Eine aufschlussreiche Reise

Die Blog-Pause war nun ziemlich lange, aber ich habe sie sinnvoll verbracht – und zwar in Ägypten. Für das Tauchreise-Magazin „Silent World“ war ich im Süden an der Küste unterwegs um Tauchbasen mit den schönsten Hausriffen am Roten Meer zu erkunden. Nicht nur aus journalistischer Sicht war die Reise ein voller Erfolg. Vor allem habe ich eine einige Menschen kennen gelernt, die mir zum Teil noch einmal ganz neue und wertvolle Einblicke in die derzeitige Situation in Ägypten verschafften.

Die Fahrt in den Süden offenbarte mir etwas ganz Erstaunliches: Mit jedem Kilometer schien die Revolution weiter weg. Doch nicht nur das. Offensichtlich sind die Hotels auch voller, je weiter es nach Süden geht. im Medinat Coraya schließlich, einem Verbund von fünf Hotels um die Bucht von Coraya, schien es praktisch keine Probleme in Sache Tourismus zu geben. Hans Heinz Dilthey, Besitzer der örtlichen Tauchbasis Coraya Divers, hat dafür eine verblüffende Erklärung parat: „Es ist die Nähe zum Flughafen“, tatsächlich ist der Flughafen Marsa Alam keine zehn Autominuten von der Bucht entfernt.

Der Süden hält manche Überraschung bereit: Nein, das ist kein Fort der Fremdenlegion sondern das Utopia-Hotel

Hans Heinz nahm mich auch mit nach Port Gahlib, das einst als südliches Gegenstück zu El Gouna geplant war. Während das Original im Norden vom ägyptischen Unternehmer Samih Sawiris gebaut wurde, hatte es im Süden der Kuwaiti Nasser al-Kharafi versucht, der sich gleich noch den benachbarten Flughafen leistete. Doch während El Gouna auch in den schlimmsten Krisenzeiten stets gut gebucht war, gleicht das feine Port Ghalib einer Geisterstadt. Etwa die Hälfte der Shops an der Marina sind leer. Die einizigen Menschen sind sichlich gelangweilte Shopverkäufer, die nicht einmal halbherzige Versuche unternahmen, uns ihn ihre Läden zu locken. Für Ägypten ein eher untypisches Verhalten.

Es gibt eine handvoll Kneipen, die sich zu einer etwas merkwürdigen Aktion zusammengeschlossen haben, vermutlich um den kuwaitischen Investor oder vielleicht die künftigen Machthaber zu beeindrucken. Sie schenken alle keinen Alkohol aus. Mit durchschlagendem Erfolg. Die Etablisements sind einfach mal leer. Die einzige Bar, die noch Alkohol ausschenkt verlangt für das Bier 40 ägyptische Pfund, das sind umgerechnet 5,32 Euro. Selbst, wenn jetzt einmal in der Woche die großen Safarischiffe von der Südtour zurück kommen, macht diese Kneipe kein großes Geschäft mit durstigen Tauchern. Die verbringen der letzten Tag dann lieber an Bord.

Jetzt mal ohne jegliche Schadenfreude: Mir gefällt das ziemlich gut, denn Port Ghalib zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie ein Tourismus in Ägypten funktionieren würde, wenn er nach den Vorstellungen der Salafisten gestaltet würde. Die hätten allerdings am 6. November 2009 allerdings zu verhindern gewußt, dass Beyoncé während ihrer „I am“ Tour das einzige Konzert auf afrikanischem Boden ausgerechnet in Port Ghalib gab.

Der Aufreger schlechthin war während meines Aufenthaltes die Entlassung des Feldmarschall Tantawi durch Präsident Mohamed Mursi. Im ersten Moment schien mir das etwa so logisch, wie wenn Horst Seehofer kurzerhand Angela Merkel entlassen hätte, sie als Beraterin wieder einstellen und mit dem Bundesverdinstkreuz am Bande mit Pauken,Trompeten und Brustring auszeichnen würde. In diesem Moment haben fast 85 Millionen Ägypter die Augen fest zu gemacht und sich die Ohren zugehalten. Und passiert ist … nichts. Kein Militäroutsch, kein Bürgerkrieg – nur himmlische Ruhe. Und als die ersten sich wagten, langsam die Augen wieder zu öffnen, haben sie Mursi alle heftig beklatscht. Selbst Liberale und Säkulare fanden es zunächst toll. Allerdings wäre Ägypten nicht Ägypten, wenn sich das nicht ganz schnell wieder gedreht hätte. Wer so eine Macht ausübt, kann sie ja auch dazu nutzen, um sie für die Moslembrüder zu zementieren. In diesem Sinne gibt es am Freitag wieder einmal eine Großdemonstration auf dem Tahrir, wo gegen die Machtfülle der Moslembrüder demonstriert werden soll. Irgend ein komischer Imam hat dann dazu aufgerufen, jeden, der gegen die Brüder demonstriert, kurzerhand abzuknallen. Zwei Tage später behauptete jener Imam, so etwas nie gesagt zu haben…

