Orientalische Achterbahn

Hoffentlich wohnt dem grauenhaften Unfall vom Sonntag nicht eine schlimme Symbolik inne. Die beiden Minibusse krachten, soweit ich gehört habe,  an der Abzweigung nach Soma Bay zusammen, also ausgerechnet dort, wo Außenminister Guido Westerwelle normalerweise seinen Winterurlaub verbringt – und der musste am selben Tag wegen dieses Unfalls einen Krisenstab bilden. Angesichts der Situation im Land ist die Metaphorik schon ein wenig gespenstisch.

Mörderische Einöde: Einige Kilometer nördlich von dieser Stelle ereignete sich auf dieser Straße der grauenhafte Unfall mit fünf Toten. Foto: psk

Die Straße, auf der der Unfall passierte, kenne ich ganz gut, weil ich im Sommer dort ein paar Mal unterwegs war. Die Küstenstraße hat ja teilweise schon etwas von einer Orientalischen Achterbahn. Es geht auf und ab, und Nervenkitzel ist garantiert. Die Busse sind rasend schnell unterwegs, auch wenn nicht so ganz klar ist, was da hinter der nächsten Kuppe oder Kurve jetzt so kommt. Theoretisch sollte da eigentlich gar nichts kommen, denn genau genommen handelt es sich bei der Küstenstraße nicht um eine, sondern um zwei Einbahnstraßen. Im Grunde ist es ja eine Autobahn, nur dass die beiden Fahrbahnen bisweilen durch einen kilometerbreiten Mittelstreifen getrennt sind. Das ist insgesamt eine sinnvolle Einrichtung, denn dort, wo die Fahrstreifen so weit von einander getrennt sind, gibt es nicht mehr die entsetzlichen Frontalzusammenstöße, für die Ägypten berühmt und berüchtigt war.

In fast jedem Artikel war nun wieder zu lesen, dass die ägyptischen Straßen zu den gefährlichsten der Welt gehören. Über die Fahrweise der Männer hinterm Steuer muss man nun wirklich kein Wort mehr verlieren. Andererseits stimmt es auch, dass in den vergangenen Jahren ein unglaublicher baulicher Aufwand getrieben wurde, um die Verkehrssicherheit zu verbessern – gerade in der Wüste. Hunderte von Kilometern geradeaus durch eine grandiose Einöde machen einen Fahrer jetzt auch nicht gerade aufmerksamer. Am Unfallort wird dieser Aufwand sehr deutlich. Wer von Hurghada kommt, kann nicht einfach links nach Soma Bay abbiegen. Bis vor einiger Zeit war das noch möglich. Inzwischen muss der Fahrer fast einen Kilometer weiter in Richtung Safaga fahren, ehe er auf die Gegenspur wechseln und zurück fahren kann. Auf Google-Maps ist noch sehr gut zu erkennen, wie die Verkehrssituation vorher aussah. Da gab es tatsächlich eine Linksabbiegerspur, und wer nach Soma Bay wollte, musste die Gegenfahrbahn kreuzen! Bei Gegenverkehr, der oft mit über 100 km/h unterwegs war.

Ich weiß nicht, wie sich der Unfall tatsächlich abgespielt hat, aber ich habe eine Vermutung. Da es so aussieht, als sei der eine Minibus seitlich in den anderen gekracht, könnte wohl ein aus Soma Bay kommender Bus bei der Auffahrt zur Küstenstraße den anderen Bus buchstäblich abgeschossen haben. Das ist aber, wie gesagt, nur eine Vermutung. Wenn es wirklich so war, dann nützen natürlich alle baulichen Maßnahmen nichts.

Es ist ja nicht so, dass in dem Land Probleme nicht erkannt werden. Es ist auch nicht so, dass nicht versucht würde, bei Problemen Abhilfe zu schaffen. Aber was hilft das alles, wenn sich die Mentalität nicht ändert? Da kann ein Vollidiot im Hurghada mit seinem Taxi am Hadaba mit Vollgas aus der Kurve fliegen und direkt in einem Café landen – seine Kollegen fahren an der Cafè-Ruine im gleichen mörderischen Tempo vorbei. Sie wissen ganz genau, dass sie genau so aus der Kurve fliegen können. Es schert sie aber nicht. Allah wird’s schon richten.

Und damit kommen ich zur jetzigen Situation. Es scheint mir so, dass ich in meiner Einschätzung von Präsident Mursi dann doch falsch lag. Das allerdings ändert ja nichts an der Analyse der Situation und an den Problemen, vor denen das Land steht. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass möglichst schnell strukturelle Entscheidungen getroffen werden müssen (Lebensmittelversorgung, Energie, Infrastruktur). Und es lässt sich auch schlecht wegdiskutieren, dass Mursi der einzige gewählte Präsident ist. Ergo muss er die Entscheidungen treffen. Aber dieser Machtpoker geht dann doch zu weit. Vor allem wird er dem Land schaden. Eines habe ich allerdings auch immer gesagt: Mursis wichtigste Aufgabe wird es sein, das Land zu einen. Jetzt tut er genau das Gegenteil.

Allerdings darf man bei all der berechtigten Kritik an Mursi auch eines nicht übersehen. Die Säkularen, die Liberalen und die Kopten haben sich in beiden Kammern vom Acker gemacht. Natürlich sind sie immer überstimmt worden. Aber das ist nun mal in einer Demokratie so, dass einer die Mehrheit besitzt und der andere in die Röhre schaut. Die Bereitschaft, dicke Bretter zu bohren, zu verhandeln, immer wieder zu reden und/oder stabile Bündnisse zu schmieden ist in Ägypten nicht besonders ausgeprägt (dabei können sie doch angeblich so gut handeln!). Ich erinnere nur an den Ägyptischen Block. Es ist eben immer noch einfacher, eine Demonstration zu organisieren, als eine Mehrheit. Und damit sind wir wieder auf der Straße angelangt.

Egal ob auf den Tahrir- oder dem Nahada-Platz. Mit kommen beide Gruppen im Moment so vor, wie zwei Minibusfahrer, die sich ein mörderisches Rennen liefern. Eigentlich wissen beide ganz genau, dass es irrsinnig gefährlich ist, was sie gerade veranstalten. Aber es schert sie nicht – so lange nicht, bis es knallt.