Historisch verzockt

Das war aber clever gemacht, war meine erste Reaktion, als ich vom Urteil gegen Hosni Mubarak erfuhr. Er bekommt lebenslang, was nach menschlichem Ermessen ja so lange nicht mehr dauern kann. Er wird nur wegen den Schüssen auf dem Tahrir verurteilt, nicht aber wegen Korruption. Das, so folgerte ich nun messerscharf, musste ja bedeuten, dass alle Korruptionvorwürfe auf seine Söhne Gamal und Alaa zurückfallen würden, auf Gamal wohl mehr als auf Alaa. Und dann kam der Hammer: beide Söhne durften das Gericht in Kairo als freie Männer verlassen.

Viel ist in den letzten Tagen darüber diskutiert worden, ob die erste Runde der Präsidentschaftswahlen Ägpten der Demokratie näher gebracht hat, oder ob die Wahl zwischen einem konservativen Moslembruder und einem Repräsentanten des Ancien Régime nicht ein gewaltiger Rückschritt sei. Regelmäßige Leser dieses Blogs werden meine Meinung dazu kennen. Das Urteil in Kairo war jedoch vermutlich der schwerste Schlag, der der Demokratie und Rechtsstaatbewegung in Ägypten bislang zugefügt wurde. Das Urteil gegen den ehemaligen Staatspräsidenten ist okay, ja es ist sogar historisch, weil erstmals in der arabischen Welt ein ehemaliger Herrscher von seinem Volk für sein Tun zur Rechenschaft gezogen wurde. Die Strafe war weise gewählt. Einerseits verhindert sie die märtyrerhafte Verklärung Mubaraks durch seine noch immer mächtigen Anhänger, andererseits entspricht des auch dem Gerechtigkeitsgefühl der Mehrheit der Ägypter. Sicher gibt es einige, die den 84jährigen gerne hätten hängen sehen. Doch das hätte die Unruhe im Land nur noch weiter verstärkt.

Das Urteil über die Söhne indes wird dem Land noch weh tun. Durch den faktischen Freispruch haben viele Ägypter ihr gerade aufkeimendes Vertrauen in eine faire und unabhängige Justiz verloren. Vor allem wird im Land nun wieder die Angst wachsen. Jeder erinnert sich daran, dass es die Thugs, die bezahlten Schläger waren, die während der Kamelschlacht auf dem Tahrirplatz ein Blutbad anrichteten. Die Bilder vom den verheerenden Jagdszenen im Fußballstadion in Port Said, dem rund 100 Fußballfans zum Opfer fielen, sind noch frisch. Auch hier floss im Vorfeld viel Geld.

Ägypter haben eine gewisse Neigung zu Verschwörungstheorien. Aber der Zusammenhang zwischen Geld und Gewalt ist in diesem Land leider auch unbestreitbar. Nach dem Freispruch wird die Befürchtung wachsen, dass es nun noch öfter zu unerklärlichen Gewaltausbrüchen kommen könnte, die nur den einen Zweck haben: Das Land zu destabilisieren.

Und dann gibt es da noch einen wirtschaftlichen Aspekt. Viele Ägypter haben gehört, dass die Familie Mubarak in der Schweiz 85 Milliarden gebunkert habe. Die Währung spielt dabei keine Rolle, für die einen sind es US-Dollar, für die nächsten Schweizer Franken, andere sprechen von Euro und die, die Pfund sagen, meinen damit sicher nicht Ägyptische. Da dieses Geld inzwischen eingefroren ist, gibt es eine erkleckliche Anzahl Ägypter, die tagtäglich auf dem Besuch vom Geldpostboten warten, der ihnen nun einen Umschlag mit 1000 irgendwas drin überreicht, mit herzlichen Grüßen von der Familie Mubarak an das betrogene Volk. Natürlich wird das nicht passieren. Doch mit dem Freispruch von Gamal und Alaa entsteht logischerweise die Befürchtung, dass sich die Mubaraks das Geld irgendwie wieder unter den Nagel reißen, Geld, das eigentlich dem Volk zustünde.

Schließlich gibt es noch einen anderen Punkt. Das ist das Signal, das an ausländische Unternehmen gesendet wurde. Jedes große ausländische Unternehmen, von Mövenpick bis Vodafone, musste seinen Anteil in Form von Beteiligungen an Gamal abgeben. Sollte er die noch haben, dann wird er nach wie vor ein mächtiger Mann sein. Schlimmer ist jedoch die Tatsache, dass es sich manches Unternehmen jetzt noch einmal gut überlegen wird, nach Ägypten zu gehen, wenn dort die alten Seilschaften fröhliche Urstände feiern.