Ich bin sehr gespannt auf Freitag. Und da bin ich nicht der einzige. Eine knappe Woche nach Ende des Ramadans könnte es vielleicht sein, dass einige einfach nur ihre Aggressionen abbauen wollen. Ob es friedlich bleibt? Ich hoffe es, aber ich befürchte, nein. Das mag wohl daran liegen, dass sich auch die Versorgungslage – bedingt auch durch die heißen Sommertage – inzwischen wieder verschlechtert hat. Die Schlangen an den Zapfsäulen sind nach wie vor elend lang. Brauch- und Trinkwasser werden schon mal knapp und in Hurghada wünscht man sich inzwischen  nicht mehr einen „Guten Morgen“ sondern „Starken Strom“.

Fast drei Wochen war ich jetzt wieder in Ägypten. Trotz all der Probleme, die das Land hat, es lohnt sich noch immer dort Urlaub zu machen. Es war schön wie eh und je.

Der Tod des Vizepräsidenten

Jetzt hat der eigentlich schon totgesagte Hosni Mubarak auch noch seinen einzigen Vizepräsidenten überlebt. In Cleveland, Ohio, ist heute Omar Suleiman gestorben. Sein Leben war so etwas wie ein Spiegelbild der wiedersprüchlichen Geschichte des jungen Ägypten. Unter Nasser war es ihm möglich, an der Frunse-Militärakademie in Moskau zu studieren, um dann – nach Sadats ideologischer Kehrtwende – seine Studien an der Miliärakademie im Fort Bragg, North-Carolina, fortzusetzen.

Dem Westen galt Omar Suleiman stets als vernünftig und pragmatisch. Allerdings war er seit 1991 erst Chef des Militärischen Geheimdienstes und danach leitete er Muchabarat, einen der Inlandsgeheimdienste. Er setzte, Mubarak direkt unterstellt, die wechselvolle Politik des Präsidenten um. Je nach politischer Großwetterlage wurden die Zügel wie in den 90er Jahren gelockert, oder heftig angezogen wie nach den Anschlägen vom 11. September.

Als Geheimdienstler hat sich Omar Suleiman mit Sicherheit weltweit einen hervorragenden Ruf verschaffen – nicht zuletzt deshalb, weil er jeden Attentatsversuch auf Hosni Mubarak verhindern konnte. Und da hat es wohl einige gegeben. Von sechs wird immer wieder mal gesprochen, aber ob das so stimmt? Am Spektakulärsten war wohl das Attentat 1995 in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Tags zuvor hatte Suleiman noch die Präsidentenlimousine gegen ein gepanzertes Fahrzeug austauschen lassen. Als dann die Kugel in dieses einschlugen, saß Suleiman neben Mubarak. Der hat das seinem Geheimdienstchef nie vergessen. Mir persönlich kommt diese Geschichte allerdings ein wenig merkwürdig vor.

Seltsam erscheint es mir auch, dass Suleiman als korruptionsresistent galt und auch noch als vergleichsweise human. Jedenfalls soll der Muchabarat am wenigsten hart zugeschlagen haben. Für mich sieht das eher so aus, als habe da einer an seiner eigenen Legende gestrickt. Es reichte zumindest für das zweite Amt im Staate. In der zweiten Januarhälfte 2011 wurden die Proteste gegen Mubarak immer heftiger, und eine der Forderungen lautete, dass der Präsident nach nunmehr knapp 30 Jahren endlich mal einen in der Verfassung vorgesehen Vizepräsidenten berufe. Was ein Vizepräsident allerdings mit Freiheitsrechten zu tun hat, erschließt sich mir nicht so recht. Dass er eigentlich gar nichts damit zu tun haben musste, zeigte die Berufung Omar Suleimans. Die Ägypter staunten jedenfalls nicht schlecht, als ihnen ausgerechnet ein Geheimdienstchef als Vizepräsident serviert wurde.

