Nach 7000 Jahren…

Ja, ich bin noch da und nicht in Ägypten verschollen. Mit dem Abflug nach Hurghada am 10. Mai hatte ich mir einfach mal eine längere Internet-Abstinenz auferlegt. Die ist nun vorbei und nun will ich – sozusagen am Vorabend der Präsidentschaftswahl – erzählen, wie es uns in dieser Woche ergangen ist. Insgesamt war die Delegation des Carpathia-Verlages immerhin fünf Köpfe stark. Für drei war es die erste Reise nach Ägypten.

Der Kulturschock fiel, dank intensiver Vorbereitung, dann doch nicht ganz so groß aus. Stellvetretend sei das örtliche Transportwesen genannt. Fröhlich-betrügerische Taxifahrer rasen nämlich nicht aus latenter Todessehnsucht, sondern weil sie in der tiefen Sicherheit ruhen, dass Allah mit den Seinen ist. Es gibt übrigens auch koptische Taxifahrer, die ebenso fröhlich-betrügerisch sind und genauso selbstmörderisch fahren. Die haben dann auf der Heckscheine einen Verweis darauf, dass Jesus ein Auge auf sie hat. Es kann also theoretisch-theologisch nix passieren. Und wer die Fahrt vom Flughafen zum Hotel überstanden hat, den kann dann in den folgenden Tagen wenig erschüttern.

Zur Buchpräsentation in der Villa Kunterbunt bei Barbara und Thomas Bordiehn: Rund 60 Gäste waren gekommen, darunter zahlreiche Menschen, die in Hurghada leben, ob nun Europäer oder Ägypter. Inhaltlich gestaltete sich die Lesung diesmal ein wenig anders. Hatte es im Brauhaus noch lange Passagen über die Revolution in Kairo und Hurghada gegeben, verlegte ich mich in Ägypten eher auf kürzere anekdotische Stücke. Der Grund liegt auf der Hand. Die Mehrzahl der Zuhörer hatte die Revolution ja selbst vor Ort miterlebt. Entsprechend unterschiedlich fiel auch die Diskussion aus. Sie spiegelte einmal mehr die unterschiedliche Sichtweise der Europäer und der Ägypter wieder. Auf die europäischen Seite herrschte noch immer eine gewisse Skepsis, ob die ganze Sache mit der Revolution noch zu einem guten Ende führen würde. Die Ägypter unter den Zuhörern hielten mit großem Optimusmus dagegen. Für mich am eindrucksvollsten an diesem Abend war, wie Mazen Okasha die Größe des bislang Erreichten mit einem einzigen Satz zusammenfaßte: „Zum ersten Mal nach 7.000 Jahren wählen wir Ägypter am 24. Mai unser Staatsoberhaupt selbst in einer freien Wahl.“ Damit haben die Ägypter im übrigen alle Länder, in denen die Arabellion Erfolg hatte, überholt.

Zwei Tage lang werden die Ägypter ihren neuen Präsidenten wählen. Morgen beginnt der Urnengang. Es ist wirklich kaum zu sagen, wer am Ende die Nase vorne hat. Aber wer auch immer an die Macht kommt, muss sich am Ende dem Volk beweisen, denn eines wurde auch an jenem Abend in der Villa Kunterbunt wieder sehr deutlich. Wenn ein neuer Präsident einen alten Kurs fahren sollte, dann wird es nicht lange dauern, bis wieder Millionen auf dem Tahrirplatz stehen.

Ich persönlich neige eher dazu, den Optimusmus der Ägypter als die Skepsis der Europäer zu teilen. Dafür gibt es eine simple Erklärung: Ich habe die Ägypter in den letzten 20 Jahren als hochemotionale Pragmatiker erlebt. Irgendwie klappt es immer, was sie sich vorgenommen haben, wenn auch nicht auf den geraden, gepflegten und sauber gekehrten Wegen, die wir Europäer gerne beschreiten. Da gehts dann auch schon mal durchs Unterholz.

Zum Abschluss noch ein Link aus dem heutigen Tagesspiegel. Wenn diese Einschätzung des sozialdemokratischen Abgeordneten Ziad al Eleimi richtig ist, dann könnte der Stern der Moslembrüder schneller sinken, als jeder erwartet hat.

