gamaa Al Islamiya 60 Touristen ermordet hatte. Ich weiß noch, dass ich vor Schreck beinahe von der Straße abgekommen wäre. Gerade acht Wochen war es her, da hatte ein Geistesgestörter neun deutsche Touristen und einen ägyptischen Busfahrer auf den Tahrir-Platz umgebracht. Die meisten Opfer kamen aus dem Giftun-Hotel. Dort saß ich am Abend mit Barbara und Thomas in ihrem Restaurant, als abends gegen neun ein völlig verstörtes, bleiches Kindermädchen herein kam und von dem Anschlag berichtete. Der Schock war ungeheuer groß. Verstörend war zudem eine ganz andere Tatsache: Der Anschlag war schon fast zwölf Stunden her. Die gesamte ägyptische Belegschaft hatte schon am Mittag davon erfahren. Doch keiner hatte den Mut gehabt, Thomas oder Barbara über das Geschehen zu informieren.

Wir fuhren an diesem Abend zurück ins „Arabia“ und zwar mit einem Minibus, in dem bereits eine ägyptische Familie saß. Kaum hatten wir den Bus bestiegen, kam die Frage, woher wir kämen, und als wir mit „Deutschland“ antworteten wurde das mit heftigen Beileidsbekundungen und Entschuldigungen(!) quitiert. Als wir das Hotel erreicht hatten, versuchte der Fahrer einen deutlich überhöhten Preis zu kassieren (Für Eingeweihte: Es war der alte „Special-Taxi-Trick“ und schon deshalb sehr dreist, weil ja bereits Fahrgäste im Minibus saßen). Ich kam nicht einmal dazu, mich zu wehren, schon fiel die Familie förmlich über den Fahrer her und beschimpfte ihn, ob er denn gar kein Schamgefühl im Leib habe. Ähnlich ging es weiter in den nächsten Tagen. Immer wieder wurden Europäer und vor allem Deutsche mit Beileid und Entschuldigungen – teils unter Tränen – konfrontiert.

Acht Wochen später also der Anschlag von Luxor. War der Tourismus nach dem Attentat in Kairo noch mit einem blauen Auge davongekommen, so brach nun alles zusammen. In einem Interview für Silent World sagte mir Monika Wiget vom Jasmin Diving Sports Center: „Von heute auf morgen war plötzlich alles tot, und wir wussten nicht, wann die Gäste wiederkommen würden.“ Tatsächlich bedeutete der Anschlag von Luxor eine Art Zeitenwende. Bis dahin war an dem zehnjährigen rasanten Aufstieg Hurghadas zur größten Touristenmetropole am Roten Meer alles abgeperlt. Zum ersten Mal spürte die Stadt wirklich, was es heißt, wenn die Gäste ausbleiben. Das hatte es zwar im Frühjahr 1991 auch schon einmal gegeben. Doch damals war der Flughafen während des Golfkrieges gesperrt, und kaum war er wieder offen, waren die Touristen auch wieder da.

Aber auch auf der Gegenseite war der Anschlag eine Zäsur. Die Gamaa al Islamiya, die einst bei der Bevölkerung für ihr soziales Wirken durchaus beliebt war, hatte ihren gesamten Kredit verspielt. Selbst in ihrer Hochburg Oberägypten waren die Gamaa-Mitglieder inzwischen verhasst. Sie wurden buchstäblich aus dem Land geprügelt. Die eine Hälfte flüchtete und schlug sich zur Al Kaida durch, die andere Hälfte löste 1998 den ganzen Verein einfach auf. Der Vorgang sucht im übrigen weltweit seinesgleichen. Zumindest nach meinem Wissen hat sich noch nie eine Terrororganisation aufgelöst, weil der Druck der Bevölkerung so stark geworden war.