Inwieweit Suleiman am Sturz Mubaraks beteiligt war, weiß ich nicht, aber eigentlich hätte er ja dann Präsident werden müssen, war er doch der Vizepräsident. Doch weder wurde er Präsident noch blieb er Vizepräsident (was mangels Präsident auch sinnfrei gewesen wäre). Trotzdem gedachte er, seinen einstigen Mentor noch zu beerben. Suleimann wäre gerne zur Präsidentschaftswahl angetreten. Immerhin konnte er nach einer Umfrage auf 20,1 Prozent Zustimmung verweisen. Am Ende wurde er von der Wahlkommission ebenso kaltgestellt, wie viele andere auch. Seine Reaktion: Er kaufte sich ein Ticket und verabschiedete sich in die USA. Aus Angst, er könnte doch noch vor Gericht gestellt werden? Allen Legenden zum Trotz: Es gab ja massive Foltervorwürfe. Aus Überdruss? Seinen Lebensabend konnte er nicht besonders lange genießen.

Eigentlich hat Ägypten in seinem ganzen Chaos dann doch immer wieder mal ein wenig Glück. Nur mal ein Szenario das so abwegig gar nicht scheint: Hätte Suleiman kandidieren dürfen und möglicherweise die Wahl gewonnen, stände Ägypten heute wieder ohne einen Präsidenten da, und das ganze Hickhack begänne von vorn.

Die erste Besprechung

Trotz des Regens bin ich heute richtig beschwingt, denn die erste Buchbesprechung in einem „überregionalen Medium“ ist erschienen. Und dann gleich im Berliner Tagesspiegel. Das hat mich in sofern ein wenig überraschend getroffen, da ich sie gar nicht bemerkt hatte. Ich bin zwar Abonnent des Tagesspiegels, doch ich hatte am Sonntag einfach nicht auf den Reiseteil geachtet – warum auch immer. Normalerweise gehört er zu meiner Sonntagslektüre.

Inhaltlich finde ich die Besprechung insgesamt sehr wohlwollend. Allerdings lege ich doch Wert darauf, dass ich persönlich auf die Frage Alles klar, Ägypten? keine negative Antwort geben würde. Ich glaube, dass Ägypten trotz aller Verwerfungen insgesamt auf einem guten Weg ist, und ich glaube, dass es ein tolles Urlaubsland ist – mehr denn je.  Aber der Rückschluss des Tagesspiegel-Redakteurs Gerd Seidemann zeigt doch zwei Dinge sehr deutlich: Einerseits ist das Buch, wie er schreibt und ich selbst immer wieder betone, natürlich eine Momentaufnahme. Andererseits sind es natürlich auch die aktuellen Ereignisse, an denen sich das Buch immer wieder messen lassen muss. Dass der Machtkampf zwischen Präsident Mohammed Mursi und dem Militärrat nicht eben förderlich für die politische Stabilität im Lande ist, liegt ja nun leider auf der Hand.

Insgesamt hat mir die Rezension sehr gut gefallen, und ich hoffe, dass noch weitere ähnlich positive Besprechungen hinzukommen werden. Soweit mir bekannt ist, will das Tauchreisemagazin „Silent World“ in einer seiner nächsten Ausgaben eine Besprechung bringen.

Für „Silent World“ fliege ich im übrigen am 2. August wieder nach Ägypten. Einerseits werde ich dort alles in allem vier Reportagen und ein großes Interview machen. Andererseits will ich die Gelegenheit auch dazu nutzen, in verschiedenen Hotels und Tauchbasen noch zu lesen. Es gibt, glaube ich, schlimmere Aufgaben im Leben. Und ganz ehrlich: Die Aussicht auf knapp drei Wochen mit einer Regenwahrscheinlichkeit von genau 0 Prozent ist dann doch auch sehr verlockend.