Bleibt die Frage, ob und wie das Urteil von Kairo die Stichwahlen in zwei Wochen beeinflussen könnte. Geht die allgemeine Einschätzung dahin, dass dieser Spruch ein Sieg für das alte System war, dann wird das die Aussichten für den ehemaligen Premierminister Shafik deutlich schmälern. Sollte es allerdings zu dramatischen Gewaltausbrüchen mit mehreren hundert Toten kommen, dann könnte Shafiks Wahlkampfparole, „wieder für Ordnung zu sorgen“, am Ende vielleicht sogar noch aufgehen.

Eigentlich ist es traurig: Da hat das Gericht ein wirklich historisches Urteil gefällt und mit den Urteilen für die Mitangeklagten den ganzen Erfolg wieder verzockt.

Partei oder Persönlichkeit?

Immer diese Schrifsteller! Der Verleger (r.) und sein Autor.

Noch einige kurze Anmerkungen zu meinem gestrigen Blogeintrag. Der hat immerhin zu einer sehr intensiven Auseinandersetzung mit meinem Verleger Robert in der Kneipe unseres Vertrauens geführt. Vor allem die These, dass Mohamed Mursi die Wahlergebnisse der Moslembrüder halbiert habe, hat Robert erzürnt. Außerdem musste ich mich – nicht ganz zu Unrecht – mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass der Blogeintrag dann doch ein wenig zuviel Insider-Wissen voraussetzt. Insbesondere die Vielzahl der Namen habe dann etwas verwirrt. Diese Verwirrung will ich nun entwirren.

Von den 13 Kandidaten, die zur Präsidentschaftswahl standen, galten fünf als aussichtsreich.:

  1. Der frühere Außenminister Amr Moussa,
  2. der ehemalige Moslembruder Abul Futuh,
  3. der frühere Premierminister Ahmed Shafik,
  4. der Vorsitzende der Partei der Moslembrüder „Freiheit und Gerechtigkeit“ Mohamed Mursi,
  5. der Nasserist Hamdin Sabahi.

Als Favoriten galten Moussa und Futuh, die sich auch in einem Fernsehduell vier Stunden lang gegenüber standen. Es war das erste seiner Art in Ägypten. Experten waren vor der Wahl davon ausgegangen, dass Moussa weitgehend die Stimmen des säkularen Lagers sammeln würde und Abdul Futuh die meisten Stimmer der Religiösen bekommen würde.

Obwohl die Moslembrüder bei den Parlamentswahlen mit ihrer Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ mit rund 47 Prozent der Stimmen extrem gut abschnitten, wurden Mursi keine all zu großen Chancen eingeräumt. Zum einen war er nur der Ersatzkandidat. Der eigentliche Kandidat der Moslembrüder Chairat el-Shater war von der Wahl ausgeschlossen worden. Mursis Wahlkampfauftritte waren häufig ein Desaster, und außerdem fand der im Sommer von den Moslembrüdern ausgeschlossene Futuh gerade bei der Jugend der Moslembrüder viel Zustimmung. Schließlich hatten sich in den letzten Monaten zahlreiche Wähler enttäuscht von den Moslembrüdern abgewendet.

Vergleicht man das Abschneiden der Partei bei den Parlamentswahlen mit dem des Kandidaten zur Präsidentschaftswahl, dann ist das Ergebnis tatsächlich nur noch halb so groß. Der Streitpunkt am gestrigen Abend war nun, ob es zulässig ist, die Ergebnisse einer Parlamentswahl mit denen einer Persönlichkeitswahl zu vergleichen. Robert meinte nein, ich meine ja. Es ist sicherlich richtig, dass Mursi ziemlich schlechte Startvoraussetzungen hatte. Wenn es stimmt, was man so hört, dann war er der sprichwörtliche „Hund, der zum Jagen getragen werden muss.“ Doch sein vergleichsweise schlechtes Abschneiden ist nicht alleine seiner Person geschuldet. Tatsächlich haben sich in den letzten Monaten vor allem junge Ägypter von der Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ abgesetzt, weil sie von den Moslembrüdern enttäuscht sind und im Land zu wenig passiert.

Das kann sich jetzt bald ändern. Gestern hatte ich prophezeit, dass Mursi verhandeln muss, wenn er die Stichwahl gewinnen will. Und was lese ich heute? Dass er sich einen koptischen Vizepräsidenten vorstellen kann. Das klingt zunächst einmal nicht schlecht. Die Kopten machen immerhin 10 Prozent der Bevölkerung aus. Sie haben allerdings unter den halbanarchischen Zuständen am meisten zu leiden. Mursis Gegner Shafik verspricht, diese Zustände mit größter Härte beenden zu wollen. Das klingt dann eher wieder nach Drohung im Stile des alten Regimes, denn nach Hoffnung.