Es ist schon eine bittere Ironie der Geschichte, dass der Nahe Osten am 15. Jahrestag des Anschlages von Luxor wieder vor einem Krieg steht. Die Hamas fußt auf den gleichen Prinzipien, wie die Gamaa al Islamiya, einerseits Terror zu verbreiten andererseits sozial zu wirken. Die ägyptische Bevölkerung steht dieses Mal fast einhellig hinter der Hamas und ziemlich geschlossen gegen Israel, was bei der Politik der derzeitigen israelischen Regierung auch kein großes Wunder ist. Allerdings ist im Gazastreifen auch etwas anderes zu besichtigen: Wie rücksichtslos die Hamas mit ihrer eigenen Bevölkerung umgeht. Dass Ägyptens Präsident Mohammed Mursi seinen Premierminister Hischam Kandil in den Gaza-Streifen geschickt hat, um sich um ein Waffenstilstandsabkommen zu bemühen, ist allerehrenwert. Die Israelis hatten versprochen, die Kampfhandlungen während des Besuchs einzustellen. Nachdem die Hamas während Kandils Visite 50 Raketen auf Israel abfeuerten, reiste der ägyptische Premierminister vorzeitig ab.

Dass der legitime Kampf um eine gerechte Sache durch eigenes Unrecht diskreditiert werden kann, hatte ja einst sogar Palästinenserführer Jassir Arafat eingesehen. An dieser Erkenntnis fehlt es der Hamas nicht nur, sie verfolgt ja auch alle ihre Kritiker im palästinensischen Lager mit unbarmherziger Härte. Einst waren die Gamaa und die Hamas Schwesterorganisationen – die sich übrigens auch bei Attentaten gegenseitig unterstützten. 15 Jahre nach Luxor könnte die Hamas aus dem Anschlag lernen, was es heißt, den Bogen zu überspanmnen. Den Ägyptern, die der Hamas zujubeln, sei dagegen ein genauerer Blick auf den Gazastreifen empfohlen. Dass die Bevölkerung dort so entsetzlich leidet, hat nicht alleine mit der israelischen Blockadepolitik zu tun.

Dschihadistische Wahlkampfhilfe

Es war ein Schock in der Morgenstunde, was ich da heute als Aufmacher auf der Titelseite des Berliner „Tagesspiegel“ zu sehen bekam: Der Verfassungsschutz sorgt sich um die Zukunft Ägyptens! Leider war die Überschrift in der gedruckten Version noch erheblich reißerischer als in der nun verlinkten. Den Grund für die Sorge erläutert der neue Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen in einem großen Interview mit dem Blatt. Nach der Lektüre dieser beiden Beiträge war der Tag für mich eigentlich schon gelaufen, ehe er so richtig begonnen hatte.

Klar heute ist 9/11-Gedenken, da darf man beim obersten Verfassungsschützer schon mal nachfragen, was die Dschihadisten so machen, also jene Gruppe Islamisten, die sich selbst im Heiligen Krieg sehen und ihn gegebenenfalls auch führen. Aber dieses Interview war dann schon ein wenig starker Tobak. Dass die markerschütternde Erkenntnis sein soll, dass 23 salafistische Dschihadiisten (oder dschihadistische Salafisten) nach Ägypten ausgereist sind und damit mehr als doppelt so viel wie im vergangenen Jahr ist ja wohl kaum eine Erkenntnis, die den eh schon geschundenen Staat in seinen Grundfesten erschüttern würde. Da gibt es deutlich wichtigere Erkenntnisse, die aber schon seit längerem bekannt sind. Etwa dass die Regierung faktisch keine Kontrolle mehr über den Sinai hat, ist spätestens nach der Ermordung von 16 Grenzsoldaten durch islamistische Terroristen wohl jedem klar geworden. Auch weiß man schon seit geraumer zeit, dass Al-Quaida-Zellen nahe der israelischen Grenze operieren. Auch dass Ägypten seit Jahren für deutsche Salafisten eine wichtige Rolle spielt ist ebenfalls nicht mehr der große Bringer. Ob ich Herrn Maaßen verraten soll, dass der berühmt-berüchtigte deutsche Islamist und Hassprediger Pierre Vogel, alias Abu Hamza, seine kruden Schriften in Kairo drucken läßt? Offenbar war das dem Verfassungsschutz-Chef nicht klar, sonst hätte er es in diesem Interview sicher auch einer größeren Öffentlichkeit verraten.

Was an diesem Interview so ärgerlich ist, ist die Tatsache, dass Ägypten vom Chef des deutschen Verfassungsschutzes so dargestellt wird, als entwickle es sich zu einem zweiten Afghanistan. Millionen von Urlaubern wissen es zu schätzen, dass man relativ leicht und unkompliziert in das Land einreisen kann. Da können dann tatsächlich auch ein paar Salafisten dabei sein. Und dass Ägypten zur Drehscheibe des Terrors wird, weil das Land gute Fluganbindungen in die ganze Arabische Welt hat, scheint mir auch eine sehr gewagte These zu sein.