Die sind doch alle gleich

Ist das nicht komisch? Der Satz „Alle Menschen sind gleich“ klingt schön, klingt völkerverbindend und politisch korrekt. Man ersetze nun das Wort Menschen durch Moslems. „Alle Moslems sind gleich.“ Das klingt schon weniger schön. Das impliziert, alle Moslems seien potentielle Terroristen, und der Satz müffelt auch ein wenig nach Rassismus. Trotzdem habe ich diesen Satz gestern Abend von einer Bekannten gehört, die ganz und gar nicht im Ruch steht, rassistisch zu sein. Es ging um den arabischen Frühling um die Revolutionen in Tunesien, Libyen und Ägypten – und natürlich um den Bürgerkrieg in Syrien.

Ihre These klang ziemlich einfach. Egal, was wo in welchem Land in Arabien passiert, am Ende wird sich der Islamismus in seiner radikalen Weise durchsetzen – also in Form zum Beispiel des Salafismus‘. Dafür bekam sie am Tisch auch noch entsprechende Unterstützung. Ich wandte ein, dass man dann genausogut bei der Euro- und Finanzkrise Länder wie Finnland und Griechenland, Holland und Spanien, Irland und Österreich oder Frankreich und Deutschland in einen Topf werfen könnte – sind ja alles Europäer. Tatsächlich gibt es in all diesen Ländern völlig unterschiedliche Vorstellungen davon, wie die Krise zu lösen sein und sehr kontroverse Auseinandersetzungen darüber.

In den arabischen Ländern sieht es nicht viel anders aus. So sind zum Beispiel die jungen Monarchen Mohammed VI. von Marokko und Abdallah II. von Jordanien mit der Arabellion ganz anders umgegangen, als zum Beispiel Bashir al-Assad in Syrien. Das Ergebnis dürfte sogar den meisten Europäern bekannt sein. Natürlich gibt es auch in Marokko und in Jordanien eine größere Hinwendung zur Religion, aber von einem islamistischen Gottestaat sind beide Länder wohl weit entfernt.

Das gleich gilt auch für Ägypten. Moslembrüder hin oder her. Am vergangenen Dienstag ging es in der ARD-Talkshow „Hart aber fair“ weitgehend um Syrien, doch einen beträchtlichen Teil der Sendung machte auch Ägypten aus. Unter anderem war der deutsche Lehrer Günter Förschner eingeladen, der an einer deutschen Mädchenschule in Alexandria unterrichtet. Er war schon ein Jahr zuvor Gast bei Frank Plasberg gewesen. Nun bezeichnete der Lehrer die Moslembrüder als größtes Risiko für die Demokratisierung in Ägypten. Prompt handelte er sich Widerspruch vom ARD-Korrespondeten Jörg Armbruster ein. Es sei tatsächlich der Militärrat der die Demokratisierung des Landes gefährde. Armbruster gab zu, dass er die Moslembrüder auch nicht besonders schätze, aber dass sie immerhin als Sieger aus der ersten freien demokratischen Wahl in diesem Land hervorgegangen sind, das es jetzt auch schon 7.000 Jahre gebe.

Niemand kann seriös voraussagen, wie sich der arabische Frühling wirklich entwickeln wird. Die einzige Prognose, die mit Sicherheit eintreten wird, ist die, dass es eben in jedem Land unterschiedlich passieren wird. Es in in letzter Zeit Mode geworden, Tunesien und Ägypten, so wie ihren Weg zur Demokratie zu vergleichen und das Urteil fällt häufig sehr undifferenziert aus. In beiden Ländern hätten die Religiösen die Revolution für sich gekapert und würden das Land nun wenn nicht in einen Gottesstaat, so doch zu einem autokratischem Regime führen. Das gleiche wurde auch für Libyen vorhergesagt. Dumm gelaufen, denn bei den Wahlen vor wenigen Tagen gab es eben keinen haushohen Sieg von Gotteskriegern, sondern einne Erfolg der Liberalen.

Und dann noch zu der wohlfeilen Legende der ersten freien Wahlen in arabischen Ländern. Nein, die waren kein Produkt des arabischen Frühlings und kein Demokratiegeschenk der Amerikaner im besetzten Irak. Gerne wird in Europa unterschlagen, dass es bereits vor 20 Jahren in Algerien freie Parlamentswahlen gab, die dann allerdings – auch auf massiven Druck Frankreichs – abgebrochen wurden, weil sich ein Sieg der islamistischen Partei FIS abzeichnete. Was sollen also die Araber von den Europäern denken? Ja, von den Europäern! Oder ist etwa bekannt, dass der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl – noch völlig besoffen vom Rausch der Wiedervereinigung – seinem Freund François Mitterand in den Arm gefallen wäre, um diesen Anschlag auf die Demokratie zu verhindern? Nein! Die Wahlen wurden annuliert. Diese Aktion hat das Land in einen Bürgerkrieg gestürzt, dem 120.000 Algerier zum Opfer fielen. Heute ist Algerien ein autoritärer Staat, bar jeglicher Demokratie, an dem der arabische Frühling einigermaßen wirkungslos vorbeigegangen ist. Allerdings hat das Land auch einen Präsidenten Bouteflica, der die Algerier miteinander auszusöhnen versucht.

Der ehmalige israelische Botschafter in der Bundesrepublik, Avi Primor, hat in „Hart aber fair“ übrigens noch auf einen sehr interessanten Aspekt aufmerksam gemacht. Als vor zehn Jahren in der Türkei die islamische AKP an die Macht kam, gelang es ihr relativ schnell, die Macht der Militärs, die seit 40 Jahren faktisch die Türkei beherrscht hatten, zu brechen. Und es gelang ihnen, einen gigantischen Wirtschaftsaufschwung hinzulegen, mit einem jährlichen Wachstum von neun bis zehn Prozent. Niemand würde heute daran zweifeln, dass die Türkei eine moderne Demokratie ist, auch wenn aus Ankara manchmal ein merkwürdiges Brummeln kommt. Im Endeffekt, so glaubt Primor, gehe es ja dann doch immer nur um die Wirtschaft. Oder, wie der frühere US-Präsident Bill Clinton einmal einem Konkurrenten im Wahlkampf an den Kopf warf: „It’s the economics, stupid!“ – „Es geht um die Wirtschaft, Idiot!“

 

Kuscheliger Kollisionskurs

All zu lange, so scheint es, darf Ägypten nicht zur Ruhe kommen. Nach den überraschenden Ereignissen Ende Juni wirkte es, als komme das Land jetzt endlich zum Durchatmen. Nachdem Mohammed Mursi als gewählter Präsident bestätigt war, atmeten die meisten Ägypter erst einmal auf. Dass die Militärs ihm per kaltem Staatsstreich die meiste politische Macht genommen hatten, empörte vor allem die Moslembrüder. Liberale und Säkulare waren zwar erbittert über die Kaltschnäutzigkeit des Militärrates und protestierten gegen Beschneidung der Demokratie, aber insgeheim waren die auch froh darüber, dass die Islamisten jetzt nicht durchregieren konnten. Für Mursi andererseits bot das die Gelegenheit, das Land zunächst einmal im Inneren auszusöhnen. Wenigstens was seine Absichtserklärungen betrifft, begann Mursi ja ganz gut: Zwei Vizepräsidenten, eine Frau und ein Kopte, sollten her und Friedensnobelpreisträger El Baradei sollte Premierminister werden.

Und nun kommt also dieser Hammer: Mursi beruft das suspendierte Parlament wieder ein. Die Militärs sind völlig baff, das Verfassungsgericht komplett konsterniert. Die meisten Säkularen und Liberalen heulen auf. Für sie ist Mursis Vorstoß ein Beweis dafür, dass dem ehemaligen Moslembruder eben doch nicht zu trauen sei. Er habe schließlich angekündigt, nicht nur die Gesetze, sondern auch die höchstrichterlichen Urteile zu respektieren. Allerdings hat das Gericht das Parlament gar nicht aufgelöst. Es hat nur festgestellt, dass ein Drittel der Sitze nicht verfassungsgemäß bestetzt worden seien. Das Verfassungsgericht sagte nicht einmal etwas darüber aus, ob nur ein Drittel der Abgeordneten neu gewählt werden muss, oder ob das für das ganze Parlament gilt. Es war aber der Oberste Militärrat, der die Volksvertreter nach Hause geschickt hat.

Der Verdacht liegt nahe, dass Mursi seinen einstigen Mitstreitern die letzte parlamentarische Macht sichern will. Andererseits sieht sein Zeitplan vor, dass es etwa in einem halben Jahr schon wieder Neuwahlen geben könnte. Dass Moslembrüder und Salafisten bei einer neuen Parlamentswahl derzeit bei weitem nicht so gut abschneiden würden, darf mal getrost angenommen werden. Das zeigte sich ja schon bei den Präsidentschaftswahlen.

Was steckt also hinter Mursis Vorstoß? War das wirklich eine Harakiri-Aktion, wie viele meinen? Es gibt wohl zwei Möglichkeiten: Entweder ist Mursi einfach dumm und komplett fremdgesteuert. Ich glaube das nicht. Oder, und dazu tendiere ich eher, er verfolgt einen Plan. Jeder Präsident, der das Land in eine demokratische Zukunft führen will, muss sich früher oder später mit dem Obersten Militärrat anlegen. Dem steht derzeit noch Feldmarschall Mohammed Tantawi vor. Der wird im Oktober 77 und ist in den letzten anderthalb Jahren oft dadurch aufgefallen, dass er auf markige Worte kleinlaute Rückzieher folgen ließ. So gesehen könnte es sinnvoll sein, den Kampf zu führen, solange Tantawi noch da ist. Wer weiß schon, wer ihm nachfolgen könnte.

Dass der Militärrat keine Interesse daran hat, die Situation eskalieren zu lassen, ist schon daran zu ersehen, dass die Abgeordneten heute vom Militär nicht daran gehindert wurden, ins Parlament zu gehen. Derzeit scheint der Kollisionskurs, den Mursi ansteuert, noch ziemlich kuschelig zu sein. Aber fahren muss er ihn. Es ist doch so: Die Militärs haben den Präsidenten weitgehend entmachtet. Zeigt sich Mursi jetzt als schwach, wird er ganz schnell der Rückhalt bei seinen eigenen Anhängern verlieren. Den braucht er aber dringend, wenn das Projekt der Versöhnung mit Liberalen und Säkularen gelingen soll.

Andererseits ist ja auch nicht so viel passiert. Die Abgeordneten hatten sich mittags für eine Viertelstunde getroffen. Aber was geschieht nun, wenn sie Gesetze beschließen? Dann werden die wohl ganz schnell vom Verfassungsgericht wieder kassiert.

Wie es weiter geht? Jetzt ist demnächst erstmal Ramadan, und da geht gar nichts weiter. Der Politikbetrieb steht weitgehend still. Dann soll es möglichst bald eine neue Verfassung geben – und danach Neuwahlen zum Parlament. Das sagt Mohammed Mursi, der damit indirekt ja zwei Dinge zugibt: 1. Er akzeptiert den Spruch des Gerichtes. 2. Er gesteht ein, dass das Parlament wohl tatsächlich nicht verfassungskonform zusammengestellt ist.

Es bleibt spannend in Ägypten. Eigentlich ist es atemberaubend, diesen demokratischen Selbsfindungsprozess zu erleben. Natürlich wirkt manches improvisiert und chaotisch. Aber ich glaube, dass dieses Land noch zu mancher Überraschung fähig ist.

Die große Verschwörung

Am 15. April jährt sich zum einhundersten Mal der Untergang der Titanic. Vermutlich werden bis dahin in Ägypten schlüssige Beweise auf dem Tisch liegen, dass sie von Hosni Mubarak und seiner Clique versenkt wurde. Vermutlich war er auch in der Verschwörung zur Ermordung Kennedys schuld und hatte ein Verhältnis mit Marylin Monroe. Okay… das mit dem Verhältnis nehm ich jetzt mal zurück, das würde selbst dem verschwörungstheoriefreundlichsten Ägypter dann doch ein wenig zu weit gehen.

Was ist wahr? Was ist gefaket? Was ist ein schlichter Irrtum? Das ist schwer zu sagen in diesen Tagen in Ägypten. Etliche Menschen sind zum Beispiel davon überzeugt, dass die Katastrophe in Port Said gesteuert war. Es spricht einiges dafür, vieles dagegen. Ich weiß nicht, was wirklich wahr ist. Aber die Geschichte scheint wie dafür gemacht, um eine wunderbare Verschwörungslocke zu drehen. Aber es geht auch anders.

Da gibt es eine deutschsprachige Internetzeitung, die heißt „The Intelligence“. Dankenswerterweise weist das Netz-Blättchen in seiner Selbstdarstellung darauf hin, dass das engliche Wort „intelligence“ nicht unbedingt etwas mit dem deutschen Wort „Intelligenz“ zu tun hat. Immerhin hat es diese Publikation geschafft, mich in Sachen Verschwörungstheorien in Ägypten völlig zu verblüffen. Und das ist bestimmnt nicht einfach, nachdem, was ich in den letzten Monaten schon alles gehört habe. Was mich in solch kolossales Erstaunen versetzt hat, war der Artikel „Ein Jahr nach Mubarak, die Situation in Ägypten“ von Kim Kovalsky,

Offensichtlich war die ganze Revolution nichts anderes, als eine große Verschwörung der USA, die ahnungslose Blogger, Studenten und Aktivisten aufgehetzt hat. Der Grund ist ganz klar. Da die Vereinigten Staaten eine neue Weltordnung antreben, nutzen sie die Gunst der Stunde und die revolutionäre Bewegung, um ihre finsteren Ziele zu erreichen. Immerhin hat das der Militärrat so oder so ähnlich jetzt auch schon gesagt. Und tapfer, wie die Herren Militärs nun mal so sind, schoben sie gleich hinterher, dass sie natürlich gegen die unter Verdacht stehenden NGOs vorgehen würden – egal ob sie dadurch finanzielle Einbußen hätten oder nicht. Und da, so meint Kim Kovalsky, habe der Militärrat ausnahmsweise mal recht. Hä?????

Moment mal: Dass wir uns richtig verstehen. Das ägyptische Militär bekommt jedes Jahr 1,3 Millarden Dollar von den USA. Hinzu kommen 4,9 Milliarden Euro an Entwicklungshilfe unter anderem aus den USA und der Bundesrepublik. Warum um alles in der Welt sollten die USA eine Revolution gegen einen Militärrat anzetteln, der ihnen doch sowieso aus der Hand frisst? Da wären die Milliarden doch einfach rausgeschmissenes Geld. Ich halte nun selbst nicht besonders viel von der US-amerikanischen Weisheit in diplomatischen Dingen. Aber für so bescheuert halte sich sie dann auch wieder nicht, einerseits die Militärs mit Milliarden von Dollar an den Fleischtöpfen zu halten, um anschließend in einem großen Masterplan genau diese Militärs von der Macht der Straße verjagen zu lassen. Das ist – mit Verlaub – Bullshit.

Ich denke, dass die Geschichte ein wenig anders liegt. Die Regierung Obama hatte die Entwicklung vor einem Jahr ziemlich verschlafen und viel zu lange an Mubarak festgehalten. Einerseits galt er als treuer Freund, den man in der Not nicht im Stich lässt, auf der anderen Seite sah man in ihm einen wichtigen Stabilitätsfaktor.

Dass politische Stiftungen oder NGOs sich in einer solchen Umbruchsituation, in der ein Land versucht, zur Demokratie zu finden, beteiligen, indem sie logistische Unterstützung – und manchmal vielleicht auch mehr – geben, scheint doch völlig logisch. Es ist ja auch vielleicht ganz nützlich, sich heute jene Leute zu verpflichten, die morgen möglicherweise in der Regierung sitzen. Vielleicht sind da die Konrad-Adenauer-Stiftung und die amerikanischen NGOs wirklich ein wenig übers Ziel hinaus geschossen, haben das ein oder andere Gesetz missachtet oder schlicht und einfach nicht gekannt.

Aber etwas anderes liegt doch auf der Hand. Mal von Israel abgesehen, ist es doch in Ägypten am einfachsten, mit Ressentiments gegen die USA Stimmung zu machen. Es hat vermutlich seit 20 Jahren keine Demonstration im Nahen Osten mehr gegeben, ohne dass mindestens ein Sternenbanner abgefackelt wurde. Außerdem: Die Ministerin, die am lautesten geschrien hat, war Fayzia Abulnaga – und die hatte ihr Amt als Ministerin für internationale Angelegenheiten schon unter Mubarak inne, stammt also definitiv aus dem alten Regime. Ihre Reaktion und ihr Verdacht auf eine vom Ausland gesteuerte Revolution kommt also nicht so ganz überraschend.

Wenn das alles wirklich Teil eines großangelegten Planes zur Schaffung einer neuen Weltordnung gewesen sein sollte, dann müssten da Heerscharen von Dilettanten am Werk gewesen sein. So wird das mit der neuen Weltordnung sicher nichts. Also muss man sich auch gar nicht erst darüber aufregen.