Nach 7000 Jahren…

Ja, ich bin noch da und nicht in Ägypten verschollen. Mit dem Abflug nach Hurghada am 10. Mai hatte ich mir einfach mal eine längere Internet-Abstinenz auferlegt. Die ist nun vorbei und nun will ich – sozusagen am Vorabend der Präsidentschaftswahl – erzählen, wie es uns in dieser Woche ergangen ist. Insgesamt war die Delegation des Carpathia-Verlages immerhin fünf Köpfe stark. Für drei war es die erste Reise nach Ägypten.

Der Kulturschock fiel, dank intensiver Vorbereitung, dann doch nicht ganz so groß aus. Stellvetretend sei das örtliche Transportwesen genannt. Fröhlich-betrügerische Taxifahrer rasen nämlich nicht aus latenter Todessehnsucht, sondern weil sie in der tiefen Sicherheit ruhen, dass Allah mit den Seinen ist. Es gibt übrigens auch koptische Taxifahrer, die ebenso fröhlich-betrügerisch sind und genauso selbstmörderisch fahren. Die haben dann auf der Heckscheine einen Verweis darauf, dass Jesus ein Auge auf sie hat. Es kann also theoretisch-theologisch nix passieren. Und wer die Fahrt vom Flughafen zum Hotel überstanden hat, den kann dann in den folgenden Tagen wenig erschüttern.

Zur Buchpräsentation in der Villa Kunterbunt bei Barbara und Thomas Bordiehn: Rund 60 Gäste waren gekommen, darunter zahlreiche Menschen, die in Hurghada leben, ob nun Europäer oder Ägypter. Inhaltlich gestaltete sich die Lesung diesmal ein wenig anders. Hatte es im Brauhaus noch lange Passagen über die Revolution in Kairo und Hurghada gegeben, verlegte ich mich in Ägypten eher auf kürzere anekdotische Stücke. Der Grund liegt auf der Hand. Die Mehrzahl der Zuhörer hatte die Revolution ja selbst vor Ort miterlebt. Entsprechend unterschiedlich fiel auch die Diskussion aus. Sie spiegelte einmal mehr die unterschiedliche Sichtweise der Europäer und der Ägypter wieder. Auf die europäischen Seite herrschte noch immer eine gewisse Skepsis, ob die ganze Sache mit der Revolution noch zu einem guten Ende führen würde. Die Ägypter unter den Zuhörern hielten mit großem Optimusmus dagegen. Für mich am eindrucksvollsten an diesem Abend war, wie Mazen Okasha die Größe des bislang Erreichten mit einem einzigen Satz zusammenfaßte: „Zum ersten Mal nach 7.000 Jahren wählen wir Ägypter am 24. Mai unser Staatsoberhaupt selbst in einer freien Wahl.“ Damit haben die Ägypter im übrigen alle Länder, in denen die Arabellion Erfolg hatte, überholt.

Zwei Tage lang werden die Ägypter ihren neuen Präsidenten wählen. Morgen beginnt der Urnengang. Es ist wirklich kaum zu sagen, wer am Ende die Nase vorne hat. Aber wer auch immer an die Macht kommt, muss sich am Ende dem Volk beweisen, denn eines wurde auch an jenem Abend in der Villa Kunterbunt wieder sehr deutlich. Wenn ein neuer Präsident einen alten Kurs fahren sollte, dann wird es nicht lange dauern, bis wieder Millionen auf dem Tahrirplatz stehen.

Ich persönlich neige eher dazu, den Optimusmus der Ägypter als die Skepsis der Europäer zu teilen. Dafür gibt es eine simple Erklärung: Ich habe die Ägypter in den letzten 20 Jahren als hochemotionale Pragmatiker erlebt. Irgendwie klappt es immer, was sie sich vorgenommen haben, wenn auch nicht auf den geraden, gepflegten und sauber gekehrten Wegen, die wir Europäer gerne beschreiten. Da gehts dann auch schon mal durchs Unterholz.

Zum Abschluss noch ein Link aus dem heutigen Tagesspiegel. Wenn diese Einschätzung des sozialdemokratischen Abgeordneten Ziad al Eleimi richtig ist, dann könnte der Stern der Moslembrüder schneller sinken, als jeder erwartet hat.