 

Von Salafisten und Piraten

Leider kann ich den schönen Kommentar nicht mehr finden, den mir Thomas aus Ägypten zum Thema Piraten auf Facebook gepostet hatte. Ich find ihn überaus witzig, aber nicht so ganz treffend. Er verglich die Piraten mit den Salafisten in Ägypten. Aber so, dachte ich mir, stellen sich unsere Landsleute in 3.500 Kilometern Entfernung eben das Phänomen Piratenpartei vor. Heute morgen schlage ich den Berliner „Tagesspiegel“ auf und finde auf der Meinungsseite den Kommentar: „Ein Kreuzchen bei Allahs Piratenpartei„. Den Kommentar fand ich übrigens bemerkenswert gut.

Natürlich tut man sowohl den Piraten in Deutschland, als auch den Salafisten in Ägypten bitter Unrecht, wenn man sie miteinander vergleicht. Genau deshalb will ich das mal versuchen. Zu den Forderungen der Piraten zählen: Kostenloser Personennahverkehr, Bedingungsloses Grundeinkommen und eine Novellierung des Urheberrechtsgesetzes. Kostenlosen Nahverkehr find ich klasse. Das wäre sogar finanzierbar, wenn der Senat einige heilige Kühe schlachten würde und es sich so richtig mit der Autolobby verscherzen will. Das Bedinungslose Grundeinkommen auf der Basis der negativen Einkommensteuer unter Einbeziehung einer steuerlichen Berücksichtigung ehrenamtlicher Tätigkeiten unterstützte ich schon lange bevor es die Piraten gab. Mit der Lockerung des Urheberrechts können die Piraten bei mir logischerweise nicht landen. Hey – ich lebe schließlich auch von Urheberrechten.

Die Salafisten wollen den Alkohol in den Urlaubsgebieten (und wohl auch sonst) verbieten. Sagen wir mal so: Es gibt eine bestimmte Sorte von Urlaubern, denen sollte der Alkohol tatsächlich einfach verboten werden und nicht nur in Ägypten. So, wie die sich benehmen, ist es einfach eine kolossale Respektlosigkeit dem Gastland gegenüber. Die Salafisten wollen auch Bikinis und ähnliche westliche Teufelstextilien verbannen. Auch hier muss ich daran denken, wie sich manche Touristin durch die Straßen und Gassen bewegt. Hier gilt das gleiche wie für den Alkohol. Wer im Bikini auf den Basar geht, zeigt damit nicht westliche Aufgeschlossenheit, sondern nur mangelnden Respekt. Ach ja, dann wollen die Salafisten nicht das Baden an sich verbieten, aber die Strände nach Geschlechtern trennen. Das ist nun eine wirklich dämliche Idee. Sollen denn die Beachboys und Handtuchjungs nur noch die Herren der Schöpfung glücklich machen? Die zweifellos notwendige weibliche Personaldecke zur Befriedigung der Bedürftnisse am Damenstrand wird entschieden zu dünn sein. Faktisch liefe das auf ein Strandverbot für Frauen hinaus – aber dann braucht niemand mehr nach Geschlechtern getrennte Strände.

Natürlich ist vielen der Schrecken in die Glieder gefahren, als die Salafisten bei über 20 Prozent gelandet sind. Doch dort, wo angebliche ihre größte Klientel lebt, ist die indirekte Abhängigkeit vom Tourismus auch am größten. Im Schnitt ernährt jeder Angestellte aus Oberägypten, der zum Beispiel in Hurghada arbeitet, zehn Menschen in seinem Heimatort. Die werden doch ihre Existenzgrundlage nicht aufs Spiel setzen.

Selbst die Moslembrüder, deren natürliche Verbündete die Salafisten eigentlich sein müssten, fassen ihre Brüder in Allah nur mit der Feuerzange an. Trotzdem könnten die Salafisten für den Tourismus vielleicht sogar etwas Gutes bringen, dann nämlich, wenn sich Gäste in ihrem Verhalten selbst hinterfragen. Das heißt jetzt nicht, sich in Galabeja und Schleier zu hüllen, sondern einfach ein wenig mehr Respekt zu zeigen (was der größere Teil der Urlauber übrigens auch tut).

Eigentlich halte ich es mit Mark Twain, der nie Voraussagen machte, schon gar keine, die die Zukunft betrafen. Aber ich wage mal die Prognose, dass die Piraten in Deutschland in zehn Jahren mehr erreicht haben werden, als die Salafisten in Ägypten.