Was an diesem Interview so gefährlich ist, ist die Tatsache, dass Ägypten vom Chef des deutschen Verfassungsschutzes auch als Urlaubsland diffamiert wird. Wer will schon seine Ferien einer Dschihadisten-Hochburg verbringen? Statt sich um 23 reisende Salafisten zu sorgen, sollte man sich lieber um 23 Millionen Ägypter sorgen, die direkt oder indirekt von den Einkünften aus dem Fremdenverkehr abhängig sind. Die verlieren durch so ein Geschwätz die Lebensgrundlage.

Das Land hat weiß Gott genügend Sorgen, da braucht es nicht noch solche Interviews. Als Hintergrundinformationen mögen solche Dinge ja vielleicht noch hilfreich sein – ich sage ausdrücklich vielleicht – aber sie so hoch zu hängen? Nein, das ist fahrlässig.

…fällt selber rein. Mit Plakaten dieser Bauart sorgte Bundesinnenminister Friedrich für viele lustige Ideen im Netz und für ein Ende der Kommunikation mit islamischen Verbänden.

Die Frage ist nun, warum tut der Mann das? Er ist erst wenige Wochen im Amt und wenn wir uns erinnern, hat es um seine Ernennung sowie die Personalpolitik von Innenminister Hans-Peter Friedrich einigen Wirbel gegeben. Zu den Personalrochaden war es unter anderem wegen der Ermittlungspannen im Zuge der Untersuchungen gegen die rechtsterroristische NSU gekommen. Da steht auch der Minister nach wie vor unter Druck. Reflexartig versucht Friedrich immer wieder auf die tatsächliche oder vermeintliche Gefahr aus dem islamistischen Umfeld abzulenken. Es ist ja gerade mal zwei Wochen her, da machte Friedrich mit einer Plakataktion von sich reden, in der zur Wachsamkeit vor in den Terrorismus abrutschenden jungen Menschen gewarnt wurde. Die Plakataktion war sehr erfolgreich: Sofort wurde sie im Netz eifrig parodiert und so ziemlich alle islamische Organisationen in Deutschland haben Friedrich die Zusammenarbeit aufgekündigt. Nicht wenige vermuten, dass Friedrich ganz bewußt den Weg der Kommunikation aufgibt und die Konfrontation sucht um damit die Probleme beim Kampf gegen den Neonazi-Terror zu überspielen. So gesehen sind die 23 reisenden Dschihadisten eher als Wahlkampfhelfer für Hans-Peter Friedrich zu sehen, denn als existenzielle Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung.

Eine aufschlussreiche Reise

Die Blog-Pause war nun ziemlich lange, aber ich habe sie sinnvoll verbracht – und zwar in Ägypten. Für das Tauchreise-Magazin „Silent World“ war ich im Süden an der Küste unterwegs um Tauchbasen mit den schönsten Hausriffen am Roten Meer zu erkunden. Nicht nur aus journalistischer Sicht war die Reise ein voller Erfolg. Vor allem habe ich eine einige Menschen kennen gelernt, die mir zum Teil noch einmal ganz neue und wertvolle Einblicke in die derzeitige Situation in Ägypten verschafften.

Die Fahrt in den Süden offenbarte mir etwas ganz Erstaunliches: Mit jedem Kilometer schien die Revolution weiter weg. Doch nicht nur das. Offensichtlich sind die Hotels auch voller, je weiter es nach Süden geht. im Medinat Coraya schließlich, einem Verbund von fünf Hotels um die Bucht von Coraya, schien es praktisch keine Probleme in Sache Tourismus zu geben. Hans Heinz Dilthey, Besitzer der örtlichen Tauchbasis Coraya Divers, hat dafür eine verblüffende Erklärung parat: „Es ist die Nähe zum Flughafen“, tatsächlich ist der Flughafen Marsa Alam keine zehn Autominuten von der Bucht entfernt.

Der Süden hält manche Überraschung bereit: Nein, das ist kein Fort der Fremdenlegion sondern das Utopia-Hotel

Hans Heinz nahm mich auch mit nach Port Gahlib, das einst als südliches Gegenstück zu El Gouna geplant war. Während das Original im Norden vom ägyptischen Unternehmer Samih Sawiris gebaut wurde, hatte es im Süden der Kuwaiti Nasser al-Kharafi versucht, der sich gleich noch den benachbarten Flughafen leistete. Doch während El Gouna auch in den schlimmsten Krisenzeiten stets gut gebucht war, gleicht das feine Port Ghalib einer Geisterstadt. Etwa die Hälfte der Shops an der Marina sind leer. Die einizigen Menschen sind sichlich gelangweilte Shopverkäufer, die nicht einmal halbherzige Versuche unternahmen, uns ihn ihre Läden zu locken. Für Ägypten ein eher untypisches Verhalten.

Es gibt eine handvoll Kneipen, die sich zu einer etwas merkwürdigen Aktion zusammengeschlossen haben, vermutlich um den kuwaitischen Investor oder vielleicht die künftigen Machthaber zu beeindrucken. Sie schenken alle keinen Alkohol aus. Mit durchschlagendem Erfolg. Die Etablisements sind einfach mal leer. Die einzige Bar, die noch Alkohol ausschenkt verlangt für das Bier 40 ägyptische Pfund, das sind umgerechnet 5,32 Euro. Selbst, wenn jetzt einmal in der Woche die großen Safarischiffe von der Südtour zurück kommen, macht diese Kneipe kein großes Geschäft mit durstigen Tauchern. Die verbringen der letzten Tag dann lieber an Bord.

Jetzt mal ohne jegliche Schadenfreude: Mir gefällt das ziemlich gut, denn Port Ghalib zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie ein Tourismus in Ägypten funktionieren würde, wenn er nach den Vorstellungen der Salafisten gestaltet würde. Die hätten allerdings am 6. November 2009 allerdings zu verhindern gewußt, dass Beyoncé während ihrer „I am“ Tour das einzige Konzert auf afrikanischem Boden ausgerechnet in Port Ghalib gab.

Der Aufreger schlechthin war während meines Aufenthaltes die Entlassung des Feldmarschall Tantawi durch Präsident Mohamed Mursi. Im ersten Moment schien mir das etwa so logisch, wie wenn Horst Seehofer kurzerhand Angela Merkel entlassen hätte, sie als Beraterin wieder einstellen und mit dem Bundesverdinstkreuz am Bande mit Pauken,Trompeten und Brustring auszeichnen würde. In diesem Moment haben fast 85 Millionen Ägypter die Augen fest zu gemacht und sich die Ohren zugehalten. Und passiert ist … nichts. Kein Militäroutsch, kein Bürgerkrieg – nur himmlische Ruhe. Und als die ersten sich wagten, langsam die Augen wieder zu öffnen, haben sie Mursi alle heftig beklatscht. Selbst Liberale und Säkulare fanden es zunächst toll. Allerdings wäre Ägypten nicht Ägypten, wenn sich das nicht ganz schnell wieder gedreht hätte. Wer so eine Macht ausübt, kann sie ja auch dazu nutzen, um sie für die Moslembrüder zu zementieren. In diesem Sinne gibt es am Freitag wieder einmal eine Großdemonstration auf dem Tahrir, wo gegen die Machtfülle der Moslembrüder demonstriert werden soll. Irgend ein komischer Imam hat dann dazu aufgerufen, jeden, der gegen die Brüder demonstriert, kurzerhand abzuknallen. Zwei Tage später behauptete jener Imam, so etwas nie gesagt zu haben…

Ich bin sehr gespannt auf Freitag. Und da bin ich nicht der einzige. Eine knappe Woche nach Ende des Ramadans könnte es vielleicht sein, dass einige einfach nur ihre Aggressionen abbauen wollen. Ob es friedlich bleibt? Ich hoffe es, aber ich befürchte, nein. Das mag wohl daran liegen, dass sich auch die Versorgungslage – bedingt auch durch die heißen Sommertage – inzwischen wieder verschlechtert hat. Die Schlangen an den Zapfsäulen sind nach wie vor elend lang. Brauch- und Trinkwasser werden schon mal knapp und in Hurghada wünscht man sich inzwischen  nicht mehr einen „Guten Morgen“ sondern „Starken Strom“.

Fast drei Wochen war ich jetzt wieder in Ägypten. Trotz all der Probleme, die das Land hat, es lohnt sich noch immer dort Urlaub zu machen. Es war schön wie eh